Ein Boutique-Hotel im Zürcher Niederdorf. Während sich die Passanten an diesem sonnigen Donnerstagabend beim Apéro entspannen, gibt die neue SRF-Direktorin Nathalie Wappler BLICK ihr erstes Interview seit Amtsantritt Anfang März. Sie wirkt zugänglicher und konzilianter, als sie oft beschrieben wurde – ohne Direktorinnen-Gehabe, eher mit künstlerischem Flair.
BLICK: Frau Wappler, Sie sind neben Ihrem angestammten Berufsfeld auch eine talentierte Pianistin. Vor drei Jahren haben Sie in der Tonhalle das Klavierkonzert von Mozart für drei Klaviere gespielt, mit welchem schon der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt brillierte. Was hat Sie glücklicher gemacht – Ihre Darbietung damals oder die Wahl zur SRF-Direktorin?
Nathalie Wappler: Ich überlege gerade: Kann man Glück überhaupt aufspalten? Egal, beides hat mich wirklich sehr glücklich gemacht, aber auf unterschiedliche Art und Weise. Man muss sich bei diesem Werk enorm ans Tempo gewöhnen. Ich übte ein halbes Jahr lang heftig mit Youtube. Dass ich es überhaupt geschafft habe, gab mir ein enormes Glücksgefühl. Doch auch die Wahl war ein unglaublich schöner Moment.
Welches war der verrückteste Ort, an dem Sie je Klavier gespielt haben?
Mein Mann Wolfgang und ich haben zwei Keyboards mit Klavieranschlag, mit denen wir über einen Simulationslautsprecher Steinway-Sound erzeugen können. Diese Einrichtung nahmen wir mit, als wir mit in unserem Wohnmobil in die Toskana reisten. Dort haben wir dann für Freunde in ihrem Landhaus ein Ständchen gegeben. Im Wohnmobil gibt es übrigens auch einen Fernseher und eine sehr gute Stereoanlage. Dafür haben wir auf weitere Betten verzichtet.
Im letzten November sorgten Sie mit Ihrer Aussage in der «NZZ am Sonntag» für Aufregung, Sie wollten weg vom Meinungsjournalismus. Haben Sie damit gerechnet, dass dies solche Wellen schlägt?
Ich hätte vielleicht etwas präzisier formulieren können, worum es mir generell geht: um einen offenen, transparenten Journalismus, der einen hohen Qualitätsstandard erfüllt. Das heisst beispielsweise auch: Wenn man bei der Recherche zu einem anderen Resultat kommt, als man ursprünglich angenommen hatte, dann soll man dies auch zeigen. Die Unabhängigkeit ist für uns handlungsweisend – darum haben wir auch interne Leitlinien.
Hat diese Aufregung dazu geführt, dass Sie auf Twitter inzwischen weniger aktiv sind?
Ich mag Twitter nach wie vor und lese auch viele Mitteilungen von anderen. Ich bekomme so viel Gutes aus dem Netz vermittelt und sagte mir darum: «Du musst der Community auch etwas zurückgeben.» In meiner neuen Position habe ich aber gemerkt, dass es andere Reaktionen auslöst, wenn ich weiter auf Links verweise. Darum bin ich in der Tat zurückhaltender geworden.
Sie müssen sparen. Das wirkt sich vor allem auf die Unterhaltung aus. Was haben Sie am Samstagabend vor?
Wir werden im Herbst mit einem neuen Format kommen, welches einen explizit journalistischen Ansatz beinhaltet. Es heisst «Es geschah am …» Darin thematisieren wir ein Ereignis aus der jüngeren Schweizer Geschichte, dokumentarisch und fiktional. Den Beginn macht der Fall des Geisterzugs von Spiez 2006. Wir erzählen die Geschichte nach, mit Interviews und fiktionalen Elementen.
Ist endgültig Schluss mit Showtreppen bei SRF?
Nein, das heisst nicht, dass wir keine Shows im herkömmlichen Sinn mehr machen. «Darf ich bitten?», von dem ich alle aktuellen Folgen gesehen habe, gibts 2020 erneut. «Ich weiss alles» im internationalen Verbund ist ebenfalls eingeplant. Wir haben «Happy Day» und «Hello Again», die auch weitergehen. Aber wir haben weniger Geld und müssen deshalb gerade im Bereich Show auch neue Ansätze finden.
