Der Mann hat Geschichte geschrieben: Mit «Smoke on the Water», «Child in Time» oder «Hush» sang Ian Gillan von Deep Purple einige der grössten Klassiker der Rockmusik. Darauf bilde er sich nicht viel ein, sagt der Engländer am Telefon zu SonntagsBlick. Stolz sei er höchstens, dass er einst mit Opernstar Luciano Pavarotti (1935–2007) die Bühne teilte.
Wo stecken Sie gerade?
Ian Gillan: Im Ferienhäuschen in Portugal. Seit einer Woche bin ich hier. Meine Familie ist noch zu Hause in England. Glücklicherweise kommen sie bald nach. Ich bin nicht gern allein. Ich wache mitten in der Nacht auf, mache mir Notizen, dann hänge ich den ganzen Tag rum.
Warum sind Sie allein nach Portugal gereist?
Weil an unserem Häuschen dringend Umbauarbeiten anstanden. Die konnte ich nicht verschieben.
War die Quarantäne schwierig für Sie?
Im Gegenteil, ich fand sie angenehm. Von unserem Haus im Südwesten Englands hat man eine herrliche Aussicht aufs Meer. Ich sass im Garten und habe viel gelesen. Während des Lockdowns entwickelte ich aber auch eine regelrechte Abneigung gegen meinen Lieblingssport: Fussball.
Warum?
Zu Beginn habe ich mir dauernd alte Spiele angeschaut. Und da realisierte ich plötzlich, dass bei diesem Sport jeder nur noch bescheisst. Alle fünf Minuten lässt sich einer fallen, um einen Freistoss rauszuholen. Nein danke – das will ich mir nicht weiter ansehen. In der Quarantäne haben sich wohl viele ihrer alten Gewohnheiten entledigt. Und das hat durchaus etwas Erleuchtendes an sich.
Eine Gewohnheit haben Sie nicht aufgegeben: Deep Purple. Mit «Whoosh!» veröffentlichen Sie demnächst Ihr 21. Studioalbum. Was treibt Sie an?
Die Kameradschaft innerhalb der Band. Wir haben nach all den Jahren noch immer Spass, zusammen Musik zu machen. Deep Purple war seit jeher primär eine Instrumental-Band. 25 Prozent unserer Musik ist Improvisation. Langweilig wird es uns also nie.
Fallen Ihnen überhaupt noch neue Songs ein?
Ja. Ich schleppe ständig ein Notizbüchlein mit mir rum. Da schreibe ich alles nieder, was mir auffällt. Die Gedanken kreisen unaufhörlich. Wenn das aufhören würde, ist man tot.
Was beschäftigt Sie momentan?
Als ich zur Welt kam, hatte die Welt 2,5 Milliarden Einwohner. Heute sind es dreimal so viele. Das ist erschreckend. Umso mehr, wenn man den Prognosen Glauben schenkt, dass sich diese Zahl in den nächsten 30 Jahren verdoppeln wird. Die Überbevölkerung ist Ursache für die meisten Probleme unserer Welt – auch für das Coronavirus. Würden wir nicht alle so nahe aufeinanderhocken, hätte es sich nie so schnell verbreitet. Merke: Die Natur schlägt immer zurück, wenn sie zu sehr belastet wird. Mutter Natur ist der einzige wahre Gott.
Sonst glauben Sie an nichts?
Nein. Sicher nicht an irgendwelche Konzepte, die uns jemand vor 20 Jahrhunderten eingetrichtert hat und deren Inhalte bisweilen längst überholt sind. Ich glaube nur an die Natur. Sie ist gnadenlos, sie bittet um keinen Gefallen. Sie schenkt uns Menschen eine Plattform, um zu leben. Aber was wir mit unserem Leben anstellen, ist allein unsere Sache. Unser Planet käme problemlos ohne uns Menschen aus. Er würde uns keine Sekunde vermissen. Daher glaube ich nicht, dass es irgendeinen höheren Sinn hat, dass wir hier sind.
Was hat Sie am meisten gelehrt im Leben?
Das Reisen. Bis Anfang 20 dachte ich, dass meine Heimat West-London das Zentrum des Universums ist. Aber dann reiste ich in den Libanon, nach Japan... Ich reiste in der ganzen Welt herum und bekam so eine völlig neue Perspektive auf alles, was ich gekannt habe. Reisen ist Bildung. Sein Leben aus einer anderen Perspektive zu betrachten, ist überaus hilfreich, ein besserer Mensch zu werden.
Sie touren bis heute um die Welt. Ermüdet Sie das nie?
Das ist doch ein Privileg! Früher fanden wir es super, in einem kleinen Bus herumzufahren, um dann völlig übermüdet auf eine Bühne zu kraxeln. Heute nächtigen wir in schönen Hotels, wir reisen im Privatjet, müssen nicht mühsam einchecken, können also mehr Zeit in einem Museum verbringen. Gibt es eine angenehmere Art, sein Geld zu verdienen?
Müssen Sie noch Geld verdienen?
