Rosa von Praunheim setzt sich seit Jahrzehnten für die Rechte von Homosexuellen ein
«Schwulen- und Frauenhass gehen Hand in Hand»

Er rüttelte die Gesellschaft wach. Der deutsche Filmregisseur Rosa von Praunheim (76) ist einer der ersten Vorkämpfer für die Rechte von Homo-sexuellen und sorgte mit dem Outing von Stars für einen Skandal. In Zürich wird der Berliner für sein Lebenswerk geehrt.
Publiziert: 29.04.2019 um 10:07 Uhr
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Aktualisiert: 09.07.2019 um 09:34 Uhr
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Rosa von Praunheim erfuhr mit 58, dass er adoptiert respektive in den Kriegswirren von seiner leiblichen Mutter getrennt wurde. Im Bild: Seine Adoptiveltern bei ihrer Hochzeit. Der Vater war Nazi.
Jonas Dreyfus

Als Regisseur und Schwulenaktivist sind Sie 50 Jahre lang angeeckt. Sind Sie mit 76 der Provokation nicht langsam müde?
Ich plane sie ja nicht. Selbst beim Film «Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt» wusste ich zu Beginn nicht, welchen Aufschrei er auslösen wird.

Der Film wurde erst verboten, 1972 dann in ganz Deutschland im Fernsehen ausgestrahlt. Warum hat er so provoziert? 
Es war eben kein angepasster Film, der sagte, dass die Schwulen auch Menschen sind, die nett sind, und die man doch bitte akzeptieren soll. Stattdessen habe ich meine ganze Wut einfliessen lassen auf die verklemmte und unpolitische schwule Subkultur in Westdeutschland. Das brachte mir viel Kritik aus den eigenen Reihen ein.

Was war konkret Ihr Vorwurf?
Ich sagte: «Ihr Schwulen seid feige. Ihr flüchtet euch in glamouröse Parallelwelten und tretet nicht für eure demokratischen Rechte ein.» Es war quasi eine Attacke auf eine Minderheit, die sich dem Spiessertum anschliessen wollte – also ausgerechnet denjenigen, die sie unterdrückten.

Aus heutiger Sicht könnte man sagen: Homosexuelle haben das gleiche Recht darauf, spiessig zu sein, wie Heterosexuelle.
Das war aber nicht das, wofür wir damals gekämpft haben. Jahrtausendelang hofften Homosexuelle vergeblich, dass ihnen verziehen wird, wenn sie sich möglichst bürgerlich geben. Im 19. Jahrhundert war das Progressivste im Umgang mit Schwulen, dass man sie nicht mehr umbrachte, sondern ins Irrenhaus steckte. In vielen Ländern gibt es immer noch die Todesstrafe für gleichgeschlechtliche Liebe.

In der Schweiz machte ein bekannter Moderator seinem Freund vor kurzem einen Heiratsantrag im Fernsehen, was zu einer Flut von Hasskommentaren im Internet führte. Wie sehr überrascht Sie das?Überhaupt nicht. Ich war ein Leben lang Hasskommentaren ausgesetzt – mit dem Unterschied, dass es früher das Internet noch nicht gab.

Schweizer Prominente, die offen schwul sind, sagen meistens, sie würden darüberstehen, wenn jemand mal negativ auf sie reagiere. Kann man das, wenn jemand zum Beispiel Schwule mit Tieren gleichsetzt, um es
mal nett zu umschreiben?
Also ich mag Tiere. Nein, ernsthaft:  Natürlich verletzt einen das. Aber wie soll man denn reagieren auf jemanden, der einen anfeindet, ohne einen zu kennen?

Man könnte zurückgeben und sagen, dass man Schwulenhasser genauso wenig ausstehen kann wie sie einen.
Das würde nichts daran ändern, dass Hasskommentare ein Spiegel eines Teils der Gesellschaft sind, der Minderheiten nicht akzeptiert. Der Schwulenhass geht Hand in Hand mit dem Hass auf Frauen – vor allem auf emanzipierte.

Wie meinen Sie das?
In vielen Kulturen nehmen Frauen immer noch einen untergeordneten Platz in der Gesellschaft ein. In denselben Kulturen werden Schwule als unmännlich betrachtet. Wenn sie sich zu erkennen geben oder auffliegen, werden sie ebenso bestraft wie Frauen, die sexuell selbstbestimmt handeln.

Der Sultan von Brunei hat vor kurzem die Todesstrafe für Homosexuelle durch Steinigung eingeführt, was zu einem Boykott seiner Hotels führte.
Schwule erfahren immer dann am meisten Solidarität, wenn sie als Opfer in Erscheinung treten.
Es gibt aber auch die andere Seite! Schauen Sie den amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Pete Buttigieg an. Er tritt überhaupt nicht als Opfer in Erscheinung, sondern als intelligenter, selbstbewusster Mann. Viele meiner Freunde müssen weinen, wenn sie seine Reden hören.

