Herr Ganz, wir führen dieses Interview auf Schweizerdeutsch. Haben Sie nie Angst um Ihr Bühnendeutsch, wenn Sie Dialekt sprechen?
Bruno Ganz: Wenn man wie ich das halbe Leben in Deutschland verbracht hat, dort jahrelang Theater spielte und Filme drehte, muss man sich darüber keine Gedanken mehr machen. Komischerweise werde ich in Deutschland aber wieder vermehrt darauf angesprochen, dass ich Schweizer bin.
Warum ist das so?
Vielleicht liegts an der Flüchtlingskrise, dass die Leute über Landesgrenzen nachdenken. Ich weiss es nicht.
Im Film «The Party» spielen Sie einen Deutschen, Gottfried, der seine Freundin zu einer ereignisreichen Dinner-Party in London begleitet. Ihr Englisch hat aber mehr einen Schweizer als einen deutschen Einschlag.
Die Regisseurin fand meinen Akzent richtig für die Rolle, ob nun deutsch oder schweizerisch.
Gottfried ist Esoteriker. Von welcher Person haben Sie sich inspirieren lassen?
Es hat gereicht, mich an all die Esoteriker zu erinnern, mit denen ich in deutschen Grossstädten in Berührung kam. Wenn man sie nicht gleich an der Kleidung erkennt, merkt man spätestens, wenn sie zu reden beginnen, wen man vor sich hat. Meine Geduld ist da relativ schnell erschöpft. Aber es ist lustig, Esoteriker zu spielen. Man muss sie ja nicht einmal parodieren.
Was ist ein typischer Esoteriker-Satz?
Wenn es nicht in diesem Leben war, dann im letzten.
Ich nehme an, Sie glauben nicht an eine Wiedergeburt.
Ich habe wenig Anlass dazu.
Denken Sie an ein Leben nach der Schauspielerei?
Auch das interessiert mich weniger.
Wo lernen Sie Ihre Texte?
Ich gehe ja sehr gerne spazieren. Wenn ich einen Text einigermassen verinnerlicht habe, nehme ich einzelne Blätter des Skripts in die Hosentasche und lerne beim Laufen weiter. Der körperliche Rhythmus hilft mir dabei.
Führen Sie Ihrer Partnerin Szenen vor?
(lacht) Nein, das mache ich schon mit mir selbst aus. Bei riesigen Texten muss ich mich manchmal abhören lassen. Dann hilft sie mir als Souffleuse.
Sie wohnen auf der Halbinsel Au am Zürichsee und haben eine Wohnung in Venedig. Wo lässt es sich besser spazieren?
Au ist toll, dort gibts lange Wege, die zum See führen. Und auf dem Lido in Venedig kann man stundenlang am Strand entlanglaufen.
Wie wichtig sind solche Rückzugsorte für einen Schauspieler?
Für mich sind sie sehr wichtig. Andere gehen vielleicht lieber an eine Party.
Im Film «The Party» wird ziemlich gesoffen. Wie fühlt sich das für Sie an? Laut eigenen Angaben haben Sie seit 16 Jahren keinen Tropfen Alkohol mehr konsumiert.
Am Set wird der Alkohol ja sowieso durch Tee oder Traubensaft ersetzt, echte Spirituosen sind tabu. Da ich Partys nicht mag und nie mochte, komme ich im Alltag selten in die Situation, mit trinkenden Leuten zusammen zu sein. Wenn es trotzdem mal passiert, verabschiede ich mich von ihnen, sobald sie einen gewissen Pegel erreicht haben.
