Selbst gut ausgeleuchtete Stars haben unbekannte Seiten. So steigt das britische Model Kate Moss (50) gerne mit anderen Frauen fürs Synchronschwimmen in Pools, US-Sängerin Taylor Swift (34) liebt es, aus Einmachgläsern Schneekugeln zu basteln, und ihr schauspielernder Landsmann Tom Hanks (68) sammelt mit Leidenschaft alte Schreibmaschinen – zu Hause hat er schon rund 250 Stück.
Andere Seiten schlägt die britisch-albanische Sängerin Dua Lipa (28) auf, nämlich Buchseiten: Sie sorgt nicht nur für Ohrwürmer, sondern ist selber ein Bücherwurm. Und im Internet spricht sie auf erfrischende Art darüber: Im Februar 2022 hat Lipa in Anspielung auf ihr Geburtsjahr 1995 mit der Website Service95 einen Buchklub gegründet, der mittlerweile zu einer viel beachteten Institution herangewachsen ist.
Die Tochter bosnisch- und kosovo-albanischer Auswanderer besuchte in London die renommierte Sylvia Young Theatre School. 2015 hatte sie mit der Single «Be the One» ihren musikalischen Durchbruch, 2017 folgte das Debütalbum «Dua Lipa». Auf Spotify hat der mittlerweile internationale Popstar eine monatliche Hörerschaft von über 75 Millionen, auf Instagram folgen ihr über 88 Millionen – unter anderem wegen Service95.
Anders als Influencerinnen auf Booktok – der Büchernische des Kurzvideo-Portals Tiktok – preist Lipa ihre Buchtipps nicht bloss in hymnischen Tönen an, sie bietet auch profunde Deutungen der Werke. Und statt eines monologischen Videoclips liefert sie im Rahmen von «Dua’s Monthly Read» einen rund halbstündigen Dialogfilm mit der Autorin oder dem Autor der jeweiligen Monatsempfehlung nach.
Locker-lustige Literatursendung
Jetzt im Juli schwärmt Dua Lipa für das Jugendbuch «Noughts & Crosses» (2001) der britischen Autorin Malorie Blackman (62), das bei uns 2008 unter dem deutschen Titel «Himmel und Hölle» erschienen ist. «Es ist mein Favorit unter ihren Büchern», schreibt Lipa auf Service95. «Es ist temporeich, romantisch, packend und erhellend – was kann eine junge Leserschaft mehr verlangen?»
Und im 32-minütigen Youtube-Video zeigt sich der Popstar gewitzt von der Fan-Seite: Sie erzählt Blackman, wie die elfjährige Dua «Noughts & Crosses» in der Schulbibliothek entdeckte und sich ihr dadurch eine ganze Welt auftat. Und die dunkelhäutige Bestsellerautorin erzählt, wieso diese «Romeo und Julia»-Hommage ihr erstes Buch über Rassismus war und wie sie selber Ausgrenzung im Alltag erlebt.
Für Blackman schwärmte Lipa schon 2022 öffentlich, als sie bei der Verleihung des renommierten Booker Prize eine beeindruckende Rede hielt. Doch auch andere Autoren hatten es ihr angetan: «Die Lektüre von Büchern wie ‹Die Festung› von Ismail Kadare testete meine Sprachkenntnisse und half mir gleichzeitig, mich mit dem Erbe meiner Familie und meiner Identität als Kosovo-Albanerin zu verbinden.»
Heute sei sie auf Tourneen rund um den Globus unterwegs, und das Leben sei oft hektisch, sagte die belesene Sängerin vor erlauchtem Kreis weiter. Um zu überleben, müsse sie manchmal eine Mauer um sich hochziehen. «Und in solchen Momenten sind es die Bücher, die mich besänftigen», sagt sie. «Ich frage mich oft, ob den Autorinnen und Autoren bewusst ist, wie viele Geschenke sie uns machen.»
War diese Booker-Prize-Rede von 2022 ein Dankeschön, gab sie im selben Jahr mit dem Start von Service95 etwas zurück. Und seit einem Jahr wertet Lipa den Service mit «Dua’s Monthly Read» auf. Was stark geschminkt und ein bisschen verkrampft mit «Shuggie Bain» (2020) von Stuart Douglas (48) begann, hat sich bis heute zu einer ungeschminkten und locker-lustigen Literatursendung erster Güte entwickelt.
Das Buch steht immer im Mittelpunkt
In den rund zweieinhalb Jahren seit Bestehen von Service95 und dem Dutzend Folgen von «Dua’s Monthly Read» hat sich eine respektable Bibliothek mit Sachbuch- und Belletristik-Empfehlungen angesammelt – von Simone de Beauvoirs «Das andere Geschlecht» (1949) über Milan Kunderas «Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins» (1984) bis hin zu Elena Ferrantes «Meine geniale Freundin» (2011).
In den Video-Gesprächen mit der nigerianischen Feministin Chimamanda Ngozi Adichie (46, «Die Hälfte der Sonne»), dem amerikanisch-afghanischen Autor Khaled Hosseini (59, «Tausend strahlende Sonnen») oder der US–«Godmother of Punk» Patti Smith (77, «Just Kids») zeigt sich Lipa als fachkundige, feinfühlige und fröhliche Gesprächspartnerin, die zwar frisch von der Leber weg spricht, aber stets den richtigen Ton trifft.
Etwa, wenn sie mit Patti Smith im Videocall von Europa nach Amerika über die Autobiografie «Just Kids» (2010) spricht, in der Smith ihre Beziehung zum Künstler Robert Mapplethorpe (1946–1989) dokumentiert. Hier ist Lipa einerseits enthusiastisch, dass sie mit ihrem feministischen Vorbild Smith reden darf, andererseits zurückhaltend, wenn Smith ihr vom frühen Tod Mapplethorpes erzählt.
Über die Songtexte von Dua Lipa gibt es zwar keine Literaturseminare wie über die ihrer Gesangskollegin Taylor Swift an der Universität Basel im letzten Semester. Dafür könnte Lipa locker Hochschul-Vorlesungen über ihre Lektüre halten. Denn mit ihrer eleganten Eloquenz stellt sie manchen gestandenen Literaturkritiker oder spröden Professor in den Schatten.
Dua Lipa steht dafür aber nicht ins grelle Scheinwerferlicht wie manche Influencerin – dafür ist Lipa zu bescheiden und zeigt keine Popstarallüren. Für sie steht immer das Buch im Mittelpunkt, das sie liebt («Dua» heisst auf Albanisch «ich liebe») und dem Publikum näherbringen will. Sie will bloss einen Dienst erweisen oder – wie ihr Buchklub heisst – einen Service bieten.
service95.com/book-club/