Brigitte Voss-Balzarini über ihr Leben nach dem Tod von Steve Lee
«Ich fühle mich permanent von Steve beschützt und umarmt»

Sie war dabei, als ihr Mann, Gotthard-Sänger Steve Lee (†47) starb. Brigitte Voss-Balzarini (49) erzählt, was ihr in ihren dunkelsten Stunden Kraft gibt.
Publiziert: 17.10.2010 um 00:03 Uhr
|
Aktualisiert: 07.10.2018 um 14:39 Uhr
Interview: Flavia Schlittler

Frau Brigitte Voss-Balzarini. Wie geht es Ihnen aktuell?
Brigitte Voss-Balzarini:
Ich kann nicht glauben, was ich zurzeit erlebe. Ich fühle mich permanent von Steve beschützt und umarmt, habe ständig diese Wärme um meine Aura in der Kopfgegend. Die Nachbarn überraschen mich grenzenlos. Sie bitten mich unter Tränen, dass ich hier wohnen bleibe, weil Steve noch nie so glücklich als Erwachsener gewesen sei wie mit mir. Ich musste ihnen versprechen, dass ich ihnen am Morgen jeweils aus dem Fenster zuwinke, wie das Steve stets gemacht hatte.

Wie haben Sie die erste Nacht im Haus erlebt?
Vor diesem Schritt hatte ich die ganze Zeit in Amerika grosse Angst. Doch dann stand ich vor den vielen Blumen und Kerzen und Minuten später im Haus und wurde von Steves Schwester und seinem besten Freund liebevoll betreut. Wir sassen die ganze Nacht zusammen am Küchentisch und philosophierten über die gemeinsamen Jahre mit unserem geliebten Steve.

Können Sie schlafen?
Ja. Ich habe meine Art entwickelt, wie ich zwei bis drei Stunden am Stück schlafen kann. Ich habe der Urne von Steve für die Nacht im Schlafzimmer ein wunderbares Plätzchen kreiert. Am Tag ist sie im Wohnzimmer bei seinen zahlreichen Gold- und Platinalben. So sind wir immer zusammen. Ich fühle mich absolut nicht allein, im Gegenteil! Die paar Tage, die uns noch bleiben, sind wir allein. Nur er und ich, wie vorher.

Träumen Sie?
Geträumt habe ich erst einmal. Wohl weil ich bisher zu wenig und zu oberflächlich geschlafen habe.

Haben Sie Kontakt zu Steve?
Das ist eine spezielle Frage. Hm. Ich habe den gleichen telepathischen Kontakt zu ihm, den wir schon zu Lebzeiten miteinander hatten. Wir haben uns oft im gleichen Moment angerufen, dann lachten wir uns jeweils dumm, weil auf beiden Linien besetzt war. Wir hatten dieselben Ausgehideen, wollten fast täglich im selben Moment dasselbe sagen.

Erinnern Sie sich an die letzten Worte, die Sie miteinander gewechselt haben?
Ja. Sie haben sich in mein Gehirn gebrannt. Er streichelte mir kurz die Hand, weil er spürte, dass meine Beine zitterten wegen des schlimmen Verkehrs links und rechts. Dann sagte er mir nur: «Bald haben wir es geschafft, Schätzi, auch ich finde es nicht lustig.»

Sie haben letzthin gesagt, Ihr Schutzengel sei immer dann bei Ihnen, wenn Sie ihn besonders brauchen. War er bei Steves Tod bei Ihnen?
Ich bin überzeugt, dass mein Schutzengel irgendwann wieder für mich da sein wird, wenn ich ihn brauche. Aber im Moment habe ich ja meinen Steve.

Wie haben Ihre beiden Töchter auf die Tragödie reagiert?
Sie haben so viel geweint. Und bei ihrem lieben Papi Antonio in unzähligen Gebeten gewissen Trost gefunden.

Aber wie gehen Sie mit seinem Tod um? Steve war die letzten Jahre ja auch eine wichtige Bezugsperson für sie.
Sie haben ihm in ihrem Zimmer eine Gedenkecke kreiert. Und wir sprechen pausenlos darüber, was wir mit Steve alles erlebt haben.

Sie finden Kraft im Gebet und Glauben. Haben Sie nie mit Gott gehadert?
Wieso sollte ich Gott in Frage stellen? Er ist für mich eine positive Lichtenergie, die uns Menschen Kraft gibt, wenn wir sie annehmen. Die uns das Leben und die Welt, die wir uns geschaffen haben, besser ertragen lässt. Wir sind alle unser Glückes Schmied. Gott ist da, uns zu unterstützen. Dass wir irgendwann einmal gehen müssen, ist unser Schicksal. Gottes Kraft schützt und tröstet die Hinterbliebenen. Aber nur, wenn man ihn darum bittet. Er drängt sich niemandem auf. Jede Seele, respektive jede Hülle hat dieses Licht in sich. Man muss es nur annehmen.

