Blaublüter fallen aus dem Rahmen
Der royale Niedergang

Muss Juan Carlos im hohen Alter von 82 Jahren noch vor Gericht antraben? Sorgt er mit unsauberen Geschäften während seiner Amtszeit nachträglich dafür, dass in Spanien die Monarchie abgeschafft wird? Die Königshäuser in ganz Europa sind unter Druck.
Publiziert: 13.06.2020 um 23:57 Uhr
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Aktualisiert: 06.03.2021 um 19:37 Uhr
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Der spanische König Juan Carlos küsst Corinna zu Sayn-Wittgenstein bei den Lareus Awards 2006 in Barcelona. Offiziell bezeichneten sich die beiden stets als «innig befreundet». Nicht nur Hofinsidern war aber klar, was wirklich lief. Eine 2018 publik gewordene Aussage der deutschen Unternehmerin könnte Juan Carlos nun zu Fall bringen.
Foto: KEYSTONE
Jean-Claude Galli

Ob dieser Nachricht Anfang Woche platzte für viele Spanier ein Märchen: König Juan Carlos, der während seiner Regentschaft ungemein populär war, droht im Alter von 82 Jahren ein Gerichtsverfahren. Der 2014 abgetretene Juan Carlos half 2008 einem spanischen Firmenkonsortium, einen Deal mit Saudi-Arabien über den Bau einer Schnellzugstrecke einzufädeln. Für seine Dienste um den «Wüstenzug» soll der Monarch rund 100 Millionen Franken kassiert haben – unter dem Tisch.

Ans Licht kam die höchst delikate Geschichte 2018, weil ihn seine frühere Geliebte Corinna zu Sayn-Wittgenstein (56) der Geldwäscherei bezichtigt hatte. Für alle Taten bis zu seiner Abdankung geniesst Juan Carlos Immunität. Er soll aber auch danach strafbar gehandelt haben, inklusive Steuerhinterziehung im grossen Stil. Am letzten Montag hat das Oberste Gericht auf Druck der linksgerichteten Regierung den vor sich hindämmernden Fall an sich genommen. Diese Instanz allein ist befugt, den früheren Amtsträger zu belangen.

Geht es der Monarchie an den Kragen?

Die Zeitungen schreiben wahlweise von einer «Staatskrise» («El País») und von einem «Erdbeben» («El Nacional»). In den Kommentarspalten und auf der Strasse ist eine mögliche Abschaffung der Monarchie Thema Nummer eins. Auf die Hilfe seines Sohnes Felipe (52) kann Juan Carlos nicht zählen. Dieser hatte im März mit ihm gebrochen, nachdem ruchbar wurde, dass der alte König den Namen des Sohnes ohne dessen Wissen in eine Offshore-Firma eingebracht hatte, in der Teile der saudischen Schmiergelder deponiert waren. Felipe verzichtete offiziell auf sein Erbe und strich dem Papa auch gleich die Jahresrente von immerhin 200'000 Franken. Mit ein Grund für seine resolute Reaktion: Felipe will in Anbetracht der miserablen Popularitätswerte wohl seine eigene Haut retten.

«Randy Andy» trieb es immer gerne wild

Und es lodert nicht nur im spanischen Königshaus. Immer prekärer wird die Situation auch in Grossbritannien, wo gleich mehrere Feuer brennen – am grellsten das um Prinz Andrew (60). Dessen Situation hat sich ebenfalls letzten Montag noch einmal zugespitzt. Offenbar will das US-Justizministerium nun mit einem Rechtshilfeersuchen Druck auf die Briten und den zweitältesten Sohn von Königin Elizabeth II. (94) machen.

Prinz Andrew steht seit Monaten wegen seiner Freundschaft mit US-Multimillionär Jeffrey Epstein (1953-2019) im Kreuzfeuer. Der straffällige Unternehmer hatte während Jahren minderjährige Frauen missbraucht und zur Prostitution gezwungen. Epstein nahm sich im letzten Sommer in einem New Yorker Gefängnis das Leben. Der Prinz hatte mehrmals in Epsteins Häusern in den USA und der Karibik übernachtet, von dessen Verfehlungen aber angeblich nichts bemerkt. Eines der Opfer jedoch, Virginia Giuffre (36, damals 17), wirft ihm mehrfachen Missbrauch vor, was Andrew – wenig überraschend – bestreitet. Er hat wiederholt betont, den Ermittlern bei der Aufklärung helfen zu wollen. Allerdings glaubt mittlerweile nicht mehr nur das US-Justizministerium, dass Andrew damit lediglich Zeit schinden will.

