Abt Urban Federer
«Für mich ist es kein Problem, wenn jemand schwul ist»

Der 47-jährige Einsiedler Abt Urban Federer spricht im Interview mit BLICK über Gott, die Liebe und Lady Gaga.
Publiziert: 16.10.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 01:56 Uhr
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Abt Urban Federer im Kloster Einsiedeln.
Foto: Thomas Lüthi
Von Flavia Schlittler (Text) und Tom Lüthi (Fotos)

BLICK: Wie spricht man Sie korrekt an?
Urban Federer:
Insider nennen mich Abt Urban. In meinem Fall merken sich die meisten den Nachnamen besser und nennen mich Abt Federer oder Herr Federer. Das ist auch in Ordnung. 

Sind Sie Roger Federer schon einmal begegnet?
Gesehen habe ich ihn schon. Unsere Familien sind weit entfernt verwandt.

Schauen Sie Tennis am TV?
Ja, absolut. Meist habe ich nicht die Zeit, einen ganzen Match zu schauen, dann läufts im Hintergrund. Ich habe auch schon bei Wawrinka mitgefiebert. Ich schaue generell wenig Fernsehen. Die «Tagesschau» und was mich interessiert, schaue ich im Internet an.

Kennen Sie Lady Gaga?
Ja, sie ist ja so bekannt und kommt einem einfach entgegen. Ihre Musik ist jetzt nicht gerade mein Lieblingsstil, aber ich finde sie sehr originell.

Sie kennen Papst Franziskus. Was macht seine Faszination aus?
Ich bin ihm zweimal begegnet. Er ist wirklich so, wie er in den Medien rüberkommt. Er gibt einem die Hand, ist direkt, von einer enormen Herzlichkeit. Als ich mich beim letzten Treffen als Abt von Einsiedeln vorstellte, sagte er gleich: «Ihr habt doch ein Kloster in Argentinien gegründet.» Das hat mich sehr erstaunt.

Der Islam ist im Vormarsch, das von manchen angestrebte Burkaverbot spaltet die Gemüter, die Flüchtlingsdebatte macht vielen Angst. Wie können wir damit umgehen?
Eine Diskussion in so komplexen Themen zu führen, ist immer schwierig, da man oft zu wenig darüber weiss. Meiner Erfahrung nach gehen Dialog und Verständnis gut über das Essen und die Musik. Als die Italiener zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu uns kamen, hiess es auch, die vom Süden essen so komische Fäden. Heute gehören Spaghetti auf unseren Menüplan. Ich finde es gut, sich gegenseitig einzuladen, um den Tisch zu sitzen, anderes zu essen, andere Musik zu hören, zu zeigen, was zu uns gehört. Der Dialog ist wichtig fürs Verständnis und um Verantwortung zu übernehmen. Weg vom egoistischen Ich-Gedanken hin zum Wir. Angst hingegen ist ein schlechter Ratgeber, auch Angst vor dem Islam. Besinnung auf die eigenen Werte und offener, auch kritischer Dialog bringen uns weiter. Gezielt Angst zu schüren, um daraus politisch Kapital zu schlagen, ist gefährlich!

Welches war der Moment, der Sie dazu brachte, dass Sie Gott Ihr Leben widmen möchten?
Ein ganz einfacher. Ich war 19, habe in den Klostergarten geschaut und gewusst, da will ich bleiben. Das Leben habe ich durch die Klosterschule schon kennengelernt, habe zu der Zeit auch an Anlässen serviert und stand hinter der Theke. Es war dieser Blick in den Garten und die Frage an mich: Was ist, wenn ich hier bleibe?

Wie war Ihre Teenagerzeit?
Ich machte Sport, Musik, fuhr Töffli und hatte eine Freundin.

Sie kennen alles?
Ich weiss, worauf ich verzichte.

Fällt Ihnen das immer leicht?
In jedem Leben gibt es etwas, das einem fehlt. Mein Leben mit Gott gibt mir so viel Wichtigeres. 

Wie haben Ihre Eltern reagiert?
Mein Vater hat mit mir von Mann zu Mann gesprochen, primär punkto Verzicht. Meine Mutter war sehr emotional. Von uns drei Kindern war ich der Erste, der von zu Hause auszog.

