«Hat man dich zur freien Liebe gezwungen?» Das ist die erste Frage, die ich nach meiner Rückkehr aus dem Osho-Resort im indischen Pune zu hören bekomme. Das war 2005, also lange Zeit nach Bhagwans Tod 1990. Man nannte ihn auch Sex-Guru.
Mein erstes Mal
Es ist mein erstes Mal, also fürs Meditieren. Beginn ist morgens um 6 Uhr mit der sogenannten Dynamischen. Eine der von Osho entwickelten Aktiv-Meditationen, ein Mix aus wilder Atemtechnik, ekstatischem Tanz und stiller Versenkung. Auf einem Flyer stehen die Instruktionen. Etwa, dass man mit erhobenen Armen auf und ab springt, dazu «Huh! Huh! Huh!» schreit und damit sein «Sexzentrum hämmern» soll, so wird das erste Chakra genannt. Erst mal was zum Kichern, doch das vergeht einem beim schweisstreibenden Hüpfen in aller Herrgottsfrühe ziemlich schnell.
Ob wir alle gleich abheben?
Bin ich in einer Sekte gelandet? Der Gedanke lässt mich nicht los, als ich zur Abendmeditation komme. Hunderte von weissgewandeten Menschen strömen bei Sonnenuntergang in eine pyramidenförmige Halle. Eine Szene wie aus einem futuristischen Film. Ob wir alle abheben, wenn wir drin sind? Der Boden aus Marmor ist kühl, scheinbar das liebste Baumaterial des Gurus mit dem Rauschebart. Während man sich bequem auf einem Meditationsstuhl einkuschelt, flimmert ein alter Talk von Osho über die Leinwand. Sein nuscheliges Englisch ist schwer verständlich, und ich bin schon fast eingeschlafen – als mich seine Präsenz wie ein Blitz durchfährt! Plötzlich bin ich hellwach. Der Mann, der mit seinen Kugelaugen kaum zu blinzeln scheint, hat mich berührt.
Traum, Hypnose oder indische Mystik
Was da genau passiert ist, kann ich bis heute nicht sagen. Vielleicht habe ich im Halbschlaf geträumt oder bin via Leinwand von einem längst Verstorbenen hypnotisiert worden. In der indischen Mystik ist es aber durchaus nicht ungewöhnlich, dass ein Meister seinem Schüler auf diese Weise nahe kommt. Mit meinem Erlebnis bin ich nicht allein. Manche, denen ich im Resort begegne, haben intensiv von Osho geträumt oder seine Worte haben sie so bewegt, dass sie nicht anders konnten als herzukommen.
«Club Meditation» für Sinnsuchende
Natürlich weiss ich, dass Bhagwan, später Osho genannt, umstritten ist. Mitte der 1970er-Jahre, der Expansionszeit der Sannyasins, trug man noch Orange statt Dunkelrot. Und unter der Robe gern auch gar nichts, Ekstase und Enthemmung säumten den Weg zur Erleuchtung, bei Encounter-Therapien schlug man sich auch mal die Nase ein. Heute ist das einst wilde Kloster ein edles Resort, für indische Verhältnisse unglaublich sauber, man könnte das Bio-Gemüse glatt vom Boden essen. Gäste aus aller Welt reisen für ein paar Wochen an, um zu meditieren, Kurse zu belegen, sich am Pool zu erholen oder beim Vormittagstanz auf der Buddha-Groove, abends gibts Disco. Programm von früh bis spät – nicht zufällig wird der Ort auch «Club Meditation» genannt.
Der 1931 als Chandra Mohan Jain in einem indischen Dorf geborene Bhagwan startet seine spirituelle Karriere 1953. Unter einem Baum wird er erleuchtet.
Ab 1968 schart Rajneesh, so sein damaliger Spitzname, in Bombay die ersten Schüler um sich. Seine Kritik an Priestern, Politik und Sexualmoral in Indien trägt ihm den Namen «Sex-Guru» ein.
1974 entsteht in Poona (heute Pune) die erste Kommune. Seine Jünger nennt er Neo-Sannyasins.