Ein ähnliches Beispiel ist der ehemalige Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit.
Menschen wie er haben es immer wieder geschafft, die Mehrheit auf ihre Seite zu ziehen, auch wenn sie gnadenlos mit Hass und Häme eingedeckt wurden. Heute sind Dinge möglich, von denen ich nicht zu träumen gewagt hätte.

Sollte man Schwulenhassern gar nicht so viel Aufmerksamkeit schenken?
Wir müssen wachsam bleiben. Homophobie wird es immer geben, genauso wie Hass auf emanzipierte Frauen. Der Kampf für schwule Rechte hat wie die #MeToo-Bewegung dazu geführt, dass viele vorsichtiger geworden sind, bevor sie Angehörige von Minderheiten diskriminieren. Zumindest ausserhalb der Anonymität des Internets.

Kult-Regisseur in Zürich

Am 4. Mai wird von Praunheim am Film- festival Pink Apple (30. April bis 5. Mai in Zürich, 10. bis 12. Mai in Frauenfeld) ausgezeichnet. Am 3. Mai erzählt er im Literaturhaus Zürich aus seinem Leben.

Rosa von Praunheim drehte in 50 Jahren rund 150 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme. Holger Mischwitzky, wie der deutsche Regisseur gebürtig heisst, ist bekannt für einen ironischen Stil. Mit ihm persifliert er unter anderem den bürgerlichen Alltag, wie im Kultfilm «Die Bettwurst» von 1971. In den 90er-Jahren verfilmte er mit «Der Einstein des Sex» das Leben des Sexualforschers Dr. Magnus Hirschfeld. Die Filmbio­grafie «Härte» über den deutschen Kampfsportler und Ex-Zuhälter Andreas Marquardt wurde 2015 an der Berli­nale ausgezeichnet. Der 76-Jährige wohnt mit seinem langjährigen Lebenspartner Oliver Sechting in Berlin. 

Am 4. Mai wird von Praunheim am Film- festival Pink Apple (30. April bis 5. Mai in Zürich, 10. bis 12. Mai in Frauenfeld) ausgezeichnet. Am 3. Mai erzählt er im Literaturhaus Zürich aus seinem Leben.

Rosa von Praunheim drehte in 50 Jahren rund 150 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme. Holger Mischwitzky, wie der deutsche Regisseur gebürtig heisst, ist bekannt für einen ironischen Stil. Mit ihm persifliert er unter anderem den bürgerlichen Alltag, wie im Kultfilm «Die Bettwurst» von 1971. In den 90er-Jahren verfilmte er mit «Der Einstein des Sex» das Leben des Sexualforschers Dr. Magnus Hirschfeld. Die Filmbio­grafie «Härte» über den deutschen Kampfsportler und Ex-Zuhälter Andreas Marquardt wurde 2015 an der Berli­nale ausgezeichnet. Der 76-Jährige wohnt mit seinem langjährigen Lebenspartner Oliver Sechting in Berlin. 

In der Schweiz wird darüber diskutiert, ob man Aufrufe zu Hass und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung unter Strafe stellen soll. Was halten Sie davon?
Ich bin absolut dafür, dass man gegen solche Sachen vorgeht. Bereits Kindern sollte beigebracht werden, dass sie Ausdrücke wie Schwuchtel niemals gebrauchen dürfen. Gegen den Hass auf Homosexuelle selbst nützen Gesetze natürlich nichts.

Wo wurzelt er?
In den Religionen. Das hat sich in den letzten Jahren wieder unheimlich verschlimmert.

Wie meinen Sie das?
Gerade im Osten, in Russland und Polen, sieht man, dass die Kirche, die vom Kommunismus vertrieben worden war, wieder an Macht gewinnt. Sie hat den grössten Einfluss darauf, wie die Gesellschaft über Schwule denkt.

Wer kann etwas gegen Homophobie tun?
Die Schwulen selbst, indem sie sich öffentlich machen. Wenn man im Betrieb, in dem man arbeitet, offen  homosexuell ist, wird man anderen Homosexuellen, die dort arbeiten, Mut machen. Und mit ihnen eine Front bilden gegen Schwulenwitze und andere Diskriminierungen.

Was nützt das gegen den Hass?
Wenn du einen schwulen Nachbar hast, der mit dir Kaffee trinkt und dir ganz selbstverständlich seinen Mann vorstellt, wird plötzlich eine ganz andere Toleranz da sein. Menschen hassen, was sie nicht kennen.

Haben Sie Verständnis dafür, wenn jemand seine Homosexualität als Privatsache betrachtet?
Natürlich gibt es Jobs, in denen ein Coming-out sehr schwierig sein kann. Bei einem Lehrer zum Beispiel, der eine Klasse mit schwulenfeindlich erzogenen Kindern unterrichtet. Wer eher zurückhaltend ist oder schüchtern, für den kann das die Hölle sein.

Soll er es dennoch wagen?
Ein Coming-out muss jeder für sich selbst entscheiden. Das, was ich gemacht habe 1991, als ich im Fernsehen berühmte Stars outete, würde ich heute nicht mehr tun.

