Rockmusiker Tom Gabriel Fischer (56) will trotz hohen Corona-Verlusten kein Geld vom Staat
«Zur Not würde ich auch WCs putzen»

Wegen der Corona-Krise verliert Rockmusiker Tom Gabriel Warrior Hunderttausende Franken. Trotzdem will er kein Geld vom Staat, wie er im Interview sagt.
Publiziert: 24.06.2020 um 23:03 Uhr
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Aktualisiert: 25.06.2020 um 10:49 Uhr
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«Ich hätte einen vernünftigen Beruf wie Bäcker oder Banker erlernen können. Aber das tat ich nicht», sagt Tom Gabriel Fischer.
Dominik Hug

Er ist einer der radikalsten Künstler der Schweiz, schaffte es trotzdem zu Weltruhm: Tom Gabriel Fischer (56), besser bekannt als Tom Gabriel Warrior, revolutionierte mit der Gruppe Celtic Frost in den 80er-Jahren den Heavy Metal. Mit der Nachfolgeband Triptykon tritt er noch heute bei den grössten Hardrock-Festivals auf. Nun hat der Zürcher mit dem 30-köpfigen holländischen Metropole Orkestre das Album «Requiem» veröffentlicht.

BLICK: Warum machen gerade Sie eine Klassik-CD?
Tom Gabriel Fischer: Es ist erstaunlich, dass ich überhaupt ein neues Album herausbringe. Das letzte erschien vor sechs Jahren. Je älter ich bin, desto träger werde ich. Meine Kadenz wird immer langsamer (lacht).

Ernsthaft.
Ich habe Celtic Frost mit 22 Jahren gegründet. Schon damals schwebte mir vor, eines Tages eine Totenmesse zu schreiben. Ich machte mich da auch schon sehr früh an die Arbeit. Aber dann kam immer wieder etwas dazwischen. Nach über drei Jahrzehnten habe ich das Werk schliesslich vollenden können.

Keine Angst, mit dem Einsatz von Geigen die Fans vor den Kopf zu stossen?
Nein. Musik ist Kunst. Und für die Kunst musst du jederzeit bereit sein, die Karriere aufs Spiel zu setzen. Geht man auf Nummer sicher, kommt keine Kunst heraus.

Einflussreicher Metal-Gitarrist

Tom Gabriel Fischer (56) wuchs in Nürensdorf ZH unter prekären Verhältnissen auf. Als Teenager spielte er mit seinem Jugendfreund Martin Stricker (1967–2017) in der Band Hellhammer. 1984 gründeten sie Celtic Frost und wurden auf der ganzen Welt bekannt. 2008 trennte sich die Gruppe. Daraufhin rief Fischer die Band Triptykon ins Leben. Er gilt als einer der einflussreichsten Metal-Gitarristen. Seine Songs werden sogar von Metallica gecovert. Fischer hat zwei Kinder. Seit kurzem ist er mit der Deutschen Kathy Lenze (35) liiert.

Tom Gabriel Fischer (56) wuchs in Nürensdorf ZH unter prekären Verhältnissen auf. Als Teenager spielte er mit seinem Jugendfreund Martin Stricker (1967–2017) in der Band Hellhammer. 1984 gründeten sie Celtic Frost und wurden auf der ganzen Welt bekannt. 2008 trennte sich die Gruppe. Daraufhin rief Fischer die Band Triptykon ins Leben. Er gilt als einer der einflussreichsten Metal-Gitarristen. Seine Songs werden sogar von Metallica gecovert. Fischer hat zwei Kinder. Seit kurzem ist er mit der Deutschen Kathy Lenze (35) liiert.

Was war die grösste Herausforderung?
Ich mache seit bald 40 Jahren Metal-Musik. Ich kann Metal-Songs im Schlaf schreiben. Klassische Kompositionen sind viel komplexer. Ich kann nicht mal Noten lesen, musste jetzt aber für 30 klassische Musiker Arrangements schreiben. Diese Leute haben alle Musik studiert, ich hingegen habe eine Mechanikerlehre gemacht. Himmel, alles war eine Herausforderung, bis es mich fast in den Wahnsinn getrieben hat.

Die Veröffentlichung kommt mitten in der Corona-Krise. Ist das gescheit?
Ob gescheit oder nicht interessiert mich nicht. Ich wollte das Ding so bald wie möglich veröffentlichen, nachdem wir es eingespielt hatten. Vielleicht auch, um es endlich endgültig hinter mich gebracht zu haben.