Um 1980 lockt der Ashram (Kloster) Zehntausende Sinnsuchende an, praktiziert wird ein Mix aus westlichen Therapien und östlichen Meditationen. Den Indern ist der von Westlern überrannte Ashram suspekt, ein extremistischer Hindu verübt einen Mordanschlag auf Bhagwan. Der Staat entzieht dem Ashram rückwirkend den steuerbefreiten Status, was Forderungen in Millionenhöhe zur Folge hat.
1981 zieht die Kommune in den US-Bundesstaat Oregon. Es entsteht eine eigene Stadt. Besonderes Aufsehen erregt Bhagwans Rolls-Royce-Flotte mit über 90 (!) Wagen. Die Kommune kauft im nächstgelegenen Ort Antelope Häuser auf, übernimmt mit zweifelhaften Methoden die Mehrheit im Stadtrat und benennt das Dorf in Rajneesh um.
Mit Aids kommt 1984 das Ende der freien Liebe. Bhagwan ordnet Safer Sex mit Kondom und Einweghandschuhen an, selbst Küssen wird verboten.
1985 das Aus in Oregon. Die Kommune hat sich im Dauerclinch mit den Nachbarn kriminalisiert. Bhagwans Sekretärin Sheela flieht, wird verhaftet und landet im Gefängnis. Auch Bhagwan wird kurz inhaftiert und des Landes verwiesen.
Nach einer Odyssee kehrt Bhagwan 1987 nach Pune zurück. Aus dem Ashram wird ein Meditations-Resort. Der Guru ändert seinen Namen in Osho und die Kleidervorschriften von Orange in Dunkelrot und Weiss.
Am 19. Januar 1990 stirbt Osho mit 58 Jahren.
Heute zählt das International Meditation Resort in Pune zu den attraktivsten Touristenattraktionen Indiens. Die Sannyasin-Szene hat sich individualisiert, überall gibts kleine Zentren und Gruppen. Jährlich werden rund fünf Millionen Osho-Bücher in über 50 Sprachen verkauft.
Der 1931 als Chandra Mohan Jain in einem indischen Dorf geborene Bhagwan startet seine spirituelle Karriere 1953. Unter einem Baum wird er erleuchtet.
Ab 1968 schart Rajneesh, so sein damaliger Spitzname, in Bombay die ersten Schüler um sich. Seine Kritik an Priestern, Politik und Sexualmoral in Indien trägt ihm den Namen «Sex-Guru» ein.
1974 entsteht in Poona (heute Pune) die erste Kommune. Seine Jünger nennt er Neo-Sannyasins.
Um 1980 lockt der Ashram (Kloster) Zehntausende Sinnsuchende an, praktiziert wird ein Mix aus westlichen Therapien und östlichen Meditationen. Den Indern ist der von Westlern überrannte Ashram suspekt, ein extremistischer Hindu verübt einen Mordanschlag auf Bhagwan. Der Staat entzieht dem Ashram rückwirkend den steuerbefreiten Status, was Forderungen in Millionenhöhe zur Folge hat.
1981 zieht die Kommune in den US-Bundesstaat Oregon. Es entsteht eine eigene Stadt. Besonderes Aufsehen erregt Bhagwans Rolls-Royce-Flotte mit über 90 (!) Wagen. Die Kommune kauft im nächstgelegenen Ort Antelope Häuser auf, übernimmt mit zweifelhaften Methoden die Mehrheit im Stadtrat und benennt das Dorf in Rajneesh um.
Mit Aids kommt 1984 das Ende der freien Liebe. Bhagwan ordnet Safer Sex mit Kondom und Einweghandschuhen an, selbst Küssen wird verboten.
1985 das Aus in Oregon. Die Kommune hat sich im Dauerclinch mit den Nachbarn kriminalisiert. Bhagwans Sekretärin Sheela flieht, wird verhaftet und landet im Gefängnis. Auch Bhagwan wird kurz inhaftiert und des Landes verwiesen.
Nach einer Odyssee kehrt Bhagwan 1987 nach Pune zurück. Aus dem Ashram wird ein Meditations-Resort. Der Guru ändert seinen Namen in Osho und die Kleidervorschriften von Orange in Dunkelrot und Weiss.