Bereuen Sie es?
Schwierig zu sagen. Hape Kerkeling und Alfred Biolek sagten mir später, dass sie das unfreiwillige Outing nachträglich als positiv empfanden, weil sie plötzlich offener leben konnten. Ich wusste ja, dass es ihnen ziemlich sicher nicht schaden würde. Der Hass, der mir von allen Seiten entgegenschlug, war aber schon sehr schwierig auszuhalten.

Warum hat Sie das so getroffen?
Ich habe ja nicht einfach gesagt, die seien schwul, sondern rief sie gleichzeitig dazu auf, sich mit den vielen Menschen zu solidarisieren, die von der Aids-Krise betroffen waren. Ich war fanatisch, was die Aids-Prävention und den Kampf
gegen die Stigmatisierung betraf, weil ich wahnsinnig Angst vor der Krankheit hatte und in New York miterlebte, wie viele auf schreckliche Weise daran starben.

Schweizer Schwulenorganisationen verzeichnen regelmässig Übergriffe auf Homosexuelle und Transmenschen. Macht Ihnen so etwas Angst?
Mich bestürzt der Rechtsruck auf der Welt ganz generell. Wie der Ku-Klux-Klan oder andere rassistische Strömungen dank Trump plötzlich wieder frech werden. Es ist erschreckend, dass jemand, der dauernd lügt, noch so viel Anerkennung geniesst. Das bedroht unsere Demokratien und alle liberalen Ideale. Wie kann jemand in der AfD sein? Das ist mir unbegreiflich. Das sind ja nicht nur blöde Leute, sondern auch Akademiker.

Die Frage, ob sich die Situation eines Dritten Reiches wiederholen könnte, wird wieder gestellt. Lange Zeit winkte man ab und sagte, es gebe Mechanismen, die das verunmöglichen.
Der französische Autor Michel Houellebecq beschreibt in seinen Büchern, was passieren könnte, wenn Marine Le Pen die Mehrheit in Frankreich gewinnt. Wenn die EU in viele verschiedene Einzelstaaten zerbricht und der Nationalstaat wieder überhandnimmt. Eine schreckliche Vorstellung. Deshalb müssen wir alle für unsere demokratischen Rechte eintreten.

Sie sind quasi das Rosarote, das aus einer braunen Welt kommt.
Das könnte man so sagen. Ich bin während des Zweiten Weltkriegs im Zentralgefängnis von Riga geboren worden, wo meine leibliche Mutter inhaftiert war. Wahrscheinlich weil sie Schwarzmarktgeschäfte getätigt hatte. Das war im deutsch besetzten Lettland. Später haben Ärzte sie in einer psychiatrischen Anstalt absichtlich verhungern lassen. 

Das fanden Sie heraus, als Sie sich für einen Dokumentarfilm auf die Spuren Ihrer leiblichen Mutter begaben.
Und zwar erst mit 58 Jahren, nachdem ich erfahren hatte, dass ich gleich nach meiner Geburt adoptiert wurde. Wobei es eher so war, dass ich in den Kriegswirren einfach mitgenommen wurde. Ich kam 1942 zur Welt. Aufgewachsen bin ich in Teltow-Seehof in Brandenburg, das später zur DDR gehörte.

Was war das für ein Umfeld?
Ein sehr behütetes. Meine Adoptiveltern wohnten hundert Meter von der Grenze zur BRD in einer Villa. Sie hatte einer jüdischen Familie gehört, die enteignet worden war.

Waren Ihre Adoptiveltern Nazis?
Meine Mutter konnte wenig mit den Nazis anfangen, mein Vater sympathisierte mit ihnen. Er war katholisch, gleichzeitig aber auch christlich liberal. Das war alles sehr widersprüchlich bei ihm, genauso wie bei meiner Herkunft. Anfang der 60er-Jahre erschuf ich mir mit Rosa von Praunheim eine eigene Identität. Wenn ich unter dem Künstlernamen wo angemeldet war, erwarteten alle eine Frau. Stattdessen kam ein hübscher, junger Mann. Das verunsicherte.

Heute bezeichnen Regisseure wie Tom Tykwer Sie als Vorbild. Sie haben den Grimme-Preis gewonnen und werden in Zürich für Ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Wie zufrieden sind Sie mit sich?
Ich bezeichne mich als Glückskind. Ich bin bei liebevollen Eltern auf-gewachsen. Wenn ich bei meiner biologischen Mutter geblieben wäre, als die Russen kamen, wäre es mir nicht gut ergangen. Auch dass meine Eltern mit mir in den Westen gingen, als ich zehn war, stellte sich als riesiges Glück heraus. In der DDR wäre kein Platz gewesen für einen schwulen Underground-Regisseur.

Was gibt Ihnen Kraft?
Ich bin einfach wahnsinnig dankbar dafür, dass ich Kunst machen darf. Auch wenn ich immer noch arbeiten muss, um meine Miete zu bezahlen. 

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