Erziehungsratgeber gehören zu den Bestsellern auf dem Büchermarkt. Jeden Tag erscheint ein neuer. Mit neuen Tipps und angeblich bahnbrechenden Erkenntnissen. Jedes Mal eine vermeintliche Hilfestellung für verunsicherte Eltern – die sie nur noch mehr verunsichert. Mal wird zu engster Nähe zum Kind geraten, dann zu wohlwollender Distanz, beispielsweise. Mal ist dies im Schwang, mal das. Erziehung, als ob sie ein Trend der Sommer- und dann Herbstmode wäre.
Dabei muss man, wenn man denn Hilfe sucht als Eltern – und welche tun das nicht? –, nur Remo Largo lesen. «Babyjahre», «Kinderjahre», «Schülerjahre». Seine Bücher sind Standardwerke. Völlig zu Recht. Sie haben Standards gesetzt.
Der Praktiker hat nicht Theorien, Wunschvorstellungen und Forderungen in die Welt posaunt, wie Kinder sein sollten, wie man sie formen kann, was man tun muss, damit aus ihnen etwas Rechtes wird.
Sehen, was ist
Largo hat interessiert, wie Kinder sind. (Und mit zunehmendem Alter, was geändert werden muss, etwa im Schulsystem, damit genau dies nicht verformt und normiert wird.) Wie Kinder sind, nicht wie sie sein sollten. Den Projektionen von Eltern hat er das Faktische des Menschseins entgegengehalten. Seinen Erkenntnissen der Entwicklung von Babys, später Kindern und Jugendlichen, liegen jahrzehntelange Forschung zugrunde. Largo war Realist, nicht Utopist. Er hat gerade dadurch einen unschätzbaren Beitrag zu einer besseren Welt geleistet.
Ein grosser Beitrag unter vielen besteht darin, dass er Eltern vom Druck der Perfektion befreit hat. Erziehung à la Largo ist kein Kinderspiel, aber auch keine Wissenschaft. Es gibt kein Richtig oder Falsch. Es gibt keine Rezepte, die man Punkt für Punkt abarbeiten kann, keine Bedienungsanleitungen fürs Leben. Es gibt nur das einzelne Kind, das ist, wie es ist, und das man mit all seinen Eigenheiten begleiten kann.
Jeder Mensch ist einzigartig
Diese Sicht ist die grösste Hinterlassenschaft von Remo Largo: Jedes Kind ist einzigartig, jeder Mensch ist es. Dem Kind kann nichts Besseres passieren, als dass es von seinen Eltern oder anderen ihm nahestehenden Menschen als Individuum erkannt wird. Keines vor ihm war so wie es, keines nach ihm wird es sein. Und so soll es gesehen, behandelt und vor allem geliebt werden.
Was für den Menschen als Kind gilt, gilt für ihn selbstredend ein Leben lang.
Remo Largo war ein kompromissloser, grossartiger Menschenfreund. Sein Leben ist zu Ende, seine Haltung ist zeitlos.