Berichtet wird von der Hybris des Königs von Babylon, der sich mit seinem Hofstatt anlässlich des Sesach-Festes einer orgiastischen Zecherei hingibt und dazu die Kultgeräte der geknechteten Juden entweiht.
Dabei erscheint, wie es in Heines Gedicht mit packender Stringenz erzählt wird, jene Flammenschrift, das zur bekannten Redenwendung gewordene Menetekel, welches das Ende des babylonischen Reichs voraussagt. Denn: Schon haben die anstürmenden Perser unter Cyrus die Stadt gestürmt. Der Fall des trunkenen Königs und seiner Trabanten ist besiegelt; die Prophezeiung des Jesaia erfüllt sich, das jüdische Volk wird befreit.
Stoff genug also für eine szenische Umsetzung, was auch schon mehrmals realisiert wurde. Sebastian Baumgarten scheitert im Zürcher Opernhaus allerdings am Anspruch, zu viel erklären zu wollen und zu wenig zu erzählen. Seine Regie ist gespickt mit Anspielungen, Verweisen und optischen Zitaten. Das Regieteam hat enorm viel gehirnt - doch mitteilen, plausibel machen oder gar berühren, das schafft dieser optische und gedankliche Overkill nicht.
Ist es nötig, die Ouvertüre, die zwar programmatische Elemente des Werks vorgibt, durch Videoeinspielungen zu bebildern? Offenbar wird dem Publikum nicht zugemutet, Musik ohne optische Zutat - Ablenkung?! - aufzunehmen. Auch der weitere Verlauf frönt der aktuellen Tendenz, Kino und Bühne zu vermengen. Das mag bisweilen tatsächlich eine zusätzliche Dimension darstellen, oft, allzu oft aber ist es bloss trendiges Beigemüse unter dem Label «multimedial".
So dominieren immer wieder Videoprojektion in harten Schnitten die Szene (Barbara Steiner, Bühne, und Hannah Dörr, Video). Ein fensterartiger Ausschnitt in der als Stadtmauer gestalteten Bühnenrückwand gibt gleichsam die Kinoleinwand.
Und genügt das nicht, senkt sich eine zweite Projektionsfläche herab: Darüber flimmern Kriegsbildern. Sequenzen über Umweltfrevel. Sexuelle Ausschweifungen. Standbilder zur vagen Situierung des Orts: Weichbild einer nächtlichen Metropole, Palastinneres, Redlight-Bezirk (die «Hure» Bablylon), Rembrandts berühmtes Belshazzar-Gemälde (spiegelverkehrt und verfremdet).
Und immer wieder die unvermeidlichen Closeups in Echtzeit der agierenden Protagonisten und des extra herbeigekarrten Stadtmodells; dazu mischt sich extra die Kamera-Equipe unters Bühnenvolk. Sucht der Regisseur damit die vor allem in ersten Akt über Strecken einfallslose Personenführung zu kompensieren?
Unverständlich ebenfalls, warum die Kultgegenstände der Juden in (wohl eher islamischem) sattem Grün eingefärbt sind, grün wie auch das Menora-Abbild auf dem Rücken ihrer schwarzen Gewänder mit den weissen Gebetsschnüren. Auf der Brust prangen Bildnisse herausragender jüdischer Persönlichkeiten aus Geschichte und Gegenwart, deren Konterfei und Namen knapp bis zur dritten Parkettreihe erkennbar sind.
Überhaupt die Kostüme (Christina Schmitt): Ein kruder Zeit- und Stilmix aus Völkerkundemuseum und Brockenstube, Theaterfundus und Kostümparty. Die Perser in coolem schwarze Ledermonturen; die Babylonier in Ethnolook und Potentatenuniformen - bunt, schrill, hässlich.
Umso erfreulich, was aus dem hochgefahrenen Orchestergraben dringt. Unter Laurence Cummings musiziert La Scintilla ausdrucksstark und farbenprächtig. Der bewährte Barockspezialist lässt das Orchester sprechen, singen, tanzen, einzelne Linien aufflammen, andere spröd und fahl klingen. Immer im Einklang mit dem Text.
Hohn, Spott, aber auch Furcht und Entsetzen finden so faszinierenden Niederschlag in hochemotionalen Arien ebenso wie in accompagnierten, hochdifferenzierten Rezitativen – etwa in der unglaublich suggestiven Orakelszene.
Das Ensemble profiliert sich mit untadeligen Rollendebüts, allen voran Mauro Peter. Er verleiht der Titelgestalt juveniles Ungestüm, gepaart mit tenoraler Strahlkraft. Mit trotzigem Furor begegnet er dem Rat seiner besorgten Mutter und dem göttlichen Urteil. Dieses erscheint übrigens nicht als Flammenschrift an der Wand, sondern als Brandmal auf seinem Unterarm - ein rarer überzeugender Regieeinfall!
Layla Claire leiht der Königinmutter ihren facettenreichen Sopran. Am Schluss bestätigt das Nonnenhabit ihre Konversion - allerdings mit frivolem Seitenschlitz. Mit smarter Bühnenpräsenz und gemeisselten Koloraturen (sowie als versierter Breakdancer mit Hechtrolle) bringt sich der Countertenor Jakub Józef Orlinski als Perserfürst ins Spiel. Evan Hughes (Gabrias mit warmem Bas) und Tuva Semmingsen (Daniel mit schön timbriertem, aber wenig tragfähigem Mezzosopran) ergänzen das Ensemble. Dazu gesellt sich als wesentlicher Akteur der hervorragende Chor in dreifacher Gestalt - Babylonier, Perser und Juden - mit je unterschiedlicher Klangsprache.
Verfasser: Bruno Rauch, ch-intercultur
(SDA)