Welche Aufgaben sind grundsätzlich am dringlichsten?
Wir realisieren derzeit mehrere Grossprojekte: Die Etablierung der Kulturredaktion in Basel, dann der Newsroom und die Radiohall in Zürich. Dazu kommt die Integration des TPC ins SRF. In zwei Jahren wird SRF ein anderes Unternehmen sein. Insgesamt bewegen sich in diesen Projekten etwa 1000 Leute. Das heisst, es kann neue Zusammenhänge, Abläufe sowie Redaktionsstrukturen geben. Das wird auch die Formate verändern. Die «Tagesschau» wird immer noch um halb acht kommen, aber ein neues Studio erhalten und einen etwas anderen Auftritt haben.
SRF-Aushängeschilder wie Roman Kilchsperger oder Steffi Buchli sind abgewandert – zuletzt auch Jonas Projer zum geplanten Blick TV. Dabei spielte offenbar auch Geld eine Rolle. Wie wollen Sie dem Exodus Ihrer Stars entgegenwirken?
Zum einen bedaure ich es, dass Jonas uns verlässt, aber es ist auch legitim, dass er sich weiterentwickeln will. Es ist gut, wenn in der Schweiz ein Markt existiert, in dem ein Journalist wie er neue Erfahrungen sammeln kann. Das gibt uns auch die Möglichkeit, neue Talente zu fördern. Umgekehrt ist es auch eine Chance, neue Gesichter bei anderen Sendern zu entdecken. Denn SRF ist nach wie vor ein attraktiver Arbeitgeber.
Waren Sie eigentlich zu Hause und schauten die «Tagesschau», als Notre-Dame brannte?
Nein, ich war an einer Aufzeichnung der Sendung «Literaturclub». Warum?
SRF hat die Tragödie verschlafen.
Moment, der Brand brach kurz nach 19 Uhr aus – wir haben kurz danach eine erste Push-Mitteilung verschickt. Aber ich gebe zu, dass der BLICK schneller war. In der Hauptausgabe der «Tagesschau» haben wir dann erste Bilder gezeigt und darauf verwiesen, dass wir einen Livestream mit Liveticker liefern. Bei «10 vor 10» war Notre-Dame dann das Schwerpunktthema. Und am späten Abend gab es eine moderierte «Tagesschau Spezial» anstelle eines unmoderierten News-Flashs. Das war sicher in Ordnung.
Jonas Projer sagte, man wolle mit Blick TV bei so einem Ereignis in wenigen Minuten auf Sendung sein.
Ich begrüsse es, wenn er sich solche Ziele setzt. Wenn es Ihm gelingt, so schnell auf Sendung zu gehen, wird das für uns ein Ansporn sein.
Das SRF-Programm fusst immer noch stark auf dem Strukturplan des damaligen Direktors Peter Schellenberg aus den 1980er-Jahren. Mit «Puls» am Montag, «Kassensturz» am Dienstag, der «Rundschau» am Mittwoch usw. Ist eine Neuerung nicht dringend notwendig?
Ein Programm bewegt sich immer. Auf der anderen Seite ist in einer Programmstruktur Verlässlichkeit enorm wichtig. Diese möchten wir beibehalten. Denken Sie an die Tagesschau um halb acht, nach diesem Punkt richtet sich immer noch die Hälfte der Fernsehzuschauenden aus. Das sind Ankerpunkte, die man beibehalten muss. Das Programm wird sich naturgemäss weiterentwickeln, inklusive neue Formate. Doch einen Tag total umzukrempeln, dazu besteht kein Grund.
Sie haben in einem Interview gesagt, dass Sie keine grosse Freundin von Quizsendungen sind. Ist die Zeit der Wissens-Shows bei SRF vorbei?
Ich muss Sie korrigieren. Beim fraglichen Interview ging es um den öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag – konkret um einen Dokumentarfilm über den Mathematiker Georg Cantor aus Halle. Ich sagte, dass man in so einem Film Wissen besser ausbreiten kann als in einem Quiz, in dem man es auf den Punkt abfragt. Beide Formate haben ihre Berechtigung. Ich zum Beispiel schaue mir gerne und oft Quizshows an, und natürlich wird es auch in Zukunft so eine Sendung geben.