Steve glaubte an Engel, Sie ebenfalls. Sie hatten eine sehr spirituelle Verbindung zueinander. Hält diese heute noch an?

Ja. Dass wir eine spirituelle Verbindung haben, merkten wir schon ganz am Anfang unserer Beziehung. Wir besuchten aber nie irgendwelche esoterischen Kurse oder so.

Die ersten Nächte nach Steves Tod haben Sie mit seiner Urne im Bett verbracht. Auch heute noch?
Nein, ich habe die Urne nicht mehr bei mir im Bett. Ich will mich nicht daran gewöhnen. Ich muss loslassen können.

Was machen Sie mit seiner Urne?

Die Familienangehörigen und ich müssen uns irgendwann von Steve verabschieden. Wir müssen ihn ins Licht schicken. Sonst findet er keine Ruhe. Steve wollte es uns allen während seines Lebens immer recht machen. Deshalb mache ich mir ein bisschen Sorgen, dass er auch im Tod keine Ruhe finden könnte. Er hätte es so sehr verdient. Mehr möchte ich aus Rücksicht auf Steves Eltern nicht sagen. Sie waren die liebevollsten und aufopferndsten Eltern, die ich je kennengelernt habe. Sie ermöglichen es mir auch, obwohl Steve und ich nicht verheiratet waren, so lange wie ich es brauche, in seinem Haus zu bleiben. Und das ist sehr gut für mich.

Würden Sie gerne für immer in Steves Haus bleiben?
Wenn ich Steve kennengelernt hätte, als seine Eltern gerade ausgezogen waren, könnte ich es mir sehr gut vorstellen. Aber da Steve dort sehr unglückliche Jahre mit seiner ehemaligen Frau verbracht hatte und diese Ehe noch bis zuletzt wie ein schwarzer Schatten im Raum stand, hatte ich mich in seinem Haus nie richtig daheim gefühlt.Steve war so ein gebrannter Ex- Mann, dass er bis heute kein Testament zu meiner Absicherung machen wollte. Steve sagte immer, unsere Beziehung besteht aus reiner Liebe und einem gegenseitigen Geben und Nehmen. Anfänglich hatte ich ihm gegeben. Erst gegen Ende – unter anderem auch mit diesen verhängnisvollen Amerika-Ferien, die er mir geschenkt hatte – begann er mir zu geben. Er wollte mich künftig wie eine Prinzessin verwöhnen, da es ihm finanziell wieder viel besser ging. Aus allen Ecken kam Geld rein. Darum wollten wir auch symbolisch heiraten. Er wollte ein Segelschiff kaufen und mit mir um die Welt segeln.

Das sollte nicht mehr sein.
Nein. Doch ich glaube sehr, dass alles, wirklich alles, was man gibt, irgendwann auf einen zurückfällt. So sende ich meine heimlichen Wünsche voller Hoffnung ins Universum. Und bin gespannt, was zurückkommt.

Werden Sie jemals wieder auf eine Harley steigen können?
Ja. Jederzeit. Wir hatten ja keinen Töff-Unfall... Die Gruppe und ich werden diese geplante Reise eines Tages noch zu Ende fahren.

Haben Sie genügend Kraft, heute an der Gedenkfeier für Steve Lee beim Hospiz auf dem Gotthard teilzunehmen?
Ich bin auf jeden Fall dabei. Ich werde auch noch die Indianermusik mitbringen, die wir noch am Todestag am 5. Oktober auf unserer Fahrt durch das Gebiet des Indianerstamms der Schoschonen gehört haben. So können die Trauernden erfahren, wie überglücklich Steve nur wenige Stunden vor seinem Ableben gewesen war. Wie unendlich frei er sich gefühlt hatte.

Frau Voss-Balzarini, was wünschen Sie sich noch für Ihr weiteres Leben?
Ich würde es sehr egoistisch von mir finden, wenn ich mir schon heute Wünsche für die Zukunft zurechtlegen könnte. Ich glaube nicht, dass Steve freiwillig von mir gehen wollte. Dafür waren wir die letzten Monate viel zu glücklich zusammen. Ich wünsche mir höchstens, dass ich nicht in ein tiefes Loch falle, wenn Steve uns endgültig verlassen hat.

Fehler gefunden? Jetzt melden