Nein, davon haben wir genug für mehrere Leben. Was ich meine: Wir würden auch um die Welt touren, wenn uns kaum mehr jemand sehen wollte. Hinter Deep Purple steckte nie ein Businessplan, sondern nur die Freude an der Musik und an unserer Freundschaft.
Hatten Sie je einen Plan B, falls es mit der Musik nicht geklappt hätte?
Nein. Ich bin einfach gesprungen. Und habe kein einziges Mal zurückgeschaut. Ich hatte nie irgendwelche Ambitionen. Aber ich bin ein sehr leidenschaftlicher Mensch: Wenn mir etwas gefällt, dann halte ich mit allen Mitteln daran fest.
Gilt das auch für Ihre Frau Bron?
Oh ja. Wir sind bald 40 Jahre verheiratet. Sie arbeitete früher bei einer Plattenfirma, wusste also von Anfang an, auf wen sie sich einliess. Und sie ist bis heute eine unglaubliche Stütze für mich. Ihr Interesse an mir hat bis heute nicht abgenommen. Bron ist die perfekte Partnerin. Wir können auch immer noch zusammen lachen. Mir ist durchaus bewusst, dass es rar ist, wenn sich zwei finden und sich auch viele Jahre später noch aufmerksam umeinander kümmern.
Auf was sind Sie stolz?
Mit Pavarotti befreundet gewesen zu sein. Diese Persönlichkeit, dieser Geist – Pavarotti war in jeder Beziehung ein enormer Mensch. Sein Timbre bleibt bis heute unerreicht.
Ian Gillans Grossvater war Opernsänger, sein Onkel Jazz-Pianist. Er selbst nahm nie Gesangsunterricht, sang aber schon im Kirchenchor die Sopranstimme. In den frühen 60er-Jahren trat er mehreren Rockbands bei. 1969 stiess er zu Deep Purple und schrieb einige der grössten Klassiker der Rockmusik, darunter das in Montreux VD entstandene «Smoke on the Water» (1972). Er war aber auch die Stimme in Andrew Lloyd Webbers Rockoper «Jesus Christ Superstar». Gillan ist verheiratet und hat eine Tochter. Die Familie lebt abwechselnd in England und Portugal.
Ian Gillans Grossvater war Opernsänger, sein Onkel Jazz-Pianist. Er selbst nahm nie Gesangsunterricht, sang aber schon im Kirchenchor die Sopranstimme. In den frühen 60er-Jahren trat er mehreren Rockbands bei. 1969 stiess er zu Deep Purple und schrieb einige der grössten Klassiker der Rockmusik, darunter das in Montreux VD entstandene «Smoke on the Water» (1972). Er war aber auch die Stimme in Andrew Lloyd Webbers Rockoper «Jesus Christ Superstar». Gillan ist verheiratet und hat eine Tochter. Die Familie lebt abwechselnd in England und Portugal.
Ihre Lieblingserinnerung?
Wir haben zweimal «Nessun dorma» zusammen gesungen. Er wollte eine Platte mit mir machen, obwohl er schon sehr krank war. Am Ende hatte er genug von der Oper. Er sagte mal, wie eifersüchtig er auf mich sei. Er müsse dauernd dieselben Arien singen und dürfe nie auch nur einen Ton davon abweichen, sonst würde ihn das Publikum kreuzigen. Ich hingegen könne jeden Abend «Smoke on the Water» anders singen und die Fans seien trotzdem begeistert.
Wie halten Sie Sorge zu Ihrer Stimme?
Ich halte mich ans Motto: Benutze sie oder verliere sie. Ich übe also viel. In meinem Fall war auch wichtig, dass ich mir nie die Seele aus dem Leib geschrien habe wie viele andere Rocksänger. Mir war früh bewusst, wie fragil die Stimme ist. Also habe ich sie nie überstrapaziert.
Was bedauern Sie?
Dass ich nie zur Uni gegangen bin. Ich hätte gerne Geschichte studiert. Aber dann hätte ich wohl schon im ersten Semester ein paar Kerle kennengelernt, mit denen ich eine Rockgruppe gegründet hätte. Es wäre also kaum anders herausgekommen.
Sie werden Mitte August 75 Jahre alt. Wie lange können Sie noch weiter rocken?
Das fragen wir uns auch. Vor ein paar Jahren waren ein paar Jungs von uns ein bisschen angeschlagen. Da dachten wir auch: «Oh weh, das wars dann jetzt mit uns.» Glücklicherweise haben sich alle erholt. Aber klar, in unserem Alter sollte man immer mit dem Schlimmsten rechnen.
Wie werden Sie den Geburtstag feiern?
Mit einem nettes Familienessen. Mehr liegt nicht drin. Schon als Kind hasste ich Geburtstage. Da kamen immer die dicken Tanten und Grossmütter vorbei, um mich mit ihren feuchten Lippen abzuküssen. Sie waren furchtbar parfümiert und geschminkt. Wie ich das hasste! Diese Erinnerung prägt mich bis heute.
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