Soll SRF im «Tatort»-Verbund mit ARD und ORF bleiben?
Ja, unbedingt. Der «Tatort» ist ein wunderbares Format. Und jetzt zügeln wir ihn von Luzern nach Zürich – ich freue mich auf zukünftige Folgen.
Dieses Jahr sind wir beim ESC noch dabei. Und in Zukunft?
Wir kämpfen jedes Jahr um eine gute Positionierung, aber es ist nicht einfach, ins Finale zu kommen. Dieses Jahr haben wir ja wieder einmal ganz gute Chancen. Kurz: Der ESC bleibt ein wichtiges, verbindendes Format.
Schlager-Shows sind beim MDR hoch im Kurs. Bei SRF muss gespart werden, es heisst sogar, «HelloAgain» komme demnächst zum letzten Mal.
Schlager ist nach wie vor ein wichtiges Thema. Er verbindet Menschen aus allen Altersgruppen und Schichten. Und ich kann Ihnen versichern: «Hello Again» geht auch 2020 weiter.
Sie hatten beim MDR nebst Schlager einen weiteren Quotenbringer, Jörg Kachelmann. Seit seiner Rückkehr verzeichnet die Talkshow «Riverboat» Zuschauerrekorde. Finden Sie es gut, dass er wieder am Bildschirm zu sehen ist?
Kachelmann macht das mit Kim Fisher zusammen sehr gut. Die Sendung hat eine Fangemeinde weit über das MDR-Gebiet hinaus, was ich verstehen kann.
Die in Kreuzlingen TG aufgewachsene Nathalie Wappler (51) studierte in Konstanz (D) Geschichte, Kunstgeschichte, Politikwissenschaften und Germanistik. Sie arbeitete später für Sendungen wie «Kulturzeit» (3sat), die ARD-Talkshow «Joachim Gauck», das ZDF-Kulturmagazin «Aspekte» und den ZDF-Talk «Maybrit Illner». Ab 2005 war sie für den SRF-«Kulturplatz» zuständig, wurde Gesprächsleiterin der Sendung «Sternstunde». 2016 wechselte sie zum Mitteldeutschen Rundfunk MDR, wo sie Programmdirektorin wurde. Vor sechs Wochen trat sie ihr Amt als SRF-Direktorin an. Wappler ist mit dem deutschen Medienwissenschaftler Wolfgang Hagen (69) verheiratet. Sie ist schweizerisch-deutsche Doppelbürgerin.
Die in Kreuzlingen TG aufgewachsene Nathalie Wappler (51) studierte in Konstanz (D) Geschichte, Kunstgeschichte, Politikwissenschaften und Germanistik. Sie arbeitete später für Sendungen wie «Kulturzeit» (3sat), die ARD-Talkshow «Joachim Gauck», das ZDF-Kulturmagazin «Aspekte» und den ZDF-Talk «Maybrit Illner». Ab 2005 war sie für den SRF-«Kulturplatz» zuständig, wurde Gesprächsleiterin der Sendung «Sternstunde». 2016 wechselte sie zum Mitteldeutschen Rundfunk MDR, wo sie Programmdirektorin wurde. Vor sechs Wochen trat sie ihr Amt als SRF-Direktorin an. Wappler ist mit dem deutschen Medienwissenschaftler Wolfgang Hagen (69) verheiratet. Sie ist schweizerisch-deutsche Doppelbürgerin.
Er war beim «Club» eine markante Figur. Später war er in ein Gerichtsverfahren verwickelt. Holen Sie ihn in die Schweiz?
Zuerst einmal: Er ist freigesprochen worden, und das ist in einem Rechtsstaat massgebend. Ich denke, Kachelmann ist stark verankert in Deutschland. Für uns ist es derzeit kein Thema, ihn wieder in die Schweiz zu holen.
Die Nachkriegs-Serie «Frieden», die jetzt gedreht wird, klingt erfolgversprechend. Sind historische Fiktionen die Zukunft?
