Nächste Woche erscheint nach knapp neun Jahren Schweizer «Tatort» die allerletzte Flückiger/Ritschard-Folge aus Luzern, bevor es in der zweiten Hälfte 2020 mit dem neuen Zürcher Team weitergeht. Zeit für einen Rückblick auf insgesamt 17 Folgen. Sie standen regelmässig in der Kritik wegen behäbiger Erzählweisen, insbesondere anfangs auch wegen der schwierigen Synchronisation vom schweizerischen Originaldrehton zum Hochdeutschen. Die Einschaltquoten waren denn auch dementsprechend durchzogen bis eher bescheiden – sodass die «NZZ» bei der Bekanntgabe der Einstellung des Luzerner Teams sogar vom «Gnadenstoss» sprach. Und trotzdem sehen wir neben einem erleichterten auch mit einem wehmütigen Auge auf das Luzerner Team um Reto Flückiger (Stefan Gubser, 62), Chef von oft staubtrockener Hölzernheit, und Liz Ritschard (Delia Mayer, 52), Ermittlerin von oft unbegründet-unnützer Pampigkeit, zurück. Denn was man dem «Tatort» nicht vorwerfen kann, war mangelnde Konstanz – auch Hölzernes kann einem ans Herz wachsen. Bittesehr: Das Beste und Grottenmieseste aus neun langen Jahren Schweizer «Tatort», in neun kurzen Kategorien.
Der holprige Start
Die heutige SRF-Direktorin und damalige SRF-Kulturchefin Nathalie Wappler (51), damals intern als «Fallbeil vom Leutschenbach» gefürchtet, trampelt gleich anlässlich der ersten Folge mit Schmackes auf diversen Zehen rum: Getreu ihrem Übernamen weist sie die erste Folge «Wunschdenken» 2011 zurück und lässt den Erscheinungstermin verschieben – weil die Folge ganz einfach zu mies sei. Für den Auftraggeber, Peter Studhalter (51), Bereichsleiter Fiktion beim Schweizer Fernsehen, ist das eine öffentliche Demütigung, insbesondere, da es eigentlich ihm zu verdanken ist, dass der «Tatort» in der Schweiz nach einer zehnjährigen Pause ab 2001 überhaupt wieder stattfindet. Auch für den (für andere Projekte) preisgekrönten Regisseur Markus Imboden (64) ist die öffentliche Ohrfeige damals eine Schmach. Wappler hatte recht. Auch wenn die öffentliche Schlammschlacht nicht viel genützt hat: Trotz Nachdrehens einzelner Szenen und einer Nachsynchronisierung fällt die erste Folge «Wunschdenken» bei der Kritik gnadenlos durch.
Die besten und die miesesten Folgen
Zuschauerzahlen sprechen Bände, und damit wir die grösstmöglichen Zahlen präsentieren können, schauen wir zum grossen Nachbarn: In Deutschland war die spannende Serienmörder-Folge «Ihr werdet gerichtet» (2015) mit fast neun Millionen Zuschauern der meistgesehene Schweizer Fall überhaupt, der auch von allen Schweizer Produktionen mit 26,6 Prozent den grössten Marktanteil erreichte. Total schmiert hingegen Regisseur Dani Levy (62) mit «Die Musik stirbt zuletzt» vom August 2018 ab. Levy filmt die ganze Folge im KKL in einer einzigen Einstellung. Während einzelne Kritiker das technisch äusserst anspruchsvolle Vorgehen loben, bezeichnen andere es als missglücktes, unnützes Filmschulexperiment. Die Zuschauer schalten jedenfalls en gros aus: 17,5 Prozent Marktanteil bei jämmerlichen 4,8 Millionen Zuschauern sprechen eine deutliche Sprache. Zum Vergleich: Der Münsteraner «Tatort», der regelmässig Spitzenwerte erreicht, kommt im April 2017 mit der Folge «Fangschuss» auf knapp 15 Millionen Zuschauer und 39 Prozent Marktanteil.
Die hölzernste Hölzrigkeit
Nur schon der Titel des Chefs ist unsexy: Statt Kriminalkommissar oder Sonderermittler heisst Flückiger behäbig: Fachgruppenchef Leib und Leben. Auf Youtube ist übrigens die allererste Folge «Wunschdenken» in ihrer ganzen, gähn-induzierenden Länge zu sehen. Man braucht sich das aber nicht anzutun, es reicht, sich selbst im allerallerschlimmsten Kuhschweizer-Hochdeutsch à la Ogi (ich darf das schreiben, ich bin Schweizerin) folgendes Dialog-Highlight vorzulesen: «Sii, si törfen hier nichchchtt parkkkiiren! Das gippt sofort eine Puess!» Geschenkt.