Politikerin Janet, gespielt von Kristin Scott Thomas, will ihre Wahl zur Gesundheitsministerin feiern. Dazu lädt sie Freunde in ihr Londoner Stadthaus ein. Es kommen auch ihre amerikanische Freundin April (Patricia Clarkson aus «House of Cards») und deren esoterisch angehauchter Freund Gottfried (Bruno Ganz in einer komödiantischen Rolle). Die Ereignisse überschlagen sich, als Janets Ehemann Bill (Timothy Spall, bekannt aus den «Harry Potter»-Filmen) ein Geständnis macht, das fast alle Gäste betrifft. Was die viel gelobte Regisseurin Sally Potter (67) in ihrem 70-minütigen Kammerspiel abliefert, ist bitterböse Gesellschaftssatire, getragen von Schauspielkunst alter Schule, funktioniert aber auch als Metapher für vieles, was auf der Welt gerade schiefläuft.
Politikerin Janet, gespielt von Kristin Scott Thomas, will ihre Wahl zur Gesundheitsministerin feiern. Dazu lädt sie Freunde in ihr Londoner Stadthaus ein. Es kommen auch ihre amerikanische Freundin April (Patricia Clarkson aus «House of Cards») und deren esoterisch angehauchter Freund Gottfried (Bruno Ganz in einer komödiantischen Rolle). Die Ereignisse überschlagen sich, als Janets Ehemann Bill (Timothy Spall, bekannt aus den «Harry Potter»-Filmen) ein Geständnis macht, das fast alle Gäste betrifft. Was die viel gelobte Regisseurin Sally Potter (67) in ihrem 70-minütigen Kammerspiel abliefert, ist bitterböse Gesellschaftssatire, getragen von Schauspielkunst alter Schule, funktioniert aber auch als Metapher für vieles, was auf der Welt gerade schiefläuft.
Weil Sie gerne mittrinken würden?
Nein, weil es einfach schwierig ist, den Leuten zuzuschauen, wenn sie so langsam abdriften, immer dieselben Sätze sagen und alles immer blöder wird. Das hast du ja auch mal gemacht, sagt man zu sich. Es führt aber nicht dazu, mehr Verständnis dafür aufzubringen. Man geht besser. Nur beim Essen gefällt es mir, wenn jemand einen teuren Wein trinkt. Man sieht in den Gesichtern, dass das was ganz Tolles ist. Ich rieche manchmal an einem Glas, aber ich trinke nichts mehr. Das kommt auch meiner körperlichen Kondition zugute.
Wie halten Sie sich fit?
Eine Zeit lang bin ich in die Muckibude gegangen, zu Kieser. Heute mache ich physiotherapeutische Übungen. Aber hauptsächlich spaziere ich.
Gibt es Dinge, die man als älterer Schauspieler irgendwann nicht mehr so gut hinkriegt?
Ich weiss nicht, ob das mit Hitler heute noch gehen würde. Diese Ausbrüche, wenn er sich so erregt und zornig wird: So etwas zu drehen, dauert mehrere zwölfstündige Arbeitstage. Jeder einzelne von ihnen ist physisch unglaublich anstrengend, allein schon für die Stimme. Ob ich das noch bringen würde, weiss ich nicht. Ich stelle es mir ungern vor.
Wie lange wollen Sie noch arbeiten?
Als ich jung war, hatte ich auf der Bühne mit Schauspielern zu tun, die vom Alkohol zerstört waren oder so alt, dass sie sich keine Texte mehr merken konnten. Mit so jemandem zusammenzuarbeiten, ist eine Qual. Ich habe mir deshalb geschworen, nie jemanden in eine solche Situation zu bringen. Noch ist aber alles ganz einfach für mich.
Im DDR-Drama «In Zeiten des abnehmenden Lichts», das Mitte August in die Kinos kommt, spielen Sie einen 90-Jährigen. Es gibt also noch Luft nach oben.
Irgendwann rutscht man in die Kategorie Grossvater. Dagegen kann man nichts machen.
Ab und zu arbeiten Sie auch noch in Hollywood. Das letzte Mal für Ridley Scotts Thriller «The Counselor», in dem Sie einen Diamantenhändler spielen. Was reizte Sie daran?