Am 19. Januar 1990 stirbt Osho mit 58 Jahren.
Heute zählt das International Meditation Resort in Pune zu den attraktivsten Touristenattraktionen Indiens. Die Sannyasin-Szene hat sich individualisiert, überall gibts kleine Zentren und Gruppen. Jährlich werden rund fünf Millionen Osho-Bücher in über 50 Sprachen verkauft.
Donnerwetter im Kopf
In meiner zweiten Woche in der meditativen Wohlfühloase wage ich mich ins Samadhi. Hier liegt die Asche des Meisters, Marmor, Kristall und dicke Teppiche scheinen jedes Geräusch zu verschlucken. Ein Gong kündet eine Stunde Schweigen an, ich fluche innerlich. Meine Gedanken ziehen nicht wie ruhige Wolken, sondern wie ein Donnerwetter durch meinen Kopf, die Füsse schlafen ein, und ich will nichts wie raus hier. Doch erstaunlich schnell erlöst mich der zweite Gongschlag, wie auf Watte kehre ich in die Parkanlage des Resorts zurück. Alles scheint ein bisschen anders, intensiver, die Blätter der Bäume sind grüner, jeder Bissen schmeckt, als ob ich das erste Mal essen würde.
Fenster in eine neue Welt
Drogen habe ich keine genommen, und zur freien Liebe oder sonst irgendwas hat mich nie jemand gezwungen. Wie eine Sekte hat sich dieser Ort nie angefühlt. Für mich hatte sich einfach ein Fenster in eine neue Welt geöffnet. Ich reiste oft wieder dorthin, so lange, bis es genug war. Heute kostet der Tagespass im Edel-Ashram umgerechnet 25 Franken, mir ist das zu teuer geworden. Meditieren kann ich inzwischen bei mir daheim und überall auf der Welt. Dank dem Guru ganz ohne Guru.
Ihr Haar ist ergraut, der Blick liebevoll, mit Hingabe betreut Sheela Birnstiel (69) in zwei Wohnheimen in Baselland alte und geistig behinderte Menschen. Kaum zu glauben, dass die indische Dame dieselbe Sheela ist, die in den 1980er-Jahren weltweit für Schlagzeilen sorgte. Sie war die Sekretärin, Vertraute, die rechte und die harte Hand des berühmtesten Gurus dieser Zeit, damals bekannt als Bhagwan.
Die Kommune der Sannyasins zog 1981 vom indischen Pune in den US-Bundesstaat Oregon, auf der Big Muddy Ranch verwirklichten 15'000 Sannyasins ihren Traum einer Gemeinschaft. Den Anwohnern aber war die sogenannte Sex-Sekte höchst suspekt, sie leisteten Widerstand, es kam zum Eklat. Das ganze Ausmass wird in der Netflix-Serie «Wild Wild Country» dokumentiert, die weltweit für Aufsehen sorgte.
Gnadenlose Zeiten unter Sheelas Kommando
Darin wird gezeigt, wie sich die zunächst friedvolle Bewegung der Bhagwan-Jünger radikalisiert und sich unter Sheelas Kommando bewaffnet. Genau in dieser Zeit hatte sich der Guru in rätselhaftes Schweigen zurückgezogen. Erst nach Sheelas Flucht aus Oregon ergriff er öffentlich das Wort und liess sie vor aller Welt fallen.
Zu den Vorwürfen der US-Ermittler gehörten Betrug durch Scheinehen, versuchter Mord, Anstiftung zu Massenvergiftung. Tatsächlich fand man bei Birnstiel unter anderem Abhöranlagen und Bioterror-Versuchseinrichtungen.
Zu zehn Jahren verurteilt
Birnstiel wurde 1986 in den USA zu zehn Jahren verurteilt. Nach 29 Monaten Gefängnis wurde sie wegen guter Führung vorzeitig entlassen. Seither lebt sie in der Schweiz und hat in Baselland zwei Heime gegründet, sie arbeitet sieben Tage die Woche bis zu zwölf Stunden täglich.
