Wetsuits, karierte Hemden, abgetragene Wollpullover: Im Kostümlager von Damaris Eigenheer in Zürich Wiedikon finden sich noch Spuren des Drehs zur neuen SRF-Serie «Neumatt». Die gebürtige Luzernerin bewegte sich dafür in Läden für landwirtschaftliche Berufskleidung und der Businessabteilung diverser grosser Modehäuser.
Zwischen diesen zwei Polen spielt auch die Serie, bei der Sabine Boss und Pierre Monnard Regie führten. Michi, ein ehrgeiziger Consultant, wird durch einen tragischen Schicksalsschlag gezwungen, sich mit seinen ländlichen Wurzeln auseinanderzusetzen. Plötzlich steht er in der Verantwortung für den Hof seiner Eltern ausserhalb von Zürich und muss für die Zukunft seiner Geschwister sorgen.
Zur realitätsnahen Zeichnung der Figuren und ihres Umfelds trägt auch die Arbeit von Eigenheer bei. Da zwickt mal eine Hose, da wird nichts kaschiert und wenn der Alltag vor lauter Stress ausfranst, sitzt auch der Anzug nicht mehr perfekt. Es sind diese kleinen Details, die viel zur authentischen Grundstimmung der Serie beitragen.
«Wir wollten möglichst realitätsnah sein und doch ein ästhetischen Gesamtkonzept schaffen», sagt Eigenheer. Weg von diesem «Schönmächerligen», wie sie es nennt. Die Mischung aus Echtheit und Ästhetik schätzt die Kostümbildnerin an skandinavischen Serien, an die «Neumatt» streckenweise tatsächlich erinnert und dies nicht nur wegen des Familiendramas. Wichtig sei ihr auch gewesen, dass die zwei Welten, Landwirtschaft und Business, nicht wertend dargestellt würden. «Anzüge sind nicht einfach nur schön anzusehen und Arbeitskleider nicht nur hässlich.»
Die Hauptfigur Michi, grossartig atemlos gespielt von Julian Koechlin, schlüpft in beide Welten: Aus den Gummistiefeln wechselt er ins gebügelte Hemd und vom Arbeitskittel in die Krawatte. «Es war faszinierend mitanzusehen, wie die Kleidung ihn jeweils veränderte: seine Haltung, seine Bewegungen.» Die innere Zerrissenheit äusserlich sichtbar machen: Auch Michis Mutter Katharina (Rachel Braunschweig) sieht man vom ersten Moment an, dass es ein Leben vor dem als Bäuerin gab. Zu extravagant ist ihr breitkrempiger Hut. «Sie hat sich in ihrer Ehe als Frau verloren, aber da lodert noch ein Feuer in ihr.»
Eigenheer, die eine Ausbildung als Couture-Schneiderin gemacht hat und als Kostümassistentin im Luzerner Theater und als Modestylistin gearbeitet hat, sagt die Arbeit beim Film am meisten zu. «Der Moment, wo ich das Drehbuch lese und mein eigener Film im Kopf abläuft, ist mir einer der liebsten.»
Klar sei die Arbeit in der Werbung lukrativer und auch familienkompatibler, sagt die Mutter von zwei kleinen Kindern, aber Figuren anhand von Kostümen mitkreieren, das ist das was sie machen will. Das Beifügen eines Puzzleteils zu einem grossen Ganzen, das ist so nur im Film möglich. Zusammen mit Regie, Autorinnen, Schauspielern und Maskenbildnerinnen hilft Eigenheer mit, die Figur zum Leben zu erwecken.
Mit Mood-Bildern, die eine Idee und Richtung von Materialität und Farbigkeit vorgeben, wird eine gemeinsame Sprache gesucht und manchmal haben auch die Schauspielenden selbst eine genaue Vorstellung, wie ihre Figur auszusehen hat. Da müsse man aufpassen, dass man den Fokus für das Ganze und die einheitliche Sprache der Kostüme nicht verliere. Am Ende sollen sich die Kostüme ins Ganze einfügen, ohne gross aufzufallen. Als Zuschauerin oder Zuschauer soll man sich ja nicht denken: «Was hat jetzt die schon wieder an?»
Damit alles scheint wie echt, braucht es ganz profane Tricks. Jacken, die in vierfacher Ausführung gekauft werden, da sie einmal schmutzig und sauber, zerschlissen und wie neu, aussehen müssen. Dass meist nicht chronologisch gedreht wird, macht das Ganze umso schwieriger. Auf Fotos halten die Garderobieren am Set die Abnützstellen und Schweissflecken in jeder Szene akribisch fest. Patinieren lautet der Fachbegriff, der das Bearbeiten der Kleider beschreibt, um sie getragen oder schmutzig aussehen zu lassen.
Auch bei zwei Folgen von «Tatort» hat Damaris Eigenheer als Kostümbildnerin gearbeitet. Dort müsse man sich mehr auf die Episodenhauptrollen und Nebenfiguren konzentrieren, sagt sie. Der Stil des Kommissarenduos ist vorgegeben. «Aber mit einer neuen Lederjacke kann man ihnen trotzdem eine Freude machen», lacht sie.
Als nächstes stehen zwei noch nicht ganz spruchreife Kinofilme an. Die Arbeit an der Serie habe sie darin gestärkt, dass sie ein grosses Ding stemmen könne, sagt Eigenheer, die auf einem Weiler aufgewachsen ist. «Mein Vater Künstler, meine Mutter Psychologin und ringsum vier Bauernhöfe. Wir waren die Freaks.»
An «Neumatt» interessierte sie dann auch die Auseinandersetzung mit der modernen Landwirtschaft: «Die Komplexität, die es mit sich bringt, einen modernen, wirtschaftlich rentablen Hof zu führen: Dafür werden heutzutage Managerqualitäten benötigt.» Es ist auch diese Diskrepanz zwischen handwerklicher Begabung und Führungsqualitäten, an der Michis jüngerer Bruder, der den Hof übernehmen soll, fast zerbricht und sich seine unbändige Wut in seinem, einen Tick zu engen, Faserpelz staut.
*Dieser Text von Sarah Sartorius, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.
(SDA)