Sie mussten wegen Corona rund 15 Festival-Konzerte absagen. Wie gross ist der finanzielle Schaden?
Einige Hunderttausend Franken Umsatz bis Ende Jahr. Und die entschädigt mir niemand, da fast alle Shows im Ausland gewesen wären. Für Lohnausfall im Ausland kommt der Bund bekanntlich nicht auf. Aber ich würde ohnehin nie um Geld betteln. Ich habe nie auch nur einen Rappen Kultursubventionen beantragt. Meine Karriere trug sich von Anfang an selber, obwohl meine Musik komplett unangepasst ist.

Warum würden Sie nie um Geld betteln?
Ich hätte einen vernünftigen Beruf wie Bäcker oder Banker erlernen können. Aber das tat ich nicht. Ich habe mich bewusst für dieses Leben als Musiker entschieden. Also kann ich doch niemand anders dafür in die Pflicht nehmen, wenns mal harzig wird. Mir war schon früher klar, dass in einer Krise die Kultur am schnellsten unter Druck gerät. Denn dort sparen die Menschen am ehesten. Dennoch war es meine Wahl.

Haben Sie keine Existenzängste?
Doch, die hatte ich immer. Aber ich wählte die Freiheit statt die Sicherheit. Wer weiss, vielleicht wohne ich in einem Jahr tatsächlich unter einer Brücke und muss mich von Salzstängeli ernähren. Aber das wäre nicht weiter schlimm. Ich weiss, wie es ist, mit ein paar Münzen im Hosensack im Denner Brot einkaufen zu gehen. Zur Not würde ich auch WCs putzen, ich bin mir für nichts zu schade.

Hat Sie die Pandemie überrascht?
Nein. Auch die Heftigkeit nicht. In absehbarer Zeit leben acht Milliarden Menschen auf diesem Planeten. Jeder weiss, dass das viel zu viele sind. Ich nehme mich da nicht heraus, ich gehöre auch dazu. Ich bin auch ein Mensch, also einer zu viel. Wir leben in den Städten viel zu nahe aufeinander. Man muss kein Prophet sein, um vorhersagen zu können, dass es sofort zu einer Katastrophe kommt, wenn irgendein Virus ausbricht. Der Mensch setzt sich seit jeher über die Natur. Und schaut dann doof aus der Wäsche, wenn die Natur mal zurückschlägt.

Haben Sie Träume?
Keinen einzigen! Ich bin zufrieden, wie es ist. Vor einem halben Jahrhundert war ich ein Knirps in einem Zürcher Kaff, der den Traum hatte, Rockmusiker zu werden. Alle meinten, ich sei ein Spinner. Seither reiste ich mit meiner Musik x-mal um die Welt, ich kann seit Jahrzehnten von diesem Beruf leben. Was will ich denn noch mehr? Müsste ich heute sterben, würde ich mich glücklich verabschieden.

Seit kurzem haben Sie wieder eine Freundin. Regt das nicht zum Träumen an?
Nein. Wir haben es gut zusammen, ich geniesse die Beziehung sehr. Ich hatte eine schwierige Jugend, schaffte es dennoch, einigermassen heil herauszukommen. Ich habe alles gemacht, sämtliche Träume haben sich schon erfüllt. Ich muss nicht immer noch mehr haben. Irgendwann sollte man doch auch einfach mal zufrieden sein mit dem, was man hat.

Sie sprechen über Ihre Kindheit. Sie wurden von Ihrer geschiedenen Mutter zeitweise wochenlang unbeaufsichtigt allein gelassen, weil sie durch Schmuggel Geld verdiente. Zudem hielt sie fast hundert Katzen. Überall im Haus habe es Fäkalien gehabt, sagten Sie mal. Flöhe, Bandwürmer, Sie waren komplett verwahrlost. Haben Sie noch Kontakt zu Ihrer Mutter?
Den habe ich 1995 abgebrochen. An der Beerdigung meines Vaters im Jahr 2000 sah ich sie nochmals kurz. Seither ist Ruhe. Was für ein Glück!

Doch eher traurig.
Nein. Hätte meine Mutter in ihrem Leben auch nur einmal eine Sekunde Verantwortung übernommen, hätte ich ihr vielleicht verzeihen können. Doch das hat sie nie getan. Also muss ich mich auch nicht mein Leben lang mit ihr herumplagen. Da ziehe ich lieber einen Schlussstrich. Ich kann sehr konsequent sein.

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