«Die Arbeit war mir sehr wichtig nach meinem Gefängnisaufenthalt. Ich musste wieder auf die Beine kommen und mein Selbstwertgefühl zurückerlangen», erzählt Sheela BLICK. «Zu diesem Zeitpunkt waren meine Eltern noch nicht bei mir, sondern sie lebten in Indien. Ich vermisste sie sehr. Ich habe in allen älteren Menschen meine Eltern gesehen. Das animierte mich, eine WG für Senioren zu gründen.»
«Immer noch verliebt in Bhagwan»
Mit der Netflix-Dokumentation ist sie wieder ins Interesse gerückt, Birnstiel gibt grosszügig Interviews. «Mein Leben ist wohl einfach interessant», sagt sie verschmitzt. Obwohl sie nichts mehr mit der Welt der Sannyasins zu tun habe, sei ihre Liebe zu Bhagwan nie erloschen. «Ich habe bei ihm weder Sex, Macht noch Erleuchtung gesucht. Ich war verliebt in Bhagwan – und so ist es immer noch.»
Ihr Haar ist ergraut, der Blick liebevoll, mit Hingabe betreut Sheela Birnstiel (69) in zwei Wohnheimen in Baselland alte und geistig behinderte Menschen. Kaum zu glauben, dass die indische Dame dieselbe Sheela ist, die in den 1980er-Jahren weltweit für Schlagzeilen sorgte. Sie war die Sekretärin, Vertraute, die rechte und die harte Hand des berühmtesten Gurus dieser Zeit, damals bekannt als Bhagwan.
Die Kommune der Sannyasins zog 1981 vom indischen Pune in den US-Bundesstaat Oregon, auf der Big Muddy Ranch verwirklichten 15'000 Sannyasins ihren Traum einer Gemeinschaft. Den Anwohnern aber war die sogenannte Sex-Sekte höchst suspekt, sie leisteten Widerstand, es kam zum Eklat. Das ganze Ausmass wird in der Netflix-Serie «Wild Wild Country» dokumentiert, die weltweit für Aufsehen sorgte.
Gnadenlose Zeiten unter Sheelas Kommando
Darin wird gezeigt, wie sich die zunächst friedvolle Bewegung der Bhagwan-Jünger radikalisiert und sich unter Sheelas Kommando bewaffnet. Genau in dieser Zeit hatte sich der Guru in rätselhaftes Schweigen zurückgezogen. Erst nach Sheelas Flucht aus Oregon ergriff er öffentlich das Wort und liess sie vor aller Welt fallen.
Zu den Vorwürfen der US-Ermittler gehörten Betrug durch Scheinehen, versuchter Mord, Anstiftung zu Massenvergiftung. Tatsächlich fand man bei Birnstiel unter anderem Abhöranlagen und Bioterror-Versuchseinrichtungen.
Zu zehn Jahren verurteilt
Birnstiel wurde 1986 in den USA zu zehn Jahren verurteilt. Nach 29 Monaten Gefängnis wurde sie wegen guter Führung vorzeitig entlassen. Seither lebt sie in der Schweiz und hat in Baselland zwei Heime gegründet, sie arbeitet sieben Tage die Woche bis zu zwölf Stunden täglich.
«Die Arbeit war mir sehr wichtig nach meinem Gefängnisaufenthalt. Ich musste wieder auf die Beine kommen und mein Selbstwertgefühl zurückerlangen», erzählt Sheela BLICK. «Zu diesem Zeitpunkt waren meine Eltern noch nicht bei mir, sondern sie lebten in Indien. Ich vermisste sie sehr. Ich habe in allen älteren Menschen meine Eltern gesehen. Das animierte mich, eine WG für Senioren zu gründen.»
«Immer noch verliebt in Bhagwan»
Mit der Netflix-Dokumentation ist sie wieder ins Interesse gerückt, Birnstiel gibt grosszügig Interviews. «Mein Leben ist wohl einfach interessant», sagt sie verschmitzt. Obwohl sie nichts mehr mit der Welt der Sannyasins zu tun habe, sei ihre Liebe zu Bhagwan nie erloschen. «Ich habe bei ihm weder Sex, Macht noch Erleuchtung gesucht. Ich war verliebt in Bhagwan – und so ist es immer noch.»