Für viele ist sie die Hohepriesterin des Zynismus und Pessimismus: die deutsche Star-Autorin Sibylle Berg (57), die morgen Sonntag für den Schweizer Buchpreis nominiert ist. Auch in ihrem neusten, von Kritikern gefeierten Roman «GRM Brainfuck» nimmt Berg den Leser mit auf einen Höllenritt durch ein düsteres England der Zukunft. Im BLICK-Interview verrät die Wahlzürcherin, was Licht in ihr Leben bringt und sie glücklich macht.
BLICK: Frau Berg, Sie beschreiben in Ihren Werken meist eine trostlose Welt. Was bedeutet Glück für Sie?
Sibylle Berg: In meiner Definition ist es zufällig. Die Zugabe zur Zufriedenheit. Oder: der Zufall, den es braucht, um die richtigen Menschen zu treffen, die richtigen Situationen zu erkennen. Glück ist kurz. Nichts, was man, wie eine Verliebtheit, dauernd ertragen könnte.
Was macht Sie privat glücklich?
Es mag unendlich konstruiert klingen – aber es macht mich mindestens einmal am Tag glücklich, per Zufall privilegiert zu sein. Geburtsort, Gesundheit, Sie wissen schon. Da leben zu können, wo ich immer leben wollte, in dem Beruf, den ich zwanzig Jahre erträumt hatte, den besten Freund neben mir zu wissen. Ich staune fast jeden Tag, was für ein Schwein ich gehabt habe.
Was macht Sie als Schriftstellerin glücklich?
Dass ich von meiner Arbeit gut leben kann. Die Zeit vor dem Schreiben eines Buches, wenn ich an einem Thema bin und studieren kann. Dass ich im Pyjama arbeiten kann. Dass ich keine Chefin habe, dass ich machen kann, was ich will. Sie merken, es hört gar nicht auf.
Was macht Sie garantiert unglücklich?
Menschen, die mir ihren Lebensentwurf aufzwingen wollen. Einschreiben. Hupen. Dummheit. Ungerechtigkeit. Mangelnde Solidarität. Empathielosigkeit. Menschenmassen. Kälte. Heizungsausfall. Keine Badewanne. Sterblichkeit.
Haben Sie Rituale, die Sie immer glücklich machen?
Nein. Ich hab es nicht sehr mit Ritualen.
Welche Musik macht Sie glücklich und warum?
Im Moment Grime. Ein britischer Musikstil, der seine Wurzeln in der elektronischen Musik hat. Kluge Texte, Erinnerung an England, an das Schreiben meines Buches «GRM Brainfuck». Die vielