Melody Gardot, auf dem Cover ihres letzten Albums «Live in Europe» sind Sie nackt von hinten zu sehen, Sie tragen nur Ihre Gitarre. Warum?
Ohh, ich wollte das unbedingt so – und ich musste für dieses Bild sehr kämpfen! Und da ist ja nichts Anrüchiges dabei – ich denke ich sehe aus wie eine Statue in einem Museum. Nach meinem schweren Unfall vor 15 Jahren war ich zuerst m Rollstuhl, dann ging ich am Stock. Inzwischen geht es mir viel besser. Ich kann wieder normal laufen, habe ein anderes Körperbewusstsein. Ich bin stolz auf meinen Körper. Meine Nacktheit soll nicht als Provokation verstanden werden.
Was verbindet Sie mit Montreux?
Ich war hier schon oft, ich habe hier in ganz verschiedenen Konstellationen gespielt. Da war Claude (Anm. der Red.: Claude Nobs, der 2013 verstorbene Gründer des Festivals) noch da. Die Festivals waren auch tolle Partys, ich habe hier immer viele Leute getroffen.
Welches war die bleibendste Erinnerung?
Das war 2009, wir machten uns gerade bereit für den Auftritt auf der grossen Bühne, da kam Prince ins Auditorium Stravinski, um von der Seite aus zuzuschauen. Ich war überrascht, ihn zu sehen, denn ich hatte ihn mir viel grösser vorgestellt. Dann begann ich mit meinem ersten Song, und es war einer der schlimmsten Momente meines Lebens. Denn irgendwann schrien alle: «Das Mikrophon ist aus!» Man kannte meine Stimme kaum hören. Wir mussten den Song dann wiederholen. Das war peinlich! Ausgerechnet, als Prince dabei war.
Dieses Jahr spielten sie im Montreux Jazz Club vor nur 600 Leuten – statt wie letztes Mal vor 4'000 – ist das anders?
Komplett anders! Wir sind gerade auf der fünften Station unserer Tour – der Montreux Jazz Club ist winzig für uns – so einen intimen Rahmen gibt es sonst nirgends. Das ist ja, wie man für sich selbst oder in einem Studio Musik macht – bei anderen Stationen haben wir 20’000 Leute und mehr im Publikum.Es ist immer wieder anders: Vor Montreux traten wir in einer Kathedrale auf, da konnten wir das lange Echo spielerisch mit einbeziehen.
Machen Ihnen die Auftritte Spass?
Ja, weil es immer wieder anders ist – auch die Songs verändern sich. Manche Songs sind plötzlich zehnmal länger als in der Studioversion auf dem Album. Deshalb unterscheiden sie sich auf dem Live-Album oft auch stark von den ursprünglichen Versionen.
Hängt das auch vom Publikum ab?
Ja, das Publikum spielt eine enorme Rolle. Wie auch die Zusammensetzung der Band oder die Energie des Ortes.
Haben Sie es lieber, wenn Ihnen die Leute zuhören – oder wenn sie laut mitgehen und mitklatschen?
Beides ist gut. Es ist immer ein Experiment, in jeglicher Hinsicht. Wir hatten Konzerte mit 20’000 Leuten, die sind alle aufgestanden, es gibt Hallen, mit nur 2000 Zuschauern, die sehr konzentriert und passioniert sind. Die Wiener wollen immer ganz viele Zugaben, die Brasilianer singen mit. In Deutschland klatschen sie zu den Noten zwischen den Noten – die Deutschen sind sehr konzentrierte Zuhörer.
Welcher ist ihr liebster Auftrittsort?
Das Wiener Opernhaus. Der Ort, an dem die Streichinstrument am besten zur Geltung kommen – und ich habe Wiener Wurzeln. Es ist toll in London oder Paris zu spielen, aber wenn ich in Wien bin, spüre ich meine Vorfahren hinter mir lautlos klatschen. Und ich spüre die Energie des Ortes. Ich habe mich da eine Stunde in der Garderobe eingeschlossen, der Veranstalter dachte erst, irgendwas sei nicht okay. Ich war einfach überwältigt von den Emotionen. Ich könnte es kaum glauben, dass meine kleinen Füsse auf einer Bühne stehen, wo Rachmaninov, Chopin und alle schon waren. Wie unglaublich!
Glauben Sie an Übersinnliches und an Geister?
Ich glaube an die Energie der Orte! Ja, das ist real, das ist keine Glaubenssache, das ist Realität. Andere Leute gehen auf Friedhöfe. Weil sie sich nahe fühlen wollen mit verstorbenen Legenden, wie zum Beispiel Jim Morrison. Man steht im Schatten der Schwingungen, die an einem Ort stattgefunden haben. Es ist, wie wenn man in Armenien zu einem Ort aus dem ersten Jahrhundert geht. Man kann die Geschichte fühlen.
Wir freuen uns, dass Sie so oft in der Schweiz auftreten. Was schätzen Sie an unserem Land?
Schauen Sie mal hier aus dem Fenster – diese Landschaft ist wundervoll! Schade ist nur, dass ich jetzt keine Zeit habe, um schwimmen zu gehen.
Machen Sie es doch so wie letzt Woche die Sängerin Ala.ni – die ist hier letzte Wochen nach ihrem Auftritt auf der Seebühne einfach ins Wasser gesprungen.
Das wohl nicht. Am liebsten würde ich auf ein Boot gehen und es geniessen. Doch dazu fehlt die Zeit – wir müssen weiter. Nächste Station unserer Tournee ist in Baalbek, Libanon, da spielen wir schon übermorgen. Aber sicher geniesse ich hier die Landschaft, sie hat den Chic der französischen Riviera. Und ich spüre die Energie, die dieses Festival ausstrahlt.