Wenn am 1. März die Schellen läuten, schlägt sein Herz höher. Not Schlegel (72) liebt den alten Brauch in seinem Heimatdorf Guarda GR. «Schon als kleiner Bub war es mein Ziel, beim Chalandamarz mit der Kuhglocke zuvorderst durchs Dorf zu ziehen», sagt er in breitem Engadiner Dialekt.
Seit der Film «Schellen-Ursli» die Schweizer Kinosäle füllt, ist diese Erinnerung des Bündner Landwirts präsent wie schon lange nicht mehr. «Denn ich bin der wahre Schellen-Ursli», verrät Schlegel. Und das kann er auch belegen: Als Bub war er Nachbar der Schriftstellerin Selina Chönz (†89). Für ihr Meisterwerk nahm sie sich die Dorfbuben als Vorlage. «Sie sagte mir immer, dass ich die Figur in ihrem Buch am besten verkörpere. Darauf bin ich richtig stolz.»
Ein Blick auf alte Fotos des Landwirts zeigt, was Chönz damals in ihm sah: Sein schelmisches Lachen, seine frechen Locken, die Zipfelmütze – Schlegel stellte den Bergbuben perfekt dar. Doch er spielte die Geschichte nicht nur, er lebte sie. So wie Schellen-Ursli im Buch kannte auch er schwere Zeiten. «Meine Eltern waren Selbstversorger», sagt er. «War die Ernte mager, hatten wir weniger zu essen. Und die Winter im Engadin sind hart und lang.»
«Ich war im ersten und bin im neuen Film dabei»
Chönz war vom Nachbarbuben so begeistert, dass sie ihn für den ersten «Schellen-Ursli»-Film vorschlug. «Das war 1953. Die Dreharbeiten waren wahnsinnig aufregend», so Schlegel, der damals zehn Jahre alt war. Gesehen hat er den Streifen bis heute nicht. «Produziert wurde der Film von Amerikanern, die nahmen ihn mit in die USA. Seither ist die Filmrolle verschollen.» Der verlorene Ruhm – Schlegel hat das nie gross interessiert. «Ich habe bei den Dreharbeiten etwas viel Schöneres gefunden», sagt er. «Meine Frau! Sie spielte auch mit. Heute sind wir 48 Jahre verheiratet, haben vier Kinder und zwölf Enkel.» Not und seine Frau Tilli haben Guarda und das Engadin nie für längere Zeit verlassen. «Das ist unsere Heimat, hier gehören wir hin», sagt er. Noch heute hilft er seinem Sohn auf dem Bauernhof in der Nähe von Guarda.
Etwas Hollywood-Luft schnupperte Schlegel im letzten Jahr, als die Filmcrew von Regisseur Xavier Koller (71) für die Neuverfilmung drehte. «Ich bin darin tatsächlich als Statist zu sehen», freut er sich. «So schliesst sich der Kreis. Ich war im ersten und auch im neusten Film dabei.»
Jetzt freut sich Schlegel auf den 1. März im neuen Jahr. «Ich werde meine Enkel begleiten», sagt er. «In der Familie des echten Schellen-Ursli wird dieser Brauch für immer weiterleben.»
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