50 Shades of Dietlikon
Der neuste Sex-Schocker spielt in der Schweiz

«Hausfrau» – der Sex-Roman über die vernachlässigte Gattin eines CS-Bankers in Zürich.
Publiziert: 06.05.2015 um 11:15 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 17:31 Uhr
Autorin Jill Alexander Essbaum.
Von Kaye Anthon

Amerika feiert ein bitterböses Roman-Debüt. Es geht um die heile Welt in der Schweiz, eine fast heile Ehe und eine heillos verbiesterte Schwiegermutter. Und vor allem – um ganz viel harten Sex. Ort des Geschehens: Dietlikon ZH.

«Hausfrau» heisst das Erstlingswerk der Amerikanerin Jill Alexander Essbaum (44). Die «Financial Times», das Wall Street Journal, die Huffington Post in New York – sie alle loben den Roman, der jetzt schon auf dem Weg zum Bestseller ist. Essbaum macht keinen Hehl daraus: Das Leben ist hart. Und der Sex ist es auch. «50 Shades of Grey» trifft «Desperate Housewives».

Jill Alexander Essbaum lebt in Texas, lehrt kreatives Schreiben an der «University of California Riverside Palm Desert».  Dank eines Literatur-Stipendiums konnte sie die «Hausfrau» schreiben. Sie ist verheiratet, in zweiter Ehe. Die erste Ehe ging kaputt – in der Schweiz. Essbaum verarbeitet in «Hausfrau» offensichtlich ihre eigenen unglücklichen Jahre in der Schweiz. In einem Interview sagte sie: «Mein Mann war Student. (...) Der Zweck meiner Anwesenheit war undefiniert.»

Dabei habe sie schon als kleines Mädchen vom Leben im Ausland, als Expat also, geträumt. «Es hat sich als ein Elend herausgestellt. Aber ich möchte die Erfahrung nicht missen.»

Deshalb stimmt so peinlich viel, was die Romanheldin «Anna» (Tolstois Anna Karenina lässt grüssen) in Zürich so kennenlernt: Die Laugensandwiches beim Brezelkönig am Bahnhof Stadelhofen, die Märkli-Messer beim Coop, der Engel von Niki de Saint Phalle in der Bahnhofshalle Zürich. Und Weisheiten wie diese: Züge sind in der Schweiz nur verspätet, «wenn jemand sich davor wirft.» Und: «Alle sind nett. Aber kalt, you know.»

«Anna ist eine gute Ehefrau. Meistens.» So stehts im ersten Satz. Und man ahnt: Die Ehe ist ein Fiasko. Anna lebt seit neun Jahren an der Seite eines CS-Bankers in einem Häuschen in der Zürcher Agglo. Genauer gesagt in Dietlikon, ein Ort, vor allem berühmt für Ikea. Ihr Mann heisst Bruno, buckelt im mittleren Management und ist so leidenschaftlich wie ein Geldautomat. Anna war schwanger, als sie mit Bruno in die Schweiz zog, und «mehr oder weniger verliebt». Das würde reichen, glaubte Anna damals. «Mehr oder weniger», das reicht doch so oft.

Es folgen zwei weitere Kinder. Aber nach neun Jahren spricht Anna immer noch kein Deutsch, hat nicht mal einen Führerschein. Anna ist schwierig, gelangweilt und narzisstisch. Vor allem aber ist sie sehr traurig. Und Bruno sagt trocken: «Ich habe genug von deinem verdammten Elend, Anna, geh und lass dich in Ordnung bringen.“

Mit der S-Bahn fährt Anna zur Psychoanalytikerin Dr. Messerli nach Zürich. In dieser Zeit passt die «Königin der Einmischung», Schwiegermutter Ursula, auf die Kinder auf. Ursula, eine kühle, distanzierte, missbilligende Witwe, nur widerwillig hilfsbereit. Nicht unverhohlen lieblos zu Anna. Aber sie gibt Anna das Gefühl, eine Fremde zu sein – ist das nicht typisch schweizerisch?

Frau Dr. Messerli schickt Anna in den Deutschkurs, der soll ihr helfen. Denn: «Eine einsame Frau ist gefährlich. Eine einsame Frau ist gelangweilt. Gelangweilte Frauen handeln impulsiv.» Sie sagt auch: «Was wir vorhaben, ist egal. Wir schmieden Pläne, und der Teufel lacht uns dafür aus.»

An der Migros Klubschule trifft Anna den schottischen Whisky-Händler Archie, einen Mann mit grossen Händen. Sie sinniert über Sex mit dem «Fremden». Und dann steht da dieser Satz: «Anna, erinnerte sie sich, du hattest seinen Schwanz im Mund. Eigentlich ist er gar kein Fremder mehr.»

Aber ist er ein Freund? Anna hat kaum Freunde, vielleicht Mary, eine Kanadierin. Oder Edith, eine ebenfalls gelangweilte Banker-Frau von der Goldküste.

Bei den Männern hingegen ist Anna jetzt weniger wählerisch: Ob es Whisky-Archie, oder Victor, ein Zufalls-Bekannter von der Strasse – oder Karl ist, der Freund ihres Schwagers: Mit allen landet Anna im Bett.

Anna sucht harten Sex: «Auf Vorspiel war Anna nie besonders erpicht gewesen. (...) Reinstecken, rausziehen. So oft wie möglich wiederholen.» Der wilde Sex in rauen Mengen soll Annas Angst, die Verzweiflung und die Traurigkeit verjagen. Aber: «Je wilder er sie fickte, desto wahrhaftiger wurden ihre Gedanken.» Und es sind dunkle Gedanken.

Die Autorin enthüllt Annas ganze Zerrissenheit: „Anna mochte Sex, und sie mochte ihn nicht. Anna brauchte Sex, und sie brauchte ihn nicht. Ihr Verhältnis zu Sex glich einer komplizierten Partnerschaft, die gleichermassen auf Passivität und einem unstillbaren Wunsch nach Ablenkung basierte. Nach Begehren. Anna begehrte es, begehrt zu werden.» Auf der Suche nach Geborgenheit vögelt sich Anna durch die Stadt – und landet am Ende mit einem Lover bei der Kirche Fluntern. Sie will Sex am Grab von James Joyce...

Ist soviel expliziter Sex nötig in einem Roman über eine frustrierte Banker-Gattin? Essbaum sagt: «Die Sex-Szenen passen zu Anna. In einem Buch wie diesem muss man die Dinge beim Namen nennen.»

Das tut die Autorin. Und man spürt, sie hat irgendwie sogar Respekt vor Anna: «Es ist wagemutig, sich ficken zu lassen, oder zu ficken, mit jemanden dem man nicht die leiseste emotionale Verbindung hat. Man taumelt dabei über Messers Schneide.»

Sex ist Gewalt, sagt Essbaum – auch wenn er zahm ist: «Ein Stoss, die Penetration? Das sind Worte des Krieges.» Annas Erkenntnis dazu: «Das Herz ist ein Muskel, kein Knochen. Es kann nicht wirklich brechen.»

Dass ihre «Hausfrau» mit dem Welterfolg «50 Shades of Grey» verglichen wird, ist für Essbaum kein Problem: «Offensichtlich ist es der Sex, den die Leute damit verbinden. Aber es hat deutlich weniger Fesseln in meinen Buch. Es gibt viele Arten von Zwang, und nicht alle sind für Frauen unerfreulich.»

Anna sieht das anders: «Die Liebe ist ein Urteil. Ein Todesurteil.»

«Hausfrau» von Jill Alexander Essbaum erscheint auf Deutsch am 10. September 2015 im Eichborn Verlag.

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