Revolutionäres Playmate
Frau Anderson und die Gelben Westen

Das Sexsymbol der 90er-Jahre ist nun Politaktivistin. 
Und unterstützt die Gelbwesten in Frankreich.
Publiziert: 16.12.2018 um 08:21 Uhr
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Aktualisiert: 18.12.2018 um 09:22 Uhr
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Pamela Anderson unterstützt die Gelbwesten in Frankreich.
Benno Tuchschmid

Diese Geschichte könnte in Malibu beginnen. Mit dumpfen Paukenschlägen und hüpfenden Silikonbrüsten in roten Badeanzügen.

Also richtig sexistisch. Es geht hier nämlich um Pamela Anderson (51). Eine Frau, bei der Mann sich lange fast alles erlauben konnte.

Doch wir schreiben das Jahr 2018, und darum beginnen wir hier nicht an einem amerikanischen Strand, sondern auf Frankreichs Kopfsteinpflaster. Dort ­demonstrieren seit vier ­Wochen Hunderttausende in ­gelben Warnwesten, zünden Autos an und schreien den französischen Präsidenten nieder.

Und plötzlich ist da auch Pamela Anderson. Am 4. Dezember ver­öffentlichte sie einen Essay mit dem Titel «Die gelben Westen und ich». Die Kanadierin lebt in Frankreich. Die Beziehung mit dem französischen Fussballer Adil Rami (32) soll vor kurzem in die Brüche ­gegangen sein. Anderson schreibt in ihrem Text, die Gewalt der ­gelben Westen sei ein Angriff auf den Status quo, «in welchem die Mächtigen mächtig und die Ohnmächtigen ohnmächtig bleiben».

Dumping-Löhne und die Ausbeutung der Natur seien genauso eine Form von Gewalt wie Fausthiebe oder Brandsätze. Der Text gipfelt 
in der Frage: «Ich hasse Gewalt, aber was ist die Gewalt all dieser Menschen, und was sind bren­nende Luxusautos im Vergleich mit der strukturellen Gewalt der französischen – und globalen – Eliten?»

Vielleicht sagt Pamela Andersons Essay mehr aus über die Welt 
und wie sie sich in den letzten 
Jahrzehnten verändert hat als so manche politische Analyse.

Pamela Anderson war die Ikone einer sinnentleerten Dekade

Machen wir eine kleine Zeitreise: 
in die 90er-Jahre. Der Kommunismus war gerade untergegangen. Der US-Politwissenschaftler Francis Fukuyama erklärte das Ende der Geschichte: Freiheit, Marktwirtschaft und Demokratie hatten sich durchgesetzt. Jetzt und bis in alle Ewigkeit. Amen. Es begann eine politfreie Spasszeit. Lauwarme ­Unterhaltung statt Kalter Krieg.

Diese Zeit hatte eine Ikone: ­Pamela Anderson. Eine Milliarde Menschen in 142 Ländern schauten in den 90ern «Baywatch», 
die erfolgreichste TV-Sendung jener Welt. Sie war die Krönung der ­sinnentleerten Unterhaltung. Und ­Anderson in ihrer Rolle als C. J. ­Parker war die Königin dieser Show, die im Kern aus Zeitlupenaufnahmen von Muskeln und ­Brüsten bestand. Und aus Dreh­büchern, in denen Menschen immer ganz knapp nicht ertranken.

Bis dahin ging Andersons Leben etwa so: Geburt in British ­Columbia, Kanada. Ein Jahr Highschool. Entdeckung über eine ­Stadionkamera während eines Footballspiels. Der «Playboy» ruft an. Sie sagt ab. Er ruft ein ­zweites Mal an. Sie sagt zu. Es ­folgen Brustvergrösserungen, ­alles Weitere passierte dann vor den ­lüsternen Blicken der Welt.

Anderson war 14 Mal auf den «Playboy»-Covers, spielte in 
«Baywatch» und in ein paar Filmen, zum Beispiel in «Barb Wire», 
in dem Anderson eine Nachtclubbesitzerin spielt, die nebenbei 
als Kopfgeldjägerin arbeitet. Aber eigentlich ging es vor allem und ­immer um ihre Brüste. Man kann wohl sagen, dass ­keine Frau in den letzten 50 Jahren mehr Objekt war als Pamela Anderson. Man liess sie fröhlich in knappsten Bikinis durch die Klatschspalten tanzen. Sie selbst mag sich nicht 
als Opfer sehen: «Meine Brüste ­hatten eine fantastische Karriere, ich ­joggte nur mit.» Über den «Playboy»-Erfinder Hugh Hefner spricht sie ebenfalls nur in den höchsten Tönen. 2016 war sie 
die letzte nackte Frau auf einem «Playboy»-Cover.

Ihr Weg war gesäumt 
von gewalttätigen Männern

Aber es gibt auch diese andere ­Seite. Pamela Anderson hat fast ­alles erlitten, was Frauen erleiden können, weil sie Frauen sind: 
2014 gestand Pamela Anderson an den Filmfestspielen von Cannes, dass sie in ihrem Leben mehrfach sexuell missbraucht worden war. Im Alter zwischen sechs und 
zehn von ihrer Babysitterin, als Zwölfjährige von deren Mann, mit 
14 Jahren von ihrem damaligen Freund und sechs seiner Kollegen, wie «The Times Magazine» schreibt. Sie habe das öffentlich gemacht, damit ihre Söhne nachvollziehen könnten, wieso sie in der Vergangenheit gewisse Entscheidungen getroffen hat.

