Alt Bundesrat Adolf Ogi (77) ist immer wieder für eine Überraschung gut. Dass er sich als früherer Sportminister für das Lauberhornrennen einsetzt, war mehr oder weniger vorhersehbar. Etwas unerwarteter ist seine neuste Wortmeldung – das Buch «Lieblingsorte: Dölf Ogi im wildromantischen Gasteretal» von Andrea Fischbacher, das kommende Woche im Werd & Weber Verlag erscheint. Es zeigt den Ex-Magistraten von seiner tiefsinnigen, philosophischen Seite. «Ich zeige hier meinen Charakter und öffne mein Innenleben», sagt Ogi zu SonntagsBlick. «Und wenn ein paar Leute irritiert sein sollten, würde mich das nicht erstaunen.»
Seine Motivation, dieses Buch trotzdem zu wagen: Er werde bald 78. Es sei Zeit, Bilanz zu ziehen und zu schauen, was wirklich war. «Dieses Buch ist ein guter Schlussstrich unter die vielen Publikationen, welche es bereits von mir gibt.» Es enthüllt, wie zentral das Gasteretal, dieses Tal bei Kandersteg BE, für die Figur und den Privatmann Ogi ist. «Es hat mir sozusagen mein Leben und mein Seelenheil gerettet – und mich immer wieder auf die Beine gebracht», sagt Ogi. Wenn er im Bundesrat habe leiden müssen und die Attacken betreffend Neat kaum mehr aushielt, war es ihm eine treue Zuflucht. «Ich musste als Bundesrat mehr als einmal weinen, hier nie. Die Kraft, die dieses Tal ausströmt, verbannt allen Kummer. Ein Zauber liegt über dem Gasteretal, bestehend aus Stein, Wasser, Wind und Wetter.»
«Das Wasser von hier hat mich ins Bundeshaus gespült»
Wenn er hierherkomme, sei es jeweils, als würde er einen schweren Kittel ablegen, Sünden inklusive. «Dieses Tal und meine Lieblingsorte darin sind ein Sinnbild für das ewige Werden, ein Spiegel meiner selbst. Was vor uns war, wirkt weiter, nicht nur in unserem Denken, sondern auch auf der Natur-Kultur-Ebene.» Und eines sei gewiss: «Das Wasser von hier hat mich ins Bundeshaus gespült und kein Uni-Hörsaal. Hier habe ich meine Visionen entwickelt.»
Die heimatliche Natur und der Glaube hätten ihm stets die Kraft gegeben weiterzugehen. In diesem Tal sei er dem Himmel immer am nächsten gewesen: «Ich bin dem lieben Gott jeden Tag dankbar dafür, dass ich all dies erreichen durfte. Ich hadere nur in einem Punkt mit ihm: Ich habe 2009 meinen Sohn Mathias verloren. Meine Frau Katrin, meine Tochter Caroline und ich sind nicht die Einzigen, die ein solcher Verlust getroffen hat, das ist mir bewusst. Aber das ist mein Sohn und mein Schicksalsschlag. Ich bin fragend, suchend, finde keine Antwort. Ich werde das nie wirklich verkraften können.»
Adolf Ogi als Anhänger von Immanuel Kant
Ob es eigentlich nicht klüger wäre, niemandem von seinen Lieblingsorten zu erzählen, um sie zu schützen? Ogi überrascht aufs Neue, entpuppt sich als Anhänger des deutschen Denkers Immanuel Kant (1724–1804). Er könne diese Überlegung zwar verstehen, sagt er, sie wäre für ihn aber bevormundend. «Damit ginge ich davon aus, ich selber sei zwar aufgeklärt und verantwortungsvoll, andere Menschen jedoch nicht. Indem ich meine Lieblingsplätze bekannt mache, werden sie als wertvolle Orte in einer intakten Landschaft wahrgenommen. Und die Menschen sind gerne bereit, etwas Wertvolles zu schützen.»