Es gibt sie noch, die Rock ’n’ Roller, die mit Elvis und Johnny Cash aufwuchsen. Die noch heute Lederjacken und knallenge Jeans tragen und deren Lebensweg eher ein Roadmovie ist als eine geplante Fahrt ins AHV-Alter.
Einer dieser Typen, die sich lieber auf eine Harley-Davidson schwingen als in einen Porsche, lieber in Cowboy-Stiefeln aus Nashville rumlaufen als in Bally-Schuhen, ist Albi Matter. Mit seiner Ich-AG organisiert er, zusammen mit George Tännler, seit 25 Jahren das grösste und längste Country-Festival Europas. Und macht aus dem Schützenhaus Albisgüetli in Zürich 38 Tage lang eine amerikanische Kleinstadt: mit Chevys und Harleys vor der Tür, Fine Country Music plus Cowgirls, Barbecue-Spareribs und «Best ever»-Cheesecake drinnen im Festsaal.
Wer sich monatelang mit Künstlern wie Mary Duff aus Irland, Steve Waylon und The Good Brothers aus Kanada, Billy Yates, Bonnie Jeanne Taylor oder The Bellamy Brothers rumschlägt, muss entweder einen Hang zum Irrsinn haben oder total angefressen sein.
Bei Albi Matter trifft beides nicht zu. Lässig zieht er sein Lederetui mit handgerollten Zigarren aus dem dunklen Blazer, bläst zum Ärger mancher Nichtraucher einen Kringel in die Luft und bläst ihn genüsslich vor sich hin – er ist nebenbei auch «Botschafter von Avo-Cigarren». «Eigentlich begann alles vor vielen Jahren, als ich im Zürcher Jugendcafé Blow Up jobbte.» Da kam er in Kontakt mit dem Schweizer Gitarristen Armand Volker, der damals für Tusk spielte und später Michael Jackson, Gianna Nannini, Tom Kelly oder Geier Sturzflug produzierte. «Da begann ich, nebenbei Konzerte zu organisieren», erinnert sich Matter. Und er kam über Good News zu EMI Records, um bei der Schallplattenfirma Manager zu werden.
Doch da erhob Papa Paul Matter den Finger. Der Sanitärmeister hatte nämlich eine Marktlücke entdeckt: das Reparieren von Badewannen, Duschen und Lavabos. Dafür entwickelte er ein spezielles Verfahren, das in vielen Ländern ein grosser Erfolg wurde – auch in Kanada. Und Albi musste drei Jahre als «Badewannen-Doktor» dorthin.
«War ’ne geile Zeit.» Erst lebte er in Montreal, dann in Toronto, schliesslich in Seattle (USA). «Und immer die Musik von Johnny Cash im Ohr. ‹This Land Is My Land› war meine Fanfare.»
Clever wie Albi nun mal ist, besuchte er in der Neuen Welt nicht nur Konzerte, sondern machte auch Interviews, etwa mit der kanadischen Kultband Bachman-Turner Overdrive oder den progressiven Rockern von Yes.
Zurück in Zürich, entdeckte der gelernte Buchdrucker auch eine kleine Gesetzeslücke bezüglich der Polizeistunde. Albi eröffnete den Big Apple Club nicht im Zentrum von Zürich, sondern in Altstetten. Da konnte die Jeunesse dorée bis 4 Uhr nachts abtanzen. Und Albi lernte Reggae-Legende Bob Marley kennen wie auch Queen-Sänger Freddie Mercury. «Herrgott, hab ich damals Geld verdient! Aber alles verpulvert mit Autos, Girls und was so dazugehört.»
Doch einer wie Matter, gestandenes Mitglied der Zunft zu Wiedikon, ist kein Hasardeur. «Als ich heiratete und wir drei wunderbare Töchter bekamen, wurde ich bürgerlich», sagt er. Und war fünf Jahre lang Verkaufsleiter bei Ex Libris. Dort wollte er eine interne Konzertagentur gründen, was er aber nicht durchsetzen konnte. «Also machte ich mich notgedrungen selbständig.» Als George Tännler das Albisgüetli übernahm, gründeten die beiden das erste gemeinsame Country-Festival: «Ein Pilotversuch.»
Daraus ist längst ein mehrwöchiges Spektakel geworden. Wo Weltstars wie die Dixie Chicks ihre ersten Lorbeeren holten, ebenso wie Mustang Sally, Marty Stuart, Pam Tillis, Neal McCoy oder eben The Bellamy Brothers. «Das ist schon Knochenarbeit», sagt Albi. «Da musst du immer die Nase vorne haben. Zum Beispiel in Nashville. Da sitzen in jeder Bude die Besten. Wenn ich eine Band höre, die uns einen vollen Saal garantiert, dann bekommt sie eine Chance.»
Apropos Chance. Die wittert der gelernte Buchdrucker jetzt auch in China. Dort lässt er seine «Klappbücher» drucken, genauer: 3D-Bücher über die wichtigsten Schweizer Städte und Regionen. Mit Kapellbrücke, Bundeshaus, Eiger, Mönch oder Matterhorn, die sich beim Aufklappen wie von Geisterhand aus dem Buch erheben.
«Mit meinem ersten Lehrlingslohn bei Orell Füssli kaufte und sammelte ich alles, was mit diesen Pop-up-Büchern zu tun hatte», sagt er begeistert. Die Rauchschwaden werden dichter. «Vielleicht ist das ja meine Altersversicherung – wenn die Bands so teuer werden, dass man sie nicht mehr zahlen kann.»
Bis es so weit ist, wird Matter allerdings noch oft am Zürcher Flughafen stehen, um seine «Girls und Boys» abzuholen. «Es ist Ehrensache, dass ich da bin, wenn sie aus Übersee anfliegen.»
Und er wird noch oft mit seinem «Goldstück» Winny aus Malaysia, seiner jetzigen Ehefrau, im grossen Hindutempel Sri Sivasubramaniar in Adliswil ZH beten – und noch öfter mit seinen Kumpels auf einer seiner zwei Harleys über den Brünig in die Freiheit der Alpenpässe donnern.
Er sitzt jetzt wieder Abend für Abend an seinem Tisch im Albisgüetli, Zigarre im Mund – um «seinen» Musikern ins Gewissen zu reden, wenn sie mal eine «Session» schon nach drei, vier Songs beenden: «Die müssen wissen, für wen sie bezahlt werden. Nämlich für das Publikum, nicht für mich. Für keinen Agenten und keine Agentur. Nur für die, welche zahlen, essen, trinken, tanzen – und noch echte Country-Livemusik hören wollen.»