Chris von Rohr würdigt Polo Hofer (†72)
Der gepanzerte Songschmied aus Interlaken

Exklusiv für BLICK schreibt Chris von Rohr (65) über das bewegte Leben von Polo Hofer, der am letzten Samstag 72-jährig gestorben ist.
Publiziert: 25.07.2017 um 23:47 Uhr
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Aktualisiert: 26.10.2018 um 11:50 Uhr
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Nach der Duett-Aufnahme von «Who's Gonna Shoe Your Pretty Little Foot» 1999: Chris von Rohr, Willy DeVille, Polo Hofer (†72) und Gitarrist Martin «Tinu» Diem (v. l.).
Foto: ZVG
Chris von Rohr

Das letzte Handy-Filmchen von Polo, das ich auf meinem Handy habe, ist ein Backstage-Shot nach seinem Konzert in Solothurn 2014. Die Stimmung war zuerst eher verhalten, seine Bandkumpels erhoben selten das Wort. Er stellte diesen kleinen Repetierdrachen vor mir auf und sagte: «Dr Chris von Rohr isch än Altrocker!» Das Spielzeug wiederholte das Gesagte in Robotersprache. Er lachte schelmisch und fragte mich, was ich gerade mache. Ich erzählte ihm, dass ich nebst der Musik viel schreibe, neuerdings auch Nachrufe. Er schaute mich mit blinzelnden Augen an: «Schreib bei mir: Er sah die Berge von unten, die Kirchen von aussen und die Beizen von innen.» Der Polo-Klassiker.

In letzter Zeit hatte ich ihn etwas aus den Augen verloren. Ich sah dieses schreckliche Bob-Dylan-Porträt am Schweizer Fernsehen und machte mir wie viele andere auch so meine Gedanken. Mittlerweile pflegte ich mehr Kontakt zu seiner Frau Alice. Das war aber nicht immer so.

Das erste Treffen mit Polo

Mein erstes Treffen mit Polo fand 1975 im Sinus-Aufnahmestudio in Bern statt, wo Krokus ihr erstes Album einspielten. Er nahm mit den Rumpelstilz gerade das legendäre Album «Füüf Narre im Charre» auf. Wir sangen mit diesen Voralpendesperados darauf den Song «Jodel», ein witziges Loblied auf die weibliche Hanfpflanze! 

1976 zeichnete Polo unseren ersten LP-Umschlag: ein Krokussli, das aus dem Eis brach, daneben sexy Schmetterlingsfrauen und im Hintergrund die Skyline von Manhattan. Er sagte später immer, er habe eben die Vision gehabt, dass wir es nach Amerika schaffen würden, etwas, worum er uns offen beneidete. Und wir hatten stets ein paar Stilz-Kassetten auf unseren langen US-Trips dabei. Das war eine Art Heimat für uns.

Als wir 1977 zusammen auf der «Dolce Vita»-Tournee waren, endete kein Abend vor den frühen Morgenstuden. Unvergessliche Stunden der Ausgelassenheit. Menschlich und musikalisch stand mir meist sein Tastenmann Hannery Amman näher. Polo war härter und ständig herausfordernd mit seinen Weggefährten. Beruflich flutschte es aber gut zwischen ihm und mir. Ich fuhr mal nach Bern mit dem Bild eines amerikanischen Chrom-Tasten-Telefons. Es war der Umschlag des neuen Gotthard-Albums, an dem ich gerade arbeitete und bei dem mir der passende Titel fehlte. Nach ein paar Cüpli meinte er: «Dial Rock», «Dial Now», «Dial Hard», und fertig war der Rockkuchen. Er konnte spontan extrem kreativ und witzig sein.

Ein unglaublicher Geschichtenerzähler

Freudig schrieb er mir Jahre später 1991 ein schönes Vorwort für mein «Hunde wollt ihr ewig rocken»-Buch. Seine Story einer US-Reisebegegnung mit diesem Jungen aus dem 65-Seelen-Dorf Plummer im US-Bundesstaat Idaho. Polo kaufte bei ihm im Laden eine Flasche Rotwein mit dem Schweizerkreuz drauf und zeigte mit dem Finger drauf: «Daher komme ich.» Worauf der Boy erwiderte. «Was? Wow! Kennst du denn Krokus?» Und als ihm das Bürschchen am Schluss noch zurief «And don’t fall off the Alps, man», schrieb er mir: Jetzt glaub ich’s dir, Chris, ihr habt es wirklich geschafft, denn welcher Ami weiss schon, dass sich die Alpen in der Schweiz befinden!