Ich mag Scott, es ist schön, mit ihm zu drehen. Die Rolle reizte mich, weil der Film auf einem Text von Cormac McCarthy basiert, einem Schriftsteller, den ich sehr schätze. Im Drehbuch führt der Diamantenhändler an einer Stelle einen langen Diskurs über sephardische Juden. Es war das Erste, was die amerikanischen Produzenten gestrichen haben. Von dem her hätte ich es gleich bleiben lassen können.
Was ist eigentlich aus Ridley Scotts Fernsehserie über den Vatikan geworden, in der Sie den Papst hätten spielen sollen?
Wir haben zwei Wochen in Rom die erste Folge gedreht, und es war fantastisch. Das Material war so satirisch, dass es von Monty Python hätte stammen können. Es ist nie erschienen, und das Fernsehstudio sagte nicht, warum. Irgendwo in einem Archiv schlummert also ein Ridley-Scott-Film mit Bruno Ganz, der noch nie gezeigt wurde.
Wie wichtig sind eigentlich Feedbacks von Menschen, die Ihnen nahestehen?
Sehr wichtig, allerdings will man manchmal nicht, dass sie zu ehrlich ausfallen.
Früher gingen Sie mit Ihrem blinden Sohn ins Kino. Heute ist er erwachsen. Wie nimmt er am filmischen Schaffen seines Vaters teil?
Er lebt nicht mehr in Deutschland, sondern ganz woanders. Wir sehen uns ab und zu, aber ich weiss nicht, ob er noch ins Kino geht. Er ist sehr informiert, wahrscheinlich durchs Radio. Und er wird wohl mit seinen Freunden über Dinge reden, die ich gemacht habe. Wenn er sich danach erkundigt, erzähle ich ihm von meinen Projekten.
In einem Interview von 1992 sagen Sie, dass Sie jedes Mal zu Ihrer Primarschule in Seebach gehen, wenn Sie in Zürich sind. Aus sentimentalen Gründen. Wann waren Sie denn das letzte Mal dort?
Das ist schon lange her.
Haben Sie heute noch sentimentale Gefühle für die Schweiz?
Ja, schon. Viel hat mit meiner Jugend und Kindheit zu tun, mit bestimmten Orten. Manchmal beobachte ich Situationen, die mich an früher erinnern. Gibt es das auch noch, schön, denke ich dann.
Haben Sie ein Beispiel?
Ich bin leider nicht gut im Anekdotenerzählen.
«The Party»: Jetzt in Schweizer Kinos. «In Zeiten des abnehmenden Lichts» ab 17. August.
Er gilt als einer der grössten Kino- und Bühnenschauspieler. Bruno Ganz wuchs im Zürcher Quartier Seebach als Sohn einer Italienerin und eines Schweizers auf. Nach Jahren in Deutschland lebt der 76-Jährige wieder in der Schweiz. Für sein Lebenswerk wurden ihm zahlreiche Ehrenpreise verliehen, u. a. 1996 der Iffland-Ring, die höchste Theaterauszeichnung für Deutschsprachige. Ganz ist seit 52 Jahren verheiratet, lebt aber nicht mit seiner Frau zusammen. Die beiden haben einen Sohn, der mit vier Jahren erblindete. Ganz’ Lebensgefährtin ist die Fotografin Ruth Walz.
Er gilt als einer der grössten Kino- und Bühnenschauspieler. Bruno Ganz wuchs im Zürcher Quartier Seebach als Sohn einer Italienerin und eines Schweizers auf. Nach Jahren in Deutschland lebt der 76-Jährige wieder in der Schweiz. Für sein Lebenswerk wurden ihm zahlreiche Ehrenpreise verliehen, u. a. 1996 der Iffland-Ring, die höchste Theaterauszeichnung für Deutschsprachige. Ganz ist seit 52 Jahren verheiratet, lebt aber nicht mit seiner Frau zusammen. Die beiden haben einen Sohn, der mit vier Jahren erblindete. Ganz’ Lebensgefährtin ist die Fotografin Ruth Walz.