Historische Stoffe sind anspruchsvoll. Durch die Etablierung des Writers-Room beim «Bestatter» und bei «Wilder» haben wir so viel Erfahrung gesammelt, dass wir uns auch an geschichtliche Stoffe wagen können. Ich habe alle Drehbücher von Petra Volpe gelesen. Die Serie bildet einen beeindruckenden Spannungsboden. Er umfasst die humanitäre Schweiz, die viele Flüchtlinge aufnahm, und die andere Schweiz, die auch Geschäfte mit Kriegsverbrechern machte.
Welches war Ihr spannendstes TV-Erlebnis in den letzten Wochen, auch ausserhalb von SRF?
Ich habe die neuen Folgen von «Game of Thrones» geschaut – ebenso Episoden der Mini-Thriller-Serie «London Spy» auf Netflix über Ostern.
Schauen Sie sich auch Trash-Formate an?
Wenn ich im Hotel bin, zappe ich, um zu sehen, was die anderen Sender machen. Ich will wissen, welcher Sender an welcher Position programmiert ist. Das ist dann vor allem ein berufliches Interesse. Was mich generell ärgert, sind menschenverachtende Formate. Man soll Menschen nicht ausstellen in ihren Schwächen.
Auf uns wirken Sie in diesem Gespräch äusserst freundlich. Wie kommt es, dass Sie als Kulturchefin den Übernamen «Fallbeil vom Leutschenbach» erhielten?
Bei Männern heisst es, sie hätten ein starkes Durchsetzungsvermögen oder sie seien entscheidungsfreudig. Frauen hingegen gelten schnell einmal als kalt. Es verwundert mich schon, dass Kolleginnen und Kollegen heute noch so denken.
Ihr Mann Wolfgang Hagen ist Medienprofessor in Lüneburg. Führen Sie jetzt eigentlich eine Fernbeziehung?
Nein, er ist viel in Zürich bei mir. Er hat ja nicht so ein riesiges Pensum an der Uni, kann sich besser einteilen, wo er seine Zeit verbringen will, als ich.
Schauen Sie dann zusammen fern?
Nicht nur. Wir sind viel unterwegs, oft auch mit dem Velo. Darum schauen wir oft zeitversetzt – auch die «Tagesschau» oder «10 vor 10». Dann aber meistens gemeinsam.
Und wer hat die Fernbedienung in der Hand?
Meistens er. Aber ich entscheide, wann umgeschaltet wird.
In der neuen Samstagabend-Sendung «Es geschah am ...» thematisiert das SRF Ereignisse, welche die Nation bewegten. Den Anfang macht das schwere Bahnunglück in Thun BE in der Nacht vom 16. auf den 17. Mai 2006, welches drei Todesopfer forderte. Um 3.20 Uhr krachte eine BLS-Dienstkomposition mit kaputten Bremsen in stehende Bauzugwagen. Die auf der Baustelle beschäftigten Arbeiter konnten sich in Sicherheit bringen. Die drei Personen auf dem Unfallzug überlebten den Aufprall nicht. Die Verantwortlichen des Stellwerks Spiez mussten nach dem Alarm innert Minuten entscheiden, was mit dem Geisterzug geschehen sollte. Um Schlimmeres zu verhindern, liessen sie den Zug auf gerader Strecke bis Thun fahren und bei einer Baustelle kollidieren.
In der neuen Samstagabend-Sendung «Es geschah am ...» thematisiert das SRF Ereignisse, welche die Nation bewegten. Den Anfang macht das schwere Bahnunglück in Thun BE in der Nacht vom 16. auf den 17. Mai 2006, welches drei Todesopfer forderte. Um 3.20 Uhr krachte eine BLS-Dienstkomposition mit kaputten Bremsen in stehende Bauzugwagen. Die auf der Baustelle beschäftigten Arbeiter konnten sich in Sicherheit bringen. Die drei Personen auf dem Unfallzug überlebten den Aufprall nicht. Die Verantwortlichen des Stellwerks Spiez mussten nach dem Alarm innert Minuten entscheiden, was mit dem Geisterzug geschehen sollte. Um Schlimmeres zu verhindern, liessen sie den Zug auf gerader Strecke bis Thun fahren und bei einer Baustelle kollidieren.
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