Die besten Nebendarsteller
Fabienne Hadorn (44) ist eine der talentiertesten, vielseitigsten und charismatischsten Schauspielerinnen der Schweiz – als Corinna Haas, Leiterin des kriminaltechnischen Diensts, war sie leider sträflich unterverkauft und durfte eher dank gschpässigen Outfits auffallen. Grandios war der deutsche Schauspieler Martin Butzke, der in «Freitod» den psychisch auffälligen Sohn der Frau spielt, die in der Sterbehilfe-Organisation den eigenhändigen Tod wählt. Noch grandioser aber der Schweizer Schauspieler Philippe Graber (43), der in «Ausgezählt» (2018) aus einer klitzekleinen Nebenrolle maximalen Effekt rausholt: Wie er als Gefängniswärter zwischen überaus bedrohlich und weinerlich-schmierig changiert, ist eine Leistung für sich.
Die nervigste Nebenfigur
Der Regierungsrat und Vorsteher des Departements Justiz und Sicherheit Eugen Mattmann (Jean-Pierre Cornu, 70) soll einen Machtmenschen darstellen – wirkt aber generell eher wie ein cholerischer Zauderi und Verhinderi. Am Schauspieler liegt es nicht – vielmehr ist die immer auf der Grenze zur Korruption stehende Figur so unbedarft gezeichnet, dass Mattmanns Mauscheleien meist nicht verschlagen oder hintertrieben wirken, sondern oft eher dumm und hanebüchen transparent.
Die spannendste Folge
«Ihr werdet gerichtet» (2015), geschrieben vom Drehbuchautor Urs Bühler (60), war blutig, brutal, spannend und voll moralischen Zwiespalts: Ein Serienmörder geht um in Luzern – er erschiesst aber nur Menschen, die es aus seiner Sicht verdient haben zu sterben: Vergewaltiger, die ungestraft blieben, oder Schläger, die zwar Leben zerstören, die die überlastete Justiz aber laufen lassen musste. Und der Zuschauer schwankt zwischen Abscheu und dem Gefühl, dass der Täter eigentlich recht hat. Die meistgesehene Schweizer Folge war nicht nur Zuschauerliebling, sondern begeisterte auch die Kritiker. Die Deutschen wählten die Folge schliesslich gar zur «besten Folge des Jahres».
Die besten Drehbücher
«Verfolgt» von Autor Martin Maurer (51) bietet eine Geschichte, die sich von einem einfachen Beziehungsdelikt zu einer Steuerbetrugsaffäre in allerhöchsten politischen Kreisen hochschraubt, in der auch Privatbanken eine äusserst undurchsichtige Rolle spielen. Kritiker monierten in dieser Folge für einmal nicht die Handlung, sondern hauptsächlich die eindimensionalen Hauptfiguren. In «Freitod» (September 2016) untersucht Regisseurin Sabine Boss (53) die moralischen Fallstricke des hochemotionalen Themas der Sterbehilfe – eine Folge, die insbesondere in der Schweiz viele Zuschauer hatte. Die rundum beste Geschichte bleibt aber ohne Zweifel «Ihr werdet gerichtet».
Der ärgerlichste Dialog
Flückiger befindet sich in der Folge «Friss oder stirb» (Dezember 2018) in einer Geiselsituation in einer Milliardärsvilla. Er schafft es, via Alarmanlage unbemerkt einen Notruf an den privaten Sicherheitsdienst abzusetzen. Folgende Idiotie entspinnt sich:
Flückiger:«Hier ist Reto Flückiger, Kripo Luzern. Verbinden Sie mich sofort mit dem Polizeikommandanten.»
Sicherheitsdienst: «Wir haben (…) die Anweisung erhalten, nicht mehr zu reagieren, weil es so viele Fehlalarme gegeben hat.»
Flückiger: «Das hier ist kein Fehlalarm, hier drin ist ein bewaffneter Geiselnehmer.»
Sicherheitsdienst: «Dann bräuchte ich noch das Passwort bitte.»
Welches Flückiger natürlich nicht hat. Weshalb dann dummerweise plotwirksam auch keine Hilfe kommt und der Sicherheitsdienst-Mitarbeiter des Milliardärs achselzuckend auflegt und die Sache auf sich beruhen lässt. Hanebüchener dumm gehts kaum. Wer schreibt so was? Wer winkt so was durch?
Die fiesesten Kritiken (Bild kommt noch)
«Sämtliche Figuren (…) agieren zuweilen wie Schlafwandler.» – Christian Buss im «Spiegel Online» am 14. August 2011 über die allererste Folge «Wunschdenken».
«Dialoge wie aus dem Fernsehmuseum, man kann sich alles in Schwarz-Weiss vorstellen.» – Holger Gertz, am 26. August 2012 in der «Süddeutschen», über die dritte Folge «Hanglage mit Aussicht».
«Inszeniert wie ein Vorabenddramolett für die kleine Fantasie.» – Detlef Hartlapp, Chefredaktor der Zeitungsbeilage «Prisma», am 12. März 2016 über «Kleine Prinzen».