Er ist diplomierter Arzt und steht als Comedian auf der Bühne. Fabian Unteregger (43) spricht mit BLICK aus ärztlicher Sicht über die Corona-Krise – und was wir gerade Gutes für uns und andere tun können – um nicht den Mut und den Humor zu verlieren.
BLICK: Herr Unteregger, was können wir gegen den Corona-Koller tun?
Fabian Unteregger: Unserem Tag Struktur geben. Und den inneren Sauhund überwinden. Der ehemalige Oberbefehlshaber der US-Spezialeinheiten – William McRaven – zum Beispiel empfiehlt ganz banal jeden Morgen, kaum aufgestanden, das Bett zu machen. Das gibt uns ein Gefühl von ‹ich hab schon was erreicht›. Ich mache das genau so und – es funktioniert!
Und wenn Betten nicht hilft?
Struktur ist wichtig. Es hilft, wenn man seinen Tag strukturiert und sich zwischen Heim-Büro, Heim-Unterricht, Hausarbeit kleine Inseln bauen kann, die Spass machen, sich irgendwie belohnt – eine Strickleiter durch den Tag. Man sollte sich realistische Ziele setzen. Kurz- und mittelfristig.
Wie kann so ein Ziel aussehen?
Kurzfristig zum Beispiel Zopf backen. Zum Einsteigen mit Zopf-Backmischung beginnen. Ist der erste Zopf mit Fertigmischung gelungen, auf die Fertigmischung verzichten und die Zutaten einzeln kaufen. Gelingt der Zopf auch so? Oder ist die Zopf-Oberfläche rau? Dann könnte man beim nächsten Besuch der Bäckerei fragen, wie man das noch besser machen kann. Hat in der Bäckerei auf sicherer Distanz einen sozialen Kontakt, der einen auch noch weiter bringt. Es geht darum, sich Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. Kleine Freuden im Tag. Langfristig ist es der ideale Zeitpunkt, um sich Fähigkeiten anzueignen oder Sachen zu tun, für die man selten Zeit hatte. Lustigerweise gibt es viele, die früher oft sagten, sie hätten keine Zeit, nun beklagen sie, es sei langweilig. Man kann das Internet nicht nur fürs WC-Papier-Bestellen nutzen. Es gäbe auch dank Onlinekursen und Tutorials so viele Möglichkeiten. Warum nicht endlich mal Italienisch lernen? Oder Gitarre? Oder eine App entwickeln? Oder fürs Gottemeitli oder für den Göttibueb eine Geschichte schreiben? Oder einen Onlinezertifikat machen, das einen beruflich weiterbringt?
Was kann ich für andere Menschen Gutes tun?
Man könnte zum Beispiel jemanden mit einem kleinen Geschenk überraschen – sicher per Onlineshop bestellt. Jemanden beschenken macht auch selbst Freude – doppeltes Glück sozusagen. Das schafft auch Nähe. Und Nähe ist wichtig. Der Begriff Social Distancing ist unglücklich gewählt, da es ja nicht darum geht, den Kontakt zu Familie, Freunden, Bekannten, Arbeitskollegen abzubrechen, sondern die physische Distanz zu vergrössern, um die Ansteckungswahrscheinlichkeit zu reduzieren. Der soziale Kontakt, der so noch möglich ist, sei es via Facetime oder andere Kommunikationskanälen, ist aber wichtiger denn je. Oder jemandem sagen, dass man ihn oder sie vermisst oder sehr schätzt, hat viel Potenzial.
Sie tun selbst auch Gutes. Sie haben auf Instagram live kostenlose Online-Sprechstunden abgehalten, damit die Leute nicht physisch in eine Arztpraxis müssen.
