Es ist DIE Sensation in diesem Bücherherbst: die Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen der österreichischen Dichterin Ingeborg Bachmann (1926–1973) und dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch (1911–1991). Von Mitte 1958 bis Ende 1962 sind sie das intellektuelle Vorzeigepaar im deutschsprachigen Raum.
Doch vieles bleibt verborgen. So gibt es nur ein Foto, das sie zusammen zeigt – er mit Pfeife im Mund, sie am Bildrand. Fast schon symbolisch für die spätere Lesart der Beziehung. Nach dem Schlusssatz: «Es war Mord» im Roman «Malina» (1971), Bachmanns literarischer Verarbeitung der gemeinsamen Zeit, und ihrem frühen Feuertod 1973 in Rom, ist für viele klar: Der Macho Frisch drängte sie aus dem Leben.
Ingeborg Bachmann ergriff die Initiative
Die Briefe zeigen nun ein anderes Bild: Es ist nicht der Mann, der sich zu Beginn aufdrängt, sondern die Bachmann; nicht Frisch geht am Schluss zuerst fremd, sondern die Frau. «Der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch ist (…) entscheidend auf dem Weg zu einem ausgewogenen Verständnis ihrer Beziehung und damit für beider Biographien», schreiben Thomas Strässle (50) und Barbara Wiedemann (69) im Nachwort.
Der Schweizer und die Deutsche sind im vierköpfigen Team, das den Briefwechsel jetzt in einer mustergültigen, über tausendseitigen Edition herausgibt. Von Frisch testamentarisch verfügt durften sie 20 Jahre nach seinem Tod im Jahr 2011 einen Tresor in einer Zürcher Bank öffnen und stiessen dort auf ein Bündel von rund 300 Briefen von und an Ingeborg Bachmann.
Das war nicht im Sinn von Bachmann: Sie bat Frisch, «alles zu verbrennen, damit niemand ein Schauspiel hat eines Tages». Er antwortete ihr: «Diesen Wunsch werde ich Dir nicht erfüllen. Deine Briefe gehören mir, so wie meine Briefe Dir gehören.» Was insofern nicht ganz stimmte, als er von seinen Briefen an sie häufig Abschriften oder maschinengeschriebene Durchschläge behielt.
Nicht aber vom ersten Brief, der fehlt: Begeistert von Bachmanns Hörspiel «Der gute Gott von Manhattan» schreibt Frisch im Frühling 1958 an den Verlag, wie wichtig es sei, dass die junge Autorin Frauen eine Stimme gebe. Bachmann antwortet prompt. Daraus geht hervor, dass Frisch keine weiteren Avancen machte. Stattdessen ist sie forsch: «So will ich den Brief rasch abschicken mit der Frage, ob ich Sie, wenn ich Sonntag nach Zürich komme, sehen darf.»
Ein erstes Treffen in der Stadt der Liebe
Am 3. Juli 1958 treffen sie sich in Paris – Frisch 47 Jahre alt, Bachmann 32. Während er fernab seiner Ehefrau und den drei Kindern mit der Geliebten Madeleine Seigner (1908–1991) lebte, hatte sich Bachmann tags zuvor endgültig vom Lyriker Paul Celan (1920–1970) getrennt. Und nun verlieben sich Frisch und Bachmann Hals über Kopf ineinander.
Es beginnt ein jahrelanges Ringen um und miteinander: «Dass wir ein Unheil füreinander wären, das mag ich natürlich nicht glauben, wieso auch, wieso sollten wir keine grosse Chance haben», schreibt Bachmann. Und Frisch später: «Ich möchte, dass Du meine Frau wirst, Ingeborg, dass wir heiraten und dafür eine Einrichtung finden, die Dir Deine Arbeit und Dein Selbstsein nicht verhindert, aber eine wirkliche Ehe mit der vollen Verbindlichkeit.»
Doch es kommt anders: Im Frühjahr 1962 verliebt sich Bachmann in den italienischen Germanisten Paolo Chiarini (1931–2012). Frisch erfährt davon und schreibt ihr: «Mach keine Entscheidung, die aus dem Gefühl kommt, dass ich Dich unterdrücke. Daraus wird nichts Gutes.» Kurze Zeit später lernt er die junge deutsche Studentin Marianne Oellers kennen, die ihn 1968 heiratet und den Namen Marianne Frisch (83) annimmt.
Während Frisch in der weiteren Korrespondenz «liebe Ingeborg» schreibt und sie «herzlich» grüsst, wechselt Bachmann zum distanzierten «lieber Max Frisch» und «freundlichen Gruss». Ende September 1973 erleidet sie in Rom einen Brandunfall und stirbt am 17. Oktober. Ermittlungen wegen Mordverdachts stellen die italienischen Behörden am 15. Juli 1974 ein.
Ingeborg Bachmann/Max Frisch, «Wir haben es nicht gut gemacht – der Briefwechsel», Piper- und Suhrkamp-Verlag; das Buch erscheint am 21. November