Dem jüngeren Bruder von Prinz Charles (71) haftete stets das Etikett eines Schwerenöters und Ehebrechers an. Von den britischen Medien wurde er lange eingängig als «Randy Andy» tituliert, bevor ihn das zunehmende Alter angeblich handzahmer machte, vordergründig zumindest. Dass seine Mutter wegen der Corona-Pandemie auf Schloss Windsor festsitzt und nur untätig zuschauen kann, wie der Druck von aussen zunimmt, ist für ihn wenig hilfreich. Und umso klarer kann der Entscheid von Herzogin Meghan (38) und Prinz Harry (35) nachträglich interpretiert werden, sich vom Königshaus und dem ganzen öffentlichen Druck freizumachen und das Land zu verlassen.

Die liebestolle Prinzessin und ihr sogenannter Schamane

Eher skurrile Züge hat die aktuelle Situation in Norwegen angenommen. Dort macht die liebestolle Prinzessin Märtha Louise (48) mit ihrem US-Freund und «Schamane» Durek Verrett (45) fast täglich Schlagzeilen und rückt das Königshaus in ein schiefes Licht. Die Popularitätswerte des norwegischen Royals waren lange nicht mehr so tief. Das seltsame Paar ist seit einem Jahr liiert und denkt bereits über Verlobung und Heirat nach. Allerdings beeinflusst Corona selbst diesen Fall. Verrett muss zurzeit in den USA bleiben, während die Prinzessin in Oslo darbt. Ihr öffentliches Gebalze kommt auch deshalb bloss mässig an, weil die Nachricht vom Tod von Märtha Louises Ex-Mann Ari Behn (1972-2019) noch immer nachhallt. Die beiden waren von 2002 bis 2016 verheiratet. Behn nahm sich an Weihnachten 2019 das Leben. Er hinterlässt seine Töchter Maud Angelica (17), Leah Isadora (15) und Emma Tallulah (11), die er gemeinsam mit Märtha Louise hatte, die aber bei ihm lebten.

Der König und seine Army of Lovers

In Norwegens Nachbarland Schweden könnte ein bereits erloschen geglaubtes Feuer bald wieder aufflammen. 2010 gerieten König Carl Gustaf (74) und seine ganze Familie in die Bredouille, als sich die Army-of-Lovers-Sängerin Camilla Henemark (55) in einem Buch über ihre Affäre mit dem Monarchen ausliess. Henemark legte später mehrfach mit schlüpfrigen Aussagen nach. Bis heute halten sich Gerüchte aus schwedischen Rotlichtkreisen hartnäckig, dass umfangreiche Bild- und Videoaufnahmen über weitere Lustbarkeiten des Königs existieren, mit denen er schon erfolgreich erpresst worden sei. Entsprechende Berichte von letzter Woche gerieten der Olof-Palme-News wegen vorerst in den Hintergrund, tauchen aber sicher wieder auf.

All diese Geschichten haben etwas gemeinsam: Es geht um Sex und Geld, die die elitären und staatstragenden Schichten schon seit Jahrhunderten hauptsächlich antreiben. Das belegte schon der berühmte Soziologe Norbert Elias (1897–1990) in seinem Standardwerk «Die höfische Gesellschaft». Während solche Eskapaden früher toleriert, hinter vorgehaltener Hand belächelt oder mit Neid beobachtet wurden, sinkt heute der gesellschaftliche Respekt – nicht zuletzt des kleiner gewordenen Stellenwerts der Royals wegen. Und was früher als Schrulligkeit oder Charakterschwäche durchging, kann heute schnell weltweite Proteste auslösen. Prinz Philip, der diesen Mittwoch seinen 99. Geburtstag feierte, dürfte jedenfalls froh sein, dass er seine derben Sprüche noch im letzten Jahrhundert geklopft hat.

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