Er klingt wie ein verstimmtes Klavier, wenn er spricht. Quentin Tarantino (52) lehnt sich über den Tisch, fuchtelt mit den Händen. Es scheint, der Regisseur versuche den Redeschwall aus seinem Mund in irgendeine Bahn zu lenken. Der Meister des blutigen Genrefilms ist hellwach und blickt seinem Gesprächspartner bei jeder Antwort in die Augen.
BLICK: Quentin Tarantino, das sind ja richtig üble Typen, die Sie da in «Hateful Eight» in einen Raum einsperren. Niemand hat auch nur ein Fünkchen Menschlichkeit, alle sind voller Hass.
Quentin Tarantino: Oh ja! Ich habe einen Film mit ausschliesslich üblen Typen gemacht! Es gibt keinen Helden, keinen Retter. Und diese so überhaupt nicht vertrauenswürdigen Charaktere sperre ich in einen Raum – niemand kann fliehen, weil draussen dieser gigantische Schneesturm tobt. Ich mag die Idee, dass du nichts und niemandem trauen kannst. Ich sage dir nicht, wer lügt und wer nicht. Der Zuschauer kann zwar glauben, was er aufgetischt bekommt – aber es ist seine Wahl. Der Film gibt dir Hinweise, aber ich will, dass du die Entscheidung fällst. So siehst du eine ganz andere Geschichte als dein Sitznachbar im Kino.
Sie wollen die Leute dazu animieren, sich den Film mehrmals anzuschauen.
Ich hoffe, dass ich das erreiche – beim zweiten Mal werden Sie ganz andere Wahrheiten erkennen.
Hasserfüllt sind alle in «Hateful Eight». Wie kann der Mensch Hass überwinden?
Gute Frage! Im Film ist der Hass ein Resultat des Bürgerkriegs zwischen den Nordstaaten und dem Süden. Ich habe ein post-apokalyptisches Drama inszeniert, mitten im Nirgendwo. Meine Charaktere sind die Überlebenden dieses Untergangs, die Gesellschaft hat sich in Staub aufgelöst. Der Bürgerkrieg hat alle Moral vernichtet. Und genau so haben sich die Amerikaner wenige Jahre nach der letzten Schlacht gefühlt – stelle ich mir zumindest vor.
Sie malen ein sehr schwarzes Bild.
Leider gibt es keinen Weg, den Hass zu zerstören, wenn Menschen zuvor solch Ungerechtigkeit und Brutalität erfahren haben. Um die Wahrheit zu sagen: Nur Zeit und mehrere Generationen können die Wunden eines Bürgerkriegs heilen, doch die Narben werden immer bleiben.
Und persönlich? Was hilft, Hass und Wut abzustreifen?
Ich habe das Drehbuch zu «Hateful Eight» in einer Zeit geschrieben, in der ich sehr depressiv und wütend war. Ich habe das verarbeitet, indem ich es zu Papier gebracht habe. Mir ging es wirklich beschissen. Und ich habe den Schmerz in diese acht Charaktere investiert.
Da zeigt er sich. Tarantino, der Sensible. So blutrünstig seine Filme sind, so dünnhäutig ist der Regisseur im Leben. Über Liebschaften ist wenig bekannt – es heisst, er vergöttere Uma Thurman noch immer. Die beiden seien zusammen, hiess es plötzlich im Sommer 2014.
Ob sie den Regisseur wegen seiner Unzulänglichkeit verliess? Tarantinos Stimme stockt. Warum war er damals so traurig und wütend? Er streicht sich über sein gefärbtes Haupt, zieht die Geheimratsecken hoch und sagt leise: «Das möchte ich Ihnen hier nicht sagen.»
Dann sprechen wir über Erfreuliches – etwa Sex. Warum drehen Sie so gut wie nie Sexszenen – haben Sie Angst, dabei zu versagen?
Ich reagiere auf Erotik im Film – aber nur als stiller Beobachter. Es ist echt nicht mein Ding, Sex zu inszenieren. Ich kann alles – ausser Sexszenen! Die Vorstellung, mit einer Schauspielerin darüber zu sprechen, wie sie sich jetzt für mich hingeben soll und wie ich ihre Ekstase zeigen will, überfordert mich. Zudem mag ich mir auch nicht die Blösse geben und der Welt zeigen, was mich anturnt. Weil dann müsste ich jetzt mit Ihnen darüber sprechen – und das wäre mir sehr unangenehm (lacht). Wer spricht schon gerne über Sexualität?
Sie zeigen auf der Leinwand wenig Sex, dafür spritzt umso mehr falsches Blut. Können Sie eigentlich echtes Blut sehen?
Ich bin nicht so zart besaitet und zimperlich, wie manche mich schon beschrieben haben. Aber einer echten Operation zuzuschauen ist nicht mein Ding.
Mir wird schlecht beim Anblick von Blut.
Mir zum Glück nicht, man kann mir schon etwas zutrauen – aber blutrünstig bin ich nicht.
Woher nehmen Sie eigentlich die Musse, ständig kreativ zu sein? Sie sagen zwar, Sie seien vor einigen Jahren depressiv gewesen, haben aber trotzdem hervorragende Filme gedreht.
Oh danke. Dazu fällt mir folgende Geschichte ein: Der Autor und Regisseur Richard Kelly, der unter anderem «Donnie Darko» gemacht hat, presste mich während einer House Party regelrecht gegen die Wand. Damals war «Inglourious Basterds» gerade fertig geworden. Und er sagte: «Quentin, ich kenne deine Instinkte und ich weiss, was du denkst: Nämlich, dass du diesen Film gemacht hast, stolz bist – und dich jetzt unter der Erde verkriechen kannst.» Und dann wurde er laut und schrie mich an: «Tu das auf keinen Fall! Du bist an einem grossartigen Punkt, jetzt ist der Moment, mit gleichem Enthusiasmus weiterzumachen.» Heute weiss ich: Er hatte recht. Jetzt ist meine Zeit!
Vermissen Sie eigentlich manchmal die Zeit in Ihrem Videoladen, als niemand etwas von Ihnen erwartete?
Ganz unbekannt war ich damals auch nicht – ich war halt der Typ aus dem Videoladen (lacht). Wenn ich etwas sagte, hiess es: «Ach, das ist Quentins Meinung. What the fuck weiss der Typ schon?!» Heute zählt, was ich sage und mache. Ich bin ja Quentin Tarantino. Und ich liebe es, diese Stimme zu haben!