Ja, zu Beginn der Krise wurden Arztpraxen mit Telefonanrufen und kaum umsetzbaren Sicherheitskonzepten de facto lahmgelegt. Gleichzeitig hatten Herr und Frau Schweizer sehr viele Fragen, was das Virus und das Leben damit angeht. Da habe ich ein E-Mail eingerichtet und Corona-Fragen gesammelt. Konnte ich diese nicht selbst beantworten, habe ich Fachärzte beigezogen. Pro Sprechstunde habe ich so mehrere Hundert Follower erreicht, die für sich die Infos mitnehmen konnten, die für sie von Nutzen waren. Das waren Fragen wie «Dürfen wir noch Sex haben?», «Ich bin im Homeoffice, aber meine Frau arbeitet aber draussen bei der Spitex, macht das Sinn?», «Meinem Partner wurde vor einem Jahr mit einer Elektrode eine Leitungsbahn im Herzen verödet, ist er nun Risikogruppe, er fühlt sich aber topfit?» dabei. Richtig aus dem Leben gegriffen.
Sie bieten also eine schnelle, unkomplizierte Hilfestellung.
Genau.
Man hat das Gefühl, es machen viel mehr Sport als sonst – täuscht das?
Bewegung und Sport sind natürliche Antidepressiva. Das gute Wetter hilft zusätzlich. Ich sehe aber viele, von denen ich glaube, dass sie sonst kaum joggen. Sie joggen gebückt und sehen dabei aus wie Pilzsucher mit einer Gabel im Po. Joggen braucht vor allem eine gute Rumpfmuskulatur – sie trägt die Belastungen. Hier sind wir bei einem weiteren Ziel: die Rumpfmuskulatur zu stärken, zum Beispiel mit Vierfüsslerstand, Unterarmstand, oder Seitstütz. Zuerst zehn Sekunden, zwanzig, dann dreissig Sekunden durchhalten, das Ganze ein-, zwei-, oder dreimal. Kleine Ziele, die einen motivieren. Wichtig ist es, sich nicht zu überfordern und sich nicht nach jeder Übung mit Glacé zu belohnen. Sonst trainieren wir plötzlich nur noch den Verdauungstrakt.
Hilft Humor dabei, nicht den Mut zu verlieren?
Humor nimmt die Schwere. Das gilt leider nicht fürs Abnehmen. Mit einem Witz kann ich dem Körper leider nicht die Schwere nehmen (lacht). Aber beim Humor gilt: C’est le ton qui fait la musique. Zynische Pointen führen einem nur die Mühsal der Krise zutage. Zu Beginn der Krise kursierten auf Whatsapp Hunderte Corona-Witze, letztlich als Ventil der Angst. Dann hat sich die Situation eingependelt, und der tägliche Corona-News-Beschuss führte aber zu einer raschen Sättigung. Der Whatsapp-Humor hat sich mittlerweile wieder normalisiert. «Zum Glück ist Freitag» auf SRF 3 haben wir nun über die ganze Woche verteilt, sodass man täglich lachen kann.
Ist die Krise auch eine Chance?
Ich bin gespannt, welche Innovationen die aktuelle Lage hervorbringen wird. Viele Leute langweilen sich und wenden sich Sachen zu, die sie sonst nicht tun. Und hier liegt Potenzial. Das Immunsuppressivum Ciclosporin wurde von einem Forscher in Norwegen beim Wandern entdeckt, Penicillin, Viagra, Sekundenkleber, Post-Its, Newtons Entdeckung der Schwerkraft, all diese Errungenschaften verdanken wir einer gehörigen Portion Zufall. Und wer hätte gedacht, dass das Abflachen einer Kurve plötzlich mehr Schweizer/-innen interessiert als ein Spiel der Schweizer Nati an einem grossen Turnier – und das über Wochen! Und wenn wir wieder ans Meer fahren dürfen und an den Horizont schauen, fragen wir uns plötzlich, kommt da draussen nun eine zweite Welle?
Worauf freuen Sie sich nach der Krise am meisten?
Meine Liebsten umarmen und morgens aufwachen, ohne daran zu denken, dass die Welt grad in der Boxengasse steht.