Erst Gelächter, dann ein Schopf von kaum gebändigten, krausen Haaren, darunter schwarze Augen und ihr grosser, lachender Mund. Cecilia Bartoli biegt um die Ecke.
Meine Gedanken fallen um Jahrzehnte zurück. Es war ein Probennachmittag auf der Hauptbühne des Opernhauses Zürich. Nikolaus Harnoncourt dirigierte den 2. Akt von Mozarts «Figaros Hochzeit». Ein Traum von Musik. Ein Traum von Inszenierung. Und mittendrin, im Hosenkostüm aus hellblauer Seide, der Page Cherubino: Cecilia. Zack, sollte sie sich in einer Kammer verstecken und stand dann – so ist das eben am Theater – hinter der Kulisse, eine Handbreit vor mir. Ich erschrak fast zu Tode. Und sie? Sie lachte.
Wissen Sie eigentlich, wann wir uns zum ersten Mal begegneten?
Cecilia Bartoli: Vor langer Zeit. 1989. Unglaublich, was seitdem alles passiert ist.
Sie haben damals eingeschlagen wie eine Bombe. Gab es eigentlich eine Idee, was das alles einmal werden sollte?
Es war … sagen wir es so … eher ein Verlangen. Ich wollte Musik machen. An Karriere habe ich nicht gedacht. Ich wollte zusammen mit anderen Künstlern Musik machen. Und lernen, lernen, lernen.
Sie wollten nach vorne. Weiter …
Und wie! Aber ein Gedanke an eine Karriere war noch nicht einmal im Ansatz dabei. Ich denke, wer da bereits an Karriere denkt, der bringts nirgendwo hin. Ich bin sowieso dafür, den Dingen freien Lauf zu lassen.
Aber eines muss hier gesagt werden. Sie hatten immer, was ganz wenige Sänger besitzen: Timbre. Ihre Stimmfarbe. An zwei Tönen erkennt man Sie aus allen anderen heraus.
Nun ja. Das gehört halt zum Menschen. Genauso wie Sie blaue Augen haben und ich schwarze. Es ist ein Geschenk, das von dir verlangt, dass du damit arbeitest, die Technik des Singens absolut beherrschst.
Das hat Ihre Mamma geschafft, sagt man.
Erst war da das Römer Konservatorium Santa Cecilia. Dann hat mir tatsächlich Mamma beigebracht, so zu singen, als sei dies die natürlichste Sache der Welt. Zu singen, wie man spricht.
Die Sängerlegende Maria Stader hat mir erzählt, sie habe erst zwei Jahre nichts anderes als ein paar Tonfolgen, sogenannte Vokalisen, gesungen. Tagein, tagaus. Die gleichen Töne.
Mamma verlangte genau das Gleiche. Das ist die Schule, und meinen Schülern sage ich heute genau das Gleiche: Ohne dass man seinen Atem beherrscht, wird nichts aus dem Singen!
Wir alle atmen. Was soll denn da schwierig sein?
Beim Singen geht Luft raus. Man kann also nicht einatmen. Die Luft wird knapp, und es kommt zur Apnoe. Wie beim Schnarchen im Schlaf.
Das bedeutet Panik, weil man ja unbedingt atmen möchte.
Seltsam, aber wahr. Man muss lernen, die Apnoe als etwas ganz Tolles zu empfinden. Man muss so fit sein, dass man eine lange Gesangsphrase so ruhig und schön singt ... und singt … und singt ... dass jeder denkt, die hält das bis morgen durch.
Eine andere Singlegende, Lisa della Casa, fragte man, was sie einem jungen Sänger raten würde. Ihre Antwort: «Mach es nicht. Es ist ein zu hartes Leben!»
Okay. Es ist hart. Aber auch: Wäre es nicht schändlich, wenn man darauf verzichtete? Allein die Musik, die man macht. Und stehe ich auf der Bühne, lebe ich eine andere Welt. Heute auf der Probe bin ich Iphigénie, morgen Kleopatra und übermorgen Ariodante. Händel oder Gluck nehmen dich dann bei der Hand und führen dich durch ein anderes Leben.
Bloss passt nicht jede Rolle.
Glücklicherweise sind unsere Körper und damit unsere Stimmen verschieden. Man muss wählen, was für unser Instrument richtig ist.
Sie sprechen immer von Ihrer Stimme als Instrument.
Klar. Und dazu muss man Sorge tragen. Ist es einmal weg … dann Ciao!
Mit 17 Jahren entschloss sich Cecilia Bartoli 1983, Gesang zu studieren. Ihre Mutter begleitet sie seit dieser Zeit stimmtechnisch. Einer der Gründe für die lange Karriere der Bartoli. Was mit Mozart und Rossini begann, hat sie im Laufe der Jahre bis hin zu Rollen in Opern von Bellini und Donizetti erweitert. Ihre CDs stürmen verlässlich die Hitparade, und wo immer sie singt, sind die Häuser ausverkauft. Sie ist seit 2012 Leiterin des Pfingstfestivals Salzburg und übernimmt 2023 die Leitung der Oper von Monte Carlo.
Mit 17 Jahren entschloss sich Cecilia Bartoli 1983, Gesang zu studieren. Ihre Mutter begleitet sie seit dieser Zeit stimmtechnisch. Einer der Gründe für die lange Karriere der Bartoli. Was mit Mozart und Rossini begann, hat sie im Laufe der Jahre bis hin zu Rollen in Opern von Bellini und Donizetti erweitert. Ihre CDs stürmen verlässlich die Hitparade, und wo immer sie singt, sind die Häuser ausverkauft. Sie ist seit 2012 Leiterin des Pfingstfestivals Salzburg und übernimmt 2023 die Leitung der Oper von Monte Carlo.
