Im Sun Studio in Memphis traf es mich wie ein Schlag: Welch ein Musiker, welch eine Umwälzung! Es steht noch da, das alte Mikrofon: das silberne Shure 5-5 mit den seitlichen Rillen, mittels dem ein gewisser Elvis Aaron Presley am 18. Juli 1953, gerade 18-jährig, seine erste Aufnahme machte. Und als an dem Originalschauplatz nun diese Klänge aus den historischen Boxen röhrten und auf einem Schwarz-Weiss-Schirm Elvis’ erste Fernsehauftritte zu sehen waren – «Hound Dog», «All Shook Up», «Jailhouse Rock» –, begriff ich mit einem Mal: Dieser Mann hat die Popkultur geprägt wie kein anderer, er hat alle Musik beeinflusst, die nach ihm kam.
Ich war hin! … und! … weg! Diese Wucht, diese Unschuld, diese … Erotik wäre untertrieben. Es war purer Sex. Es war die schiere Rebellion. Es war alles, was Gott verboten hatte. Elvis entfesselte das prüde Amerika. Und später die Welt. Ein Hüftschwung für die Ewigkeit.
Als ich in Graceland das Grab des King besuchte, begingen Fans gerade dessen 20. Todestag. Windräder, Kränze mit Trauerschleifen, ein Blumenmeer. Und mittendrin Menschen jeden Alters, in Tränen aufgelöst. Die Verehrung für Elvis, wurde ich gewahr, ist eine Mischung aus Kitsch und Religion. Doch längst hatte sie auch mich ergriffen.
Tablettensüchtiger Waffennarr mit Verfolgungswahn
Wenn ich auch nicht ahnte, dass ich ihm mal ein ganzes Kabarettprogramm widmen würde. Man könnte meinen, ich wollte mich mit seinem Namen schmücken. Aber was für ein Schmuck wäre das denn? Die meisten Leute haben nur den gealterten Elvis in Erinnerung, den fetten Las-Vegas-Elvis, die Karikatur. Den tablettensüchtigen Waffennarr mit Verfolgungswahn, der in der Nacht auf den 16. August 1977 einen Cocktail aus neun Antidepressiva, Schmerz- und Schlafmitteln zu sich nahm und dann am eigenen Erbrochenen erstickte.
Der arme Kerl. Er war zuletzt nicht mehr bei Trost. Auch das nahm er vorweg, das traurige Ende und den frühen Tod, den nach ihm andere sensible Hochbegabte erleiden würden: Kurt Cobain, Amy Winehouse, vom Erfolg überfordert, vom Leben verstört.
Schicht um Schicht gilt es von dem tristen Abziehbild wegzukratzen, zu dem Elvis Presley geworden ist. Es gilt, die Sicht auf den jungen, unendlich talentierten Burschen freizulegen, das blanke Genie. Diese Stimme! Diese Urkraft! Was er bewirkt hat? Alles, befand John Lennon. «Before anybody did anything, Elvis did everyhting», sagte der Beatle. Elvis hatte alles schon getan, alles erfunden: die wilden Konzerte, den Fankult, das Merchandising, das Live-Konzert in Mondovision, ja, sogar das Comeback. Seine Karriere war prototypisch und bleib beispiellos. Niemand hat mehr Platten verkauft als er.
Elvis riss im rassengetrennten Amerika die Schranken nieder
Womöglich erzählt mein Programm von einer Obsession. Ich suchte in Tupelo, Mississippi, die Stelle auf, an der einst die Krippe von Elvis stand, ich sprach mit dem schwerhörigen Alten, der ihm 1946 für 6.95 Dollar die erste Gitarre verkauft hatte, ich sass bei seinem Entdecker, Sam Phillips, auf der Couch, sprach mit Presleys bestem Freund, seiner Tochter, seinen vermeintlichen Feinden: den schwarzen Bluesmusikern aus Memphis. Und was sagten sie? Dass sie ihm unendlich dankbar seien. Denn Elvis, der sich schon als kleiner Junge in die E Street Baptist Church geschlichen hatte, weil er den schwarzen Gospel so mochte, brachte die afroamerikanische Musik als Erster ans weisse Radio und riss damit im streng rassengetrennten Amerika Schranken nieder.
Gewiss, «Was würde Elvis sagen?» handelt nicht nur von ihm. Es geht auch um digitalen Datenirrsinn, um Rüstungsexporte, Klimawandel, Fussballhooligans und das Älterwerden. Weil Humor, finde ich, eine ernste Sache ist. Gewidmet aber ist mein Programm dem King of Rock ’n’ Roll. Natürlich ist das anmassend von mir. Aber aus Liebe darf man auch Dummheiten begehen.
Bänz Friedli, «Was würde Elvis sagen?», Premiere am 27. Februar im Theater am Hechtplatz, Zürich; weitere Auftrittsdaten unter www.baenzfriedli.ch
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