Auch Pamela Andersons Weg in Hollywood war gesäumt von übergriffigen Männern. Weil sie nicht mit einem Hund drehen wollte, schrie der allmächtige Produzent Harvey Weinstein einst ins Telefon: «Du bist Pamela Anderson, du kannst von Glück reden, dass ich dich überhaupt in einen Film ­stecke.» Und immer wieder waren da diese privaten Auditionen, ­
allein mit mächtigen Männern. Sie habe in ihrem Berufsleben einige Zimmer verlassen und Türen zuknallen müssen, sagt Anderson.

1995 heiratete Anderson Tommy Lee, damals Schlagzeuger der Rockband Mötley Crüe. Auf ihrer Hochzeitsreise filmte sich das Paar beim Sex. Das Homevideo wurde von Unbekannten gestohlen. Es gilt heute als meistverkaufter Porno ­aller Zeiten. Anderson sagt dazu: «Es war verheerend, auch für ­meine Ehe, und wirklich schwer zu überwinden.» Das private Sextape ­wurde zu einem eigentlichen Phänomen der 90er-Jahre. In einem ­Interview mit «The Daily Beast» sagt Anderson: «Ich glaub, ich habe da einen Trend gesetzt, leider.»

Anfang dieses Jahres hat Anderson mit dem US-amerikanischen Rabbi Shmuley Boteach ein Buch ver­öffentlicht, in dem sie vor Pornosucht warnt und Tipps für eine gute Sexualität in einer Partnerschaft gibt. «Die sexuelle Revolu­tion gab uns Freiheit, aber sie gab uns auch dreckigen, schlechten, leeren Sex», brachte es Anderson auf den Punkt.

Die Ehe mit Tommy Lee hielt nicht lang. Er begann, Anderson 
zu verprügeln. 1998 liess sie sich scheiden. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor. Es folgte eine viermonatige Ehe mit dem Musiker Kid Rock, der heute glühender Trump-Verehrer ist.

Von der Sexbombe zur Aktivistin

Pamela Anderson erlitt in ihrer Karriere so ziemlich alles, was vor etwas mehr als einem Jahr in der #MeToo-Bewegung endlich aufbrach und auf die Anklagebank kam. Mit der Welt kam es dann ja ­bekanntlich doch anders, als 
es der optimistische Professor ­Fukuyama in den 90er-Jahren ­prophezeit hatte. So unbestritten und für alle Ewigkeit scheinen ­Freiheit, Marktwirtschaft und ­Demokratie heute nicht mehr. 
Und Pamela­ Anderson, das Symbol der 90er-Jahre, ist heute Aktivistin und nicht mehr die inhaltslose ­Sexbombe, zu der wir sie einst ­gemacht hatten.

Letzte Woche griff sie in der italie­nischen Zeitung «La Repubblica» 
den italienischen Innenminister Matteo Salvini für seine Asylpolitik an. Sie habe ihr Leben in Hollywood verbracht und wisse, wie wichtig Organisation sei. «Aber ich weiss auch, dass etwas entscheidend sein wird, wenn wir den Populisten und Rechtsaussen-Parteien etwas entgegensetzen wollen: Inspiration.» Die Inspiration sieht sie unter ­anderem in der linken Sammel­bewegung Progressive Inter­national, in der sich Politiker wie Bernie Sanders und der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis zusammenschlossen.

Heute ist Pamela Anderson, 
was sie sein will

Anderson setzt sich für über 30 Organisationen ein. Ihre Pamela ­Anderson Foundation unterstützt unter anderem auch die Organisation «Free Assange», die Freiheit 
für den in der ecuadorianischen Botschaft eingeschlossenen Wiki­leaks-Gründer Julian Assange ­fordert. Er ist denn auch so etwas wie der Aktivisten-Patenonkel von Pamela Anderson. Sie lernte ihn über die britische Designerin ­Vivienne Westwood kennen, mit der sie befreundet ist.

Jetzt bringt sie Assange Take-Away-Essen mit, wenn sie in ­London ist. Die Nähe zu Assange bringt auch Probleme. Er kämpft seit längerem um seinen Ruf und gilt zunehmend als Verbündeter Putins. Doch sie hält zu ihm.

Am Schluss ihres Essays über die gelben Westen schreibt ­Anderson, die wirkliche Frage sei, ob die ­Proteste in Frankreich in ­etwas ­Konstruktives münden werden und «ob die Progressiven in Frankreich und überall auf der Welt ­Lösungen finden können, die zu mehr Gleichheit in der Gesellschaft führen».

Zumindest Pamela Anderson 
hat für sich schon etwas mehr Gleichheit und Freiheit erreicht. 
Sie ist heute, was sie sein will: eine 
linke Aktivistin. Und das ist ein ­Fortschritt. Denn es war ein weiter Weg von den Stränden Malibus 
bis hierher.

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