Viele Sänger beachten das nicht. Sie werden entdeckt, singen, machen rasch Karriere und …
… schon sind sie weg vom Fenster. Für uns alle kommt der Moment, wo wir wählen müssen. Glauben Sie mir. Das ist ein Privileg. Wir alle – auch Sie – haben eine eigene Stradivari im Hals. Niemand, der eine Stradivari spielt, würde damit Tennis spielen. Aber mit der Stimme tut man's.
Nochmals eine Singlegende. Edita Gruberova. Sie sagte, dass sie jedes Jahr im Sommer für zwei Monate mit Singen aufhöre. Erst ein Monat ohne Gesang. Dann, im zweiten Monat, beginnt sie erneut mit den Stimmübungen ihrer Jugend. Sie ist 73 und singt immer noch.
Ich nehme mir sogar mehr Ferien. Nach dem Pfingstfestival von Salzburg, dessen Direktorin ich bin, nehme ich frei. Dann sehe ich Freunde in Italien, koche, gehe ins Kino, an Konzerte, höre andere Musiker. Da lernt man immer etwas. Vor allem die grossen Pianisten und Geiger singen oft besser als wir!
Sie haben damals grosse Karriere gemacht. Die Metropolitan New York hat Sie gerufen, für Sie sogar eigene Inszenierungen gemacht. Aber dann haben Sie aufgehört. Ihre Stimme sei für so grosse Theater zu klein, haben Sie mir gesagt.
Nun ja. Die Komponisten, die quasi für meine Stimme geschrieben haben, Mozart, Rossini …, haben ihre Werke für kleine Häuser komponiert. Zürich ist da die richtige Grösse. Weil: Ich habe den Kontakt zum Publikum nötig. Ein Abend wird gross, wenn das Publikum und ich zusammen atmen. Es ist wie Pingpong. Und das schafft man in einem Theater mit 4000 Zuschauern einfach nicht!
Überlegen Sie für solche Entscheidungen lange?
Einfach ist das nicht. Aber es gibt ja die Grundlage der Partitur. In diese haben die Komponisten all jene Nuancen geschrieben, die in einem zu grossen Theater verloren gehen, wo dich das Publikum nur durch den Operngucker richtig sieht. Du schreist dir erst die Lunge aus dem Leib, und dann geht auch noch deine Stimme futsch.
Haben Sie sich deswegen eine zweite Karriere als Intendantin in Salzburg aufgebaut?
Absicht war das nicht. Nur Zufall. Alexander Pereira war nach Salzburg gerufen worden. Das Pfingstfestival lief nicht besonders gut. «Du hast», sagte Pereira, «für deine Konzerte stets Mottos, Ideen. Die sind nicht nur klug, die finden auch beim Publikum Anklang … Könntest du nicht …?
So wurden Sie Intendantin – Prinzipalin, wie man am Theater sagt.
Nun ja. Wir bringen die Pfingstaufführungen nochmals im Sommer. Mit Erfolg. Und ich lerne, was es als Intendantin braucht. Man lernt Sänger kennen, Regisseure. Bühnenbildner. Überlegt: Könnte das funktionieren? Das fasziniert mich!
Und schon haben Sie Ihre Fingerchen in einem ganz anderen Teig!
Klar.
Können Sie sich denn vorstellen, mit Singen aufzuhören?
Es geht nicht darum, dass ich es vielleicht tun werde. Ich muss es mir vorstellen, weil es eines Tages sein wird.
Klar ist: Ihre Stimme ist etwas schwerer geworden.
Sicher. Das sind die Jahre und das Singen. Meine Stimme ist jetzt etwas besser gewürzt. Eine Stimme ist wie ein guter Rotwein. Man legt ihn für einen Moment in ein Fässchen, damit er etwas runder wird …
Wohin geht also die Reise?
Nun ja. Salzburg endet 2023. Dann gibt es ein neues Theater. Die Oper von Monte Carlo. Da soll ich Intendantin werden.
Hat man Sie einfach geholt, weil Sie eine berühmte Sängerin sind oder weil es wirklich funktionieren könnte?
Wohl beides. Es könnte wirklich klappen, weil ich in Salzburg ziemlich gut durchgestanden habe. Ohne diese Erfahrung dürfte ich nicht einmal daran denken, so etwas zu machen.
Das wird aufregend. Eine Römerin, durch Heirat Schweizerin geworden, leitet die Oper im Steuerparadies Monaco.
Römerin bleibe ich. Das lebt in mir. Und Schweizerin bin ich gerne. Und auf den Pass bin ich stolz. Mein musikalisches Leben, wenn man so will, hat hier stattgefunden. Das Opernhaus ist der Ort, wo ich mich zu Hause fühle. Das ist mein Theater. Was ich in der Schweiz auch gelernt habe, ist Toleranz. Irgendwie habt ihr es über Jahrhunderte geschafft, über Grenzen und Sprachen miteinander anständig zu leben. Ich frage mich dauernd: Weshalb lernt eigentlich Europa nicht von euch?
Letzte Frage: Was soll in 200 Jahren von Ihnen bleiben?
Ich war eine Musikerin, die ein Leben lang versucht hat, mit Ihrer Stimme Bilder zu malen. Mit Farben, immer neu und überraschend.
Allerletzte Frage: Was möchten Sie noch erreichen?
Phhh … In meinem Leben einmal Tortellini wie Grossmutter fertigzubringen. Ich mache sie, und Mamma sagt: «Wenn du noch etwas übst, gelingen sie dir eines Tages sicher …»
«Iphigénie en Tauride» feiert heute, 2. Februar am Opernhaus Zürich Premiere.
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