Es ist nicht einfach, ein Fan von Oliver Tree zu sein. Der in Santa Cruz (Kalifornien) geborene Musiker ist bekannt dafür, seine rund 1,3 Millionen Follower auf die Folter zu spannen. Im letzten Jahr trieb er die User dazu, zigtausende Kommentare bei seinen Einträgen anzuhäufen. Das hörte sich dann etwa so aus: «50’000 Kommentare auf diesen Post und ich veröffentliche mein neues Video!» Die Crux: Ist die Zahl erreicht, schraubt Tree das Ziel höher. Und höher. Und noch höher.
Früher oder später erscheint der Videoclip dann doch noch. Und die Fans vergeben ihm, weil seine Lieder einfach so unverschämt gut sind. Denn Tree ist talentiert, ein musikalischer Tausendsassa, der zwischen Genres hin- und herhüpft. Brummender Hip-Hop hier, eine Piano-Ballade dort. Auch lyrisch hat der (angeblich) ehemalige Profi-Scooter-Fahrer einiges drauf. Aneckender Humor? Check. Verträumte Posie? Check.
Doch es ist nicht nur die Musik, die ihm im Netz Kultstatus eingehandelt hat. Tree zieht die Blicke mit seinem Äusseren auf sich. Eine 90’s-Rave-Jeans und eine violett-rote Ballonseide-Jacke gehören genauso zu seinem Ensemble wie ein Topfschnitt auf dem Kopf. Spätestens jetzt kommt die Frage auf: Ist das Ironie oder Ernst? Das weiss niemand so genau. Vielleicht ist es das Mysterium, das ihm Millionen von Fans beschert.
In Interviews tritt Tree häufig wie ein sechsjähriger Bengel auf. Da wird gejammert, was das Zeug hält. Geflucht wie ein Rohrspatz. Geheult wie ein Neugeborenes.
Videoclip kostete über eine Million
Tree ist ein Paradiesvogel. Das beweist er in seinen Musikvideos. Der Clip zum Hitsong «Hurt» (63 Mio. Mal auf Spotify gespielt) hat über eine Million Dollar gekostet und gehört damit zu den 50 teuersten Musikvideos aller Zeiten. Wahnwitzig wirds auch in seinem neuesten Werk «Cash Machine», wo er auf dem Wasser gegen einen Bösewicht in Gelb ums Überleben kämpft – und am Schluss stirbt. Irre, ja, aber unterhaltsam.
«Cash Machine» war der Startschuss für Trees Debüt-Album, das von Fans seit Jahren herbeigesehnt wird. «Ugly is Beautiful» heisst es. Und alles ist angerichtet, dass es am 27. März endlich das Licht der Welt erblickt. Die Fans zählen die Tage zum Release herunter. Fünf, vier, drei, zwei. Dann, am Mittwoch wendet sich Tree in den Sozialen Medien an seine Anhänger. «Der Release von Ugly is Beautiful ist wegen Covid-19 offiziell abgesagt.» Er hoffe, das Album «irgendwann in den nächsten fünf bis 10 Jahren» zu veröffentlichen. Dazu verkündet er gleich noch seinen Rücktritt: «Wir sind gezwungen, dieses Projekt zu beenden. Ich trete offiziell in den Ruhestand.»
Fans toben – und hoffen
Ein Witz, sind sich die Millionen von Hörern sicher. Sie haben nichts anderes erwartet als einen letzten Scherz, bevor sie in die Welt von «Ugly is Beautiful» eintauchen dürfen.
Es schlägt zwölf, der 27. März ist da. Das Album nirgends zu finden. Vielleicht wartet Tree bis zur letzten Minute, das würde ebenfalls in sein Schema passen. Wieder nichts. Auch am Tag danach fehlt von der Platte jede Spur. Das Gleiche am Sonntag. Mittlerweile laufen die Fans auf Instagram, Twitter und Reddit Sturm. Und feilen an irrwitzigen Prognosen, wann das Werk Online gehen könnte. Die Hoffnung, dass der ganze Spuk am 1. April vorbei ist, zerschlägt sich. In Anlehnung an die «fünf bis zehn Jahre» glauben einige an den 10. Mai oder aber den 5. Oktober. So oder so, es sieht danach aus, als ob das Warten noch eine Weile andauern wird. Die Fans von Oliver Tree kennen es nicht anders.