Was mich bei Polo immer beeindruckte, war nicht nur seine Belesenheit, sondern vor allem seine Erzählkunst. Er war ein unglaublicher Geschichtenerzähler. Was andere in 20 Sekunden abhandeln, konnte er minutenlang genüsslich und präzise ausschmücken. Eine Kunst, die leider am Aussterben ist. Ich sagte ihm immer wieder: Du solltest Sprechplatten aufnehmen, da toppt dich niemand. Ich habe noch heute auf meiner Homepage einen lustigen Talk zwischen Baschi, Polo und mir aufgeschaltet, wo es ums Thema Groupies im Alpenland ging und er uns genüsslich erklärte, wie das in der Einsamkeit der Berge so laufe, wenn man plötzlich merke, dass es ginge. Ja, er konnte uns zum Lachen bringen, immer wieder, und das ist wertvoll.

Im Duett mit Willy DeVille

Einmal konnte ich ihn wirklich überraschen. Es war während der Albumproduktion «Härzbluet» 1999, wo ich als Produzent und Songschreiber mitwirkte. Ich verbrachte damals ein paar Tage mit dem legendären US-Sänger Willy DeVille, und mir kam die Idee, ihn für ein Duett mit Polo zu gewinnen. Der von Natur aus misstrauische Berner wollte mir nicht glauben, dass ich das hinkriege.

Als wir schliesslich für diese crazy Session alle im Studio landeten, erlebte ich zum ersten Mal einen verängstigten Polo. Willy, gerade auf Heroinentzug, hielt ihm plötzlich seinen langen Dolch an die Gurgel, weil Polo die Übersetzung des englischen Songs vertagen wollte: «You do it here ... and you do it now!», war die hammerharte Ansage. Und das war kein Joke. Daraus entstand eines der besten Lieder, das Polo je gesungen hat: «Who’s Gonna Shoe Your Pretty Little Foot». Am stärksten fand ich Polo sowieso immer, wenn er die feinen Töne anschlug. Die Balladen «D’ Rosmarie und I», «Im letschte Tram», «Stilli Wasser» oder «Wenn mys letschte Stündli schlaht» berühren uns tief. Da spüren wir das Herz und die Seele dieses Mannes.

Ein Mann, der seinem Werk alles unterordnet

Dieser gepanzerte Songschmied aus Interlaken zeigte sein Inneres selten den Kumpels und Mitstreitern, gab lieber den polternden, provozierenden Oberlehrer. In den letzten Jahren war er dann, wie es vielen geht, mehr Sender als Empfänger. Nahe an ihn heranzukommen, war nahezu unmöglich. Wohl nur seine letzte grosse Liebe Alice erlebte den anderen Polo, wenn die Lichter ausgingen und er nichts mehr beweisen musste. Ich fragte mich oft, wie er als Kind oder als Vater war, doch das ist eine widersinnige Frage, denn er ordnete eh alles seinem Lebenswerk unter.

Letzten Frühherbst sagte mir eine Stimme: Geh noch mal nach Oberhofen, es gibt da noch was abzuschliessen. Also machte ich mich auf den Weg.

«Schön, du bist mit dem Schiff gekommen», meinte ein magerer, ausgezehrter Polo zu mir. Wir sassen fünf Stunden auf dem Balkon, nur kurz von der Spitex unterbrochen. Die Altweibersonne streichelte uns und wir sprachen über Musiker, Bandstreitereien, Subventionen, Frauen, Drohnen und Politik. Es war ein nährendes und schönes Gespräch. Als es dunkel wurde, kam Alice dazu und wir öffneten die Flasche Veuve Clicquot, die ich mitgebracht hatte: «Auf das Leben.»

Polos letztes Geschenk

Zum Abschied schenkte er mir ein Bild, das er gemalt hatte und das Buch «Memoiren aus dem Bordell», das Kernthema eines Songs, den wir gerade gecovert hatten und den beide liebten: «The House of the Rising Sun». Getoppt wurde das Ganze ein paar Monate später, als er mich zu sich einlud und mir eine Vergrösserung des ersten Krokus-Album-Artworks mit Widmung schenkte. Das hat mich echt überrascht, und es war ein schöner, herzlicher Abschied.

Danke, Polo, für das, was du mir und uns allen gegeben hast. Es war nicht immer einfach mit dir, aber meistens bereichernd, spannend und lustig. Du wirst uns fehlen. Die Schweiz verliert einen grossartigen Entertainer, Querulanten und Texter. In deinen Liedern und Geschichten wirst du weiterleben.

Chris von Rohr (65) wurde am 24. Oktober 1951 in Solothurn geboren und hat die Schweizer Rockszene nachhaltig geprägt. Der begnadete Drummer ist Gründungsmitglied von Krokus, Hitproduzent (u. a. Gotthard) und Bestsellerautor. Mit Polo Hofer (†72) verbindet ihn eine jahrzehntelange Freundschaft. 

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