In zwei Welten zu Hause: Die kosovo-albanische Autorin Shqipe Sylejmani (32) lebt seit frühester Kindheit in der Schweiz. Als Vierjährige zog sie mit ihren Eltern nach Muttenz BL, wo sie lernen musste, mit zwei gänzlich unterschiedlichen Kulturen umzugehen. «In meiner Klasse gab es keine Ausländerkinder», sagt Sylejmani zu BLICK. «Nur mich und einen Jungen aus Südkorea. Also versuchte ich, in der Schule die perfekte Schweizerin zu sein, zu Hause die perfekte Albanerin.» Mit Kolleginnen ging sie zum Schwingfest, mit dem Vater hörte sie albanische Volkslieder. «Das führte zu einer Identitätskrise», erklärt die Autorin. Diese Krise hat sie nun in ihrem vielbeachteten Debütroman «Bürde und Segen» verarbeitet.
Geschichten ihres Landes vor dem Vergessen bewahren
Die Idee zum Buch entstand auf einer Reise durch das Land ihrer Vorfahren: «Ich fuhr von Albanien aus nach Kosovo. Meine Tante Kadire begleitete mich und erzählte mir viele Geschichten von Land und Leuten. Ich war fasziniert, schrieb sofort alles auf.» Die Journalistin begann sich mit den Menschen vor Ort auszutauschen. «In zwei Wochen hatte ich dreissig Anekdoten beisammen.» Wieder zu Hause, erlag Tante Kadire mit 51 Jahren einem Krebsleiden. «Am Sterbebett versprach ich ihr, dass ich die gesammelten Geschichten in ein Buch packen würde und sie so vor dem Vergessen bewahre», sagt Sylejmani. Zudem habe sie mit dem Buch allen jungen Frauen helfen wollen, die Ähnliches durchmachen würden wie sie: «Ich wäre als junge Albanerin in der Schweiz froh gewesen, hätte ich dieses Buch lesen können.»
In «Bürde und Segen» schickt Sylejmani ihre Romanheldin auf dieselbe Reise, die sie in ihrer Jugend erlebte. «Die beiden Kulturen unterscheiden sich vor allem im Rollenbild der Frau. Eine Schweizerin darf mitreden, hat mehr zu sagen als eine Albanerin. Plötzlich wollte ich zu Hause auch eine Stimme haben. Das stellte meine Eltern vor eine Herausforderung. Sie realisierten: Sie können mich in der Schweiz nicht auf dieselbe Weise erziehen, wie sie es in Albanien getan hätten.»
Träume der Mütter wahr werden lassen
Die beiden Kulturen können immer noch viel voneinander lernen, ist sich Sylejmani sicher: «Die Schweizer sind pünktlicher und genauer und in manchen Dingen liberaler. Albaner nehmen dafür mehr Rücksicht auf ihre Eltern und Grosseltern.» Dieser enge Familienzusammenhalt sei denn auch ein Grund dafür, dass immer mehr Sängerinnen mit albanischen Wurzeln wie Rita Ora (29), Dua Lipa (25) oder die Bernerin Ilira (26) die internationalen Charts erobern. «Unsere albanischen Mütter konnten ihre Träume oft nicht verwirklichen. Das bestärkt uns Töchter umso mehr darin, nicht aufzugeben, egal wie oft wir ein Nein hören. Wir wollen nicht nur unsere, sondern auch die Träume unserer Mütter wahr werden lassen.»
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