Hoch über Montreux schlängelt sich die enge Strasse «Route des Monts» nach Caux auf 1054 m ü. M. Hier oben lebte bis zu seinem Tod am 10. Januar 2013 Festivalgründer Claude Nobs (†76). Ein legendärer Ort, aufgeteilt in zwei Chalets, in die der passionierte Gastgeber viele seiner Stars einlud und sie den atemberaubenden Blick auf den Genfersee, die Berge und die Weinreben des Lavaux geniessen liess.
Für Einladungen konzipiert war besonders das 2006 erbaute «Le Grillon». Heute ist das Haus auch für Partner des Festivals geöffnet sowie für private Gruppen, die in dem besonderen Ambiente einen besonderen Abend verbringen möchten. Inklusive ist darin eine Führung durch das Universum des Claude Nobs, ein riesiges Sammelsurium verschiedenster Dinge, das den Besucher immer wieder staunen lässt.
Claude Nobs «schleppte pausenlos Sachen an»
Auf insgesamt vier Stockwerken finden sich Möbel, Lampen, Bilder, Plakate früherer Festivalausgaben, Flipperkästen, Statuen, Hüte sowie eine riesige Modelleisenbahn-Sammlung, deren Wert auf rund 100’000 Franken geschätzt wird. «Nichts von all diesen Sachen ist neu, alles gebraucht», sagt Simon Lepêtre, Sekretär der Claude Nobs Foundation, der sich um den Nobs-Nachlass in den Chalets kümmert und auch die Gäste empfängt. «Claude fand die Sachen in Hotels, die schliessen mussten, in der Brockenstube, im Internet oder auch einfach am Strassenrand – pausenlos schleppte er Sachen an. Was wir hier sehen, ist eine etwas entschlackte Version des Ganzen.»
Zu sehen sind auch Erinnerungsstücke von Musikern, die am Festival auftraten, so zum Beispiel Freddie Mercurys Klavier. Auch eine riesige Sammlung alter Vinylplatten und CDs beherbergt einer der Räume.
Nobs war passionierter Gastgeber
Hauptattraktion ist aber die offene Küche, die stets ein wichtiger Teil der Unterhaltung à la Claude Nobs war. Nobs, gelernter Koch, liebte es, Gäste zu empfangen, sie zu bekochen und zu bewirten, sie mit seinen Erlebnissen zu unterhalten oder ihren Erzählungen zu lauschen. «Dies wollen wir auch heute fortführen, unsere Gäste lieben es, in die Küche zu gehen und in die Töpfe zu schauen», erklärt Lepêtre, der im Chalet Apéros oder Mehrgang-Dinners für Gruppen veranstaltet.
Und obwohl sich in diesem Chalet im ersten Stock auch Claude Nobs' Büro befand: Gelebt hat er im «Le Grillon» nie. Sein eigentliches Zuhause befand sich im zweiten Chalet in unmittelbarer Nähe, dem «Picotin». Nobs' ehemaliger Lebenspartner Thierry Amsallem (55) – mit dem der Festivalboss bis zu seinem Tod ein Vierteljahrhundert liiert war – lebt weiterhin hier. Und auch hier ist dank unzähliger Memorabilien Claude Nobs' Geist weiterhin spürbar.
Der Dachstock wird zum Konzertsaal
Herzstück dieses Hauses, welches früher als Stall fungierte, ist eine Art brandgeschützter Bunker, in dem das komplette Archiv des Montreux Jazz Festival untergebracht ist, das seit 2007 in Zusammenarbeit mit der ETH Lausanne digitalisiert und das 2013 in das Dokumentenerbe der Unesco aufgenommen wurde. Dieses Montreux-Erbe umfasst 10'000 Bänder mit mehr als 5000 Stunden Konzertaufnahmen, die seit der Gründung des Festivals 1967 gemacht wurden. Darunter sind einige ganz einmalige Aufnahmen, beispielsweise von Miles Davis’ allerletztem Auftritt von 1991. Das Archiv ermöglicht dem Besucher auch einen Streifzug durch die Aufnahmetechnik. «Claude Nobs begann schon 1991 mit HD-Aufnahmen, also 15 Jahre vor der Etablierung der HD-TV», erklärt Simon Lepêtre.
Nobs' Hang zu perfekter (Klang-)Technik zeigt sich auch im Dachstock des «Picotin»: Hier befindet sich ein Vorführraum mit alten Flugzeugsesseln der Swissair, der es in sich hat: Nobs pimpte ihn mit zwei Soundsystemen so auf, dass die Akustik des Auditoriums Stravinski in Montreux nachempfunden wird. Sprich: Aufnahmen früherer Festivals klingen derart echt, dass man das Gefühl hat, live im Konzert zu sitzen. «Claude war es immer sehr wichtig, technisch und damit klangtechnisch Aussergewöhnliches zu bieten», sagt Lepêtre. Und das hatte Folgen. Er fügt an: «Manch einer verliess diesen Vorführraum schon mit Tränen der Rührung, weil er vom so nah und echt wirkenden Gebotenen derart ergriffen war.»