Alexander Bernstein
«Vater hat mit seiner Kunst die Welt bereichert»

Jahrhundertkomponist Leonard Bernstein war sein Vater: Nun spricht Alexander Bernstein darüber, wie es war, mit Stars wie den Beatles aufzuwachsen.
Publiziert: 23.01.2023 um 08:01 Uhr
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Leonard Bernstein mit dem New Yorker Philharmonic Orchestra im Januar 1961.
Foto: Getty Images

«West Side Story» ist wahrscheinlich das berühmteste Musical überhaupt. Komponiert hat es Leonard Bernstein (1918–1990) Mitte der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Anlässlich der Neuinszenierung in Zürich erinnert sich sein Sohn Alexander (67), wie es war, unter dem legendären Dirigenten, dessen Klassiker vor zwei Jahren auch von Oscar-Gewinner Steven Spielberg (76) neu verfilmt wurde, aufzuwachsen und weshalb er nicht immer ein toller Vater gewesen war.

SonntagsBlick: Herr Bernstein, «West Side Story» geniesst auch nach 70 Jahren grosse Popularität. Warum?
Alexander Bernstein: Die Melodien aus dem Musical sind längst Klassiker geworden. Jeder kennt sie. Die Musik weckt in den meisten Menschen schöne Erinnerungen. Gleichzeitig sind die Kompositionen zeitlos geblieben, weil sie so vielseitig sind – was das wirklich Erstaunliche und auch Aussergewöhnliche an ihnen ist.

Sie waren zwei Jahre alt, als «West Side Story» 1957 am Broadway uraufgeführt wurde. Wie musikalisch war Ihre Kindheit?
Vater komponierte oft zu Hause, denn er hasste es, allein zu sein. Er lag beispielsweise auf dem Sofa, halb schlafend, dann wachte er wieder auf und machte sich Notizen von neuen Ideen oder ging zum Klavier und spielte etwas. Was er nicht mochte, war das Radio. Er wollte nicht abgelenkt oder beeinflusst werden. Wir Kinder durften auch kein Radio hören, wenn wir Hausaufgaben machten. Wir hörten daheim auch kaum Platten anderer Künstler. Dafür besuchten wir regelmässig Konzerte.

Und lernten da die berühmtesten Stars kennen.
Genau. Ich war etwa neun, als wir die Beatles hinter der Bühne der «Ed Sullivan Show» trafen. Ich lernte Michael Jackson kennen, Königin Elizabeth II. Viele dieser Begegnungen waren für mich natürlich unglaublich.

Persönlich: Leonard und Alexander Bernstein

Leonard Bernstein entstammte einer jüdischen Einwandererfamilie. Er wuchs im US-Bundesstaat Massachusetts auf. Schon als Kind spielte er Klavier. Später studierte er an der Harvard-Universität Musik und Philosophie. Bald galt er als Wunderkind. Sein Repertoire umfasste klassische wie avantgardistische Werke. Bernstein hat drei Kinder, unter ihnen der in New York wohnhafte Alexander Bernstein (67), der geschieden und Vater einer Tochter (23) ist.

Leonard Bernstein entstammte einer jüdischen Einwandererfamilie. Er wuchs im US-Bundesstaat Massachusetts auf. Schon als Kind spielte er Klavier. Später studierte er an der Harvard-Universität Musik und Philosophie. Bald galt er als Wunderkind. Sein Repertoire umfasste klassische wie avantgardistische Werke. Bernstein hat drei Kinder, unter ihnen der in New York wohnhafte Alexander Bernstein (67), der geschieden und Vater einer Tochter (23) ist.

Was für ein Mensch war Ihr Vater?
Er war immer voller Energie. Er hatte auch eine wunderbare Aura. Betrat er einen Raum, nahm er ihn ganz für sich ein. Und er hatte ein wahnsinniges Erinnerungsvermögen. Er konnte ganze Szenen von Shakespeare zitieren. Oder hörte er mal ein Lied eines anderen Künstlers, das ihm gefiel, konnte er es sofort nachspielen. Er war diesbezüglich wirklich ein Genie.

Hatte er auch negative Eigenschaften?
Er wusste, dass er aussergewöhnlich war. Und liess uns das auch gerne wissen. Bekam er mal schlechte Kritik, setzte ihm das sehr zu. Ihm haftete eine gewisse Selbstverliebtheit an. Er konnte sehr ausschweifend erzählen, was für ein tolles Konzert er gerade wieder gegeben hatte. Besitzt jemand ein grosses Ego, kann das für andere bisweilen erdrückend sein. Das war es vor allem für meine Mutter.

War er manchmal auch zornig?
Als Kind steckte ich ihm mal einen Bleistift ins Ohr. Da wurde er richtig sauer. Verständlich, denn sein Gehör war sein grösster Schatz. Ansonsten aber regte er sich vor allem über falsche politische Entscheide oder Krieg und soziale Ungerechtigkeit auf. Darüber konnte er sich richtig enervieren.

Ihre Eltern trennten sich in den 70er-Jahren, weil Ihre Mutter herausfand, dass Ihr Vater schwul war. Wie war diese Zeit für Sie?
Ich ahnte schon als Teenager, dass meinem Vater noch andere Menschen sehr wichtig waren. Damals dachte ich, dass er vielleicht eine Freundin hat. Er war ja auch oft weg und wurde überall vergöttert. Später hatte ich viele schwule Freunde. Deshalb hat es mich nicht allzu sehr schockiert, als Vaters Veranlagung bekannt wurde. Aber klar: Meine Mutter tat mir natürlich sehr leid.

Er zog danach mit seinem Freund zusammen.
Genau, Tommy. Dieser Entscheid hat unsere Familie auseinandergerissen. Nachdem bei meiner Mutter Krebs diagnostiziert worden war, kehrte er aber zu ihr zurück und blieb bis zu ihrem Tod 1978. Da haben wir uns längst versöhnt.

1990 starb Ihr Vater an Herzversagen. Erinnern Sie sich an seine letzten Worte?
Es war ein Sonntag, ich war in seinem Haus. Ich habe mir im TV ein Football-Spiel angesehen. Vater war schon länger krank, er wurde beatmet. Ich bin immer wieder in sein Zimmer gegangen, um nach ihm zu sehen. Und dann war er plötzlich nicht mehr da, er starb ohne letzte Worte an mich.

Als Bernstein-Erbe hätten Sie seither ein geruhsames Leben führen können. Trotzdem haben Sie immer gearbeitet.
Ich wollte ursprünglich Schauspieler werden, war aber zu schlecht – und auch nicht leidenschaftlich genug für diesen Beruf. Danach war ich viele Jahre als Lehrer tätig. Das hat mir viel Freude gemacht. Heute führe ich das Bernstein-Office in New York, kümmere mich um die Rechte und Lizenzen des Werks meines Vaters. Ich fülle meinen Alltag gerne sinnvoll aus.

Einfach nur das Leben zu geniessen, wäre nichts für Sie gewesen?
Den ganzen Tag nichts tuend am Strand herumliegen wäre eine Horrorvorstellung. Da würde ich mich nach drei Tagen zu Tode langweilen. Das habe ich wohl von meinem Vater geerbt. Er konnte kaum stillsitzen, musste immer etwas tun. Er hat mit seiner Kunst die Welt bereichert, ihr so viel Gutes gegeben. Im kleineren Rahmen wollte ich das ebenfalls immer versuchen.

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