Bei einem Konzert in Frankreich wurde dem jungen Emerson zum ersten Mal klar, wie wichtig die Show ist: Als die Dorfjugend aufeinander losging, begann er seine Hammondorgel auf der Bühne herumzuwerfen. «Ich drehte total durch», erzählte er «Innerviews". «Der Kampf hörte auf. Der Promoter stand an der Seite der Bühne und schrie: «Weiter! Weiter!» Alle schauten auf die Bühne und sagten: «Was zum Teufel macht dieser Typ?»
Seitdem baute Emerson immer extremere Stunts in seine Konzerte ein, erst bei der Band The Nice, dann bei der Prog-Supergruppe Emerson, Lake and Palmer. Am kommenden Samstag (2. November) wäre der Keyboarder 75 Jahre alt geworden.
Geboren wurde Emerson am 2. November 1944 im nordenglischen Todmorden. Seine Familie lebte in einem Reihenhaus mit einer Gemeinschaftstoilette am Ende der Strasse. Eigentlich galt er als stilles Kind und Klavierwunder. Seine Mitschüler schlugen ihn nur deswegen nicht zusammen, «weil ich auch Lieder von Jerry Lee Lewis und Little Richard spielen konnte. Also hielten sie mich für cool und liessen mich in Ruhe.»
Doch schon als Teenager entdeckte Emerson die Hammondorgel und experimentierte später mit dem legendären Moog-Synthesizer. Er nahm das Ungetüm sogar als erster Musiker mit auf Tour und arbeitete eng mit dessen Erfinder zusammen. 1967 gründete er schliesslich mit Musikerkollegen die Band The Nice und kombinierte Jazz, Blues und Klassik zu einem neuen Sound. Sie spielten 1970 ihren allerletzten Gig im Berliner Sportpalast.
Dann kam die Supergruppe Emerson, Lake and Palmer, kurz ELP. Der Bassist und Sänger von King Crimson, Greg Lake, erinnerte sich in «Rolling Stone» an das entscheidende Gespräch mit Emerson: «Ich bin mit The Nice am Ende angelangt», vertraute dieser ihm an. «Ich habe alles getan, was ich kann. Jetzt fühle ich mich eingeschränkt.» In derselben Nacht gründeten sie ELP mit Schlagzeuger Carl Palmer.
Ihre Rockinterpretation von Mussorgskis «Bilder einer Ausstellung» sorgte im August 1970 auf dem Isle of Wight-Festival für Aufsehen. Im selben Jahr veröffentlichten sie ihr gleichnamiges Debütalbum. In die Charts kam es aber vor allem wegen «Lucky Man», einer Akustik-Ballade, die Lake im Alter von zwölf Jahren geschrieben hatte.
Doch eigentlich war Emerson für den charakteristischen Sound der Gruppe verantwortlich. Vor allem mit seiner Rocksuite «Tarkus» auf ihrem 1971er Album konnte er seine Virtuosität demonstrieren. Am Anfang verwirrte er mit diesem neuen Progressive Rock viele Zuhörer, erinnerte sich Emerson 2015 in «Innerviews". Heute dagegen würden seine Werke wie «Tarkus» von Philharmonieorchestern vor vollen Hallen gespielt. «Ich werde auf der Bühne vom Dirigenten vorgestellt. Es ist jenseits meiner wildesten Träume. Jetzt habe ich es geschafft.»
Auf «Tarkus» folgte «Trilogy» mit «Hoedown», und schliesslich kam 1973 «Brain Salad Surgery". Mit den Erfolgen in den Charts verkauften sich Millionen von Platten. Ihre Bühnenspektakel wurden immer bombastischer - mit fliegenden Flügeln, Feuerwerkskörpern und Styroporschnee. Die aufkommende Punkszene hasste ELP dafür leidenschaftlich. Der bekannte britische Musikjournalist John Peel nannte sie «eine Verschwendung von Talent und Strom".
Aber im Grunde war ihre Zeit schon lange vorbei. Der Kartenverkauf für ihre Welttour 1977 lief so langsam an, dass sie ihre Entourage von 115 Leuten - einschliesslich Chor und Orchester - radikal zurückschrauben mussten. Und als ihr Album «Love Beach» noch nicht mal in die Top 40 kam, lösten sich ELP schliesslich 1979 auf. Schon zuvor waren ihre Egos häufig zusammengeknallt. Emerson gab zu: «Wenn du zehn Wochen zusammen unterwegs bist, wie wir es oft waren, bist du es leid, einander zu sehen», sagte er dem Magazin «Prog". «Aber sobald wir die Bühne betraten, verschwanden alle Gedanken an Probleme zwischen uns.»
Emerson widmete sich danach seiner Solokarriere und schrieb Soundtracks wie für «Nachtfalken» (1981) mit Sylvester Stallone. Nach mehreren Reunions traten Emerson, Lake and Palmer zum letzten Mal 2010 in London beim High Voltage Festival auf. 2011 nahm Emerson mit dem Orchester des Bayerischen Rundfunks das «Three Fates Project» auf.
Langfristig wollte er sich aus dem Musikgeschäft zurückziehen. Trotz einer Operation an der rechten Hand litt der Klaviervirtuose seit Jahren an Schmerzen. Ein zweiter Keyboardspieler sollte ihn daher bei einigen japanischen Konzerten unterstützen.
Dazu kam es jedoch nicht mehr. Nach Keith Emersons Tod durch Suizid am 11. März 2016 erklärte seine Partnerin Mari Kawaguchi der «Daily Mail": «Er wollte seine Fans nicht im Stich lassen. Er war ein Perfektionist und der Gedanke, dass er nicht perfekt spielen würde, machte ihn depressiv, nervös und ängstlich.» Keith Emerson hinterliess zwei erwachsene Kinder aus einer früheren Ehe und vier Enkelkinder.
(SDA)