Worüber sprechen Sie mit Ihrer Schwester, CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer?
Wenn wir uns mit unserem Bruder an Familientreffen sehen, sprechen wir weder über Kirche noch über Politik. Sondern vor allem über ihre Kinder und ganz normale Themen.

Welche Bibelstellen mögen Sie besonders gern?
Als Kind mochte ich die Geschichten mit Jesus. Der Vater, der seinen verlorenen Sohn wieder aufnimmt. Neu entdecke ich gerade die Paulus-Briefe. Er war ein besonderer Denker, der auch die christliche Freiheit ins Spiel bringt. Frei sein heisst nicht, dass du machst, was du willst, sondern frei bist in dem, was du machst.

Wo steht die katholische Kirche heute, und wo geht die Reise hin?
Man muss unterscheiden, ob im Westen oder weltweit. Es gibt grosse Aufbrüche in Afrika und Südamerika. Ich habe das Gefühl, in der Schweiz tut man sich schwer, den Gedanken, wie die Kirche war, loszulassen. Dies gilt auch für die reformierte Landeskirche. Früher gingen die Leute in die Kirche und haben einfach zugehört. Heute wollen sie sich einbringen, ihre Meinungen kundtun, diesen Umgang müssen wir noch mehr lernen. Die sozialen Medien sind eine gute Chance für den Dialog. Ich nutze Twitter und Facebook, auch dies kann wieder Nähe zu Gläubigen schaffen.

Sie haben das Amt von Abt Werlen übernommen. Wie gross war sein Schatten?
Ich habe ihn weder gesehen noch einen Druck verspürt. Ich bin ich, habe meine Stärken, er seine. Ich war vorher sein Stellvertreter, bin also auf die Aufgabe vorbereitet worden. Wir haben heute noch guten Kontakt. 

Wenn ein junger Mann zu Ihnen kommt und sagt, er sei schwul, was sagen Sie?
Wenn es einer meiner Schüler ist, sage ich wohl, ich hätte es längst gedacht (lacht). Im Ernst, ich sage ihm, dass ich es wichtig finde, dass er seinen eigenen Weg geht. Für mich ist es kein Problem, wenn jemand schwul ist. Ich blicke nicht ins Schlafzimmer, das geht mich nichts an. Schwul sein ist das eine, dass jemand Treue leben kann, ist mir wichtiger.

Die gleichgeschlechtliche Beziehung ist nicht der katholische Gedanke.
Im Jahr 2002 hat die katholische Kirche der Schweiz schon gesagt, sie möchte, dass Schwule sich treu sein können. Wir haben den eigenen Begriff von Ehe. Das ist die Lebensweitergabe von Mann und Frau. Die katholische Kirche ist konsequent in den Fragen Leben weitergeben und Leben erhalten. Deshalb sind wir auch für Sterbebegleitung und nicht für Exit. Man muss das im Ganzen sehen. Wenn ein junger Mann mir sagen würde, er wolle seinen Partner heiraten, würde ich ihm entgegnen, rechtlich kannst du das machen, kirchlich nicht, weil die Kirche das so für sich definiert hat, was ihr Recht ist. Papst Franziskus hat auf die Frage der Homosexualität gesagt: «Wer bin ich, dass ich dich verurteile?»

Verhütung ist nicht erlaubt, viele werden in Armut geboren.
Das ist wahnsinnig heikel. Die katholische Kirche nimmt sich nicht aus dieser Thematik, im Gegenteil, wir sind in den meisten Hospizen in Afrika dabei. Doch allein Kondome zu verteilen, löst keine Probleme. Es geht mehr um den Umgang von Männern mit ihren Frauen. Aufklärung und Bildung sind ganz wichtig. Sich nur aufs Kondom zu stürzen, wäre für uns im Westen das Einfachste. Darüber diskutieren kann man immer. Glauben Sie mir, wir sind an der Front und haben unsere Erfahrungen.

Wohin geht diese Reise?
Für mich gibt es eine Hierarchie der Wahrheit. Es gibt Kriege, Menschen werden getötet, erniedrigt, ausgebeutet und sind auf der Flucht. Diese Thematik ist viel wichtiger. Es wirkt oft lächerlich, dass alles auf die gleiche Stufe gestellt wird. Die Diskussion über die grossen Themen muss wieder vermehrt stattfinden.

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