Trampeln, Bravo-Rufe, regelrechte Jubelschreie, einige Zuschauer hält es nicht auf ihren Sitzen. Allerdings gibt es auch Buh-Rufe für den Intendanten der Komischen Oper Berlin, der als erster jüdischer Regisseur in die Festspiel-Geschichte eingehen dürfte.
Die Personalie Kosky ist schon ein Politikum, doch auch inhaltlich ist das, was er auf die Bühne bringt, hochpolitisch. Er stellt den viel diskutierten Antisemitismus Wagners in den Mittelpunkt und zeigt ein Plädoyer gegen Fremdenhass und für Toleranz.
Dabei fängt alles so kuschelig an: Der erste Aufzug spielt dort, wo Wagners «Wähnen Frieden fand» - im Haus Wahnfried in Bayreuth. Bei Kosky ist Richard Wagner mit seinem Alter Ego Hans Sachs (Michael Volle) aus den «Meistersängern» identisch.
Im Kreise seiner Liebsten zelebriert Wagner seine kleinen Macken, seine Hundeliebe zu Molly und Marke und sein Faible für gewöhnungsbedürftig duftende Parfums. Zu einer Privatvorstellung kommt auch der jüdische Kapellmeister Hermann Levi zu Besuch, der von Wagner verspottet wird, als er sich während der Messe nicht hinkniet und kein Kreuzzeichen macht.
Dass es in Koskys Inszenierung nicht um die liebevolle Würdigung der kleinen, menschlichen Macken des Meisters gehen soll, sondern um dessen ganz grossen Makel wird im zweiten Aufzug mehr als deutlich.
Wahnfried verschwindet, stattdessen erheben sich die Wände des Nürnberger Gerichtssaals 600, dem berühmten Ort der grossen Kriegsverbrecher-Prozesse nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Dort wird der Jude Levi zu Beckmesser (Johannes Martin Kränzle), dem Juror im Sängerwettstreit. Für Kosky ist er die zentrale Figur in Wagners einziger komischen Oper.
Als Beckmesser nach zahllosen Sticheleien von Sachs schliesslich von einer Menschenmenge attackiert und verprügelt wird, verpasst Kosky ihm die Maske eines Juden-Zerrbildes, das aussieht wie dem Nazi-Hassblatt «Stürmer» entsprungen. Schliesslich entfaltet sich neben ihm eine riesige, hakennasige Karikatur.
«Was ist nun dieses Nürnberg?» Das sei seine zentrale Überlegung gewesen, schreibt Kosky im Programmheft. Seine Inszenierung hat er seit ihrer Premiere im vergangenen Jahr geändert und beispielsweise eine Wiese als Schauplatz des zweiten Aktes gestrichen.
Nürnberg sei für Wagner ein Paradies, eine Utopie, gewesen, die er im Kleinen in der Villa Wahnfried gefunden habe. Für viele andere sei Nürnberg aber die Stadt der grossen Reichsparteitage der Nationalsozialisten.
Dass Beckmesser schliesslich vom Volk aus der Stadt gejagt wird, weil er sich an deutschem Kulturgut schuldig gemacht und nicht gut genug gesungen hat, ist eine der wichtigsten Szenen in Koskys Inszenierung. Für ihn singt dann Walther von Stolzing (wie immer glockenhell und unangreifbar: Klaus Florian Vogt), ein christlicher Jüngling auf Freiersfüssen - und wird vom Volk gefeiert.
Philippe Jordan am Pult gibt dieser Interpretation und den Sängern viel Platz und erntet Applaus für sein eher zurückhaltendes Dirigat. Vogt und Kränzle werden zu Recht gefeiert für ihren Auftritt, Emily Magge als Eva (und Cosima) zu Recht ein bisschen weniger.
Unendlich gross ist der Jubel für Volle als Wagner/Sachs, der das insgesamt schon hervorragende Sänger-Ensemble mit seiner Präsenz und Stimmgewalt noch einmal um Längen überragt.
Ein jüdischer Regisseur inszeniert Adolf Hitlers Lieblingskomponisten Wagner auf dem Grünen Hügel - dort, wo der Diktator einst so willkommen war, dass er Onkel Wolf hiess. Plakativ könnte man es da nennen, dass Kosky sich ausgerechnet den Antisemitismus in Wagners Werk vorknöpft - oder folgerichtig und geboten.
Schliesslich machen Antisemitismus und Fremdenhass in Deutschland heute in lange nicht mehr für möglich gehaltener Regelmässigkeit Schlagzeilen und schleichen sich immer weiter in den politischen Mainstream.
In Koskys Inszenierung hängt eine Uhr an der Wand des Nürnberger Gerichtssaals. Sie dreht sich erschreckend schnell rückwärts. Als sie schliesslich stehen bleibt, ist es Viertel vor zwölf.
Auch die religionskritische «Parsifal»-Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg stiess ins gleiche Horn: ein Plädoyer für Toleranz statt Hass und Ausgrenzung. Yuval Sharon, dessen Eltern aus Israel stammen, hatte dagegen mit dem diesjährigen Eröffnungs-«Lohengrin» ein unpolitisches Märchen erzählt.
Und auch Katharina Wagners düsterer, auswegloser «Tristan», für den sie am Freitagabend ausgebuht wurde, war eine Liebesgeschichte - nicht mehr und nicht weniger. Grosse Liebe und grosse Politik sind in diesem Jahr die beiden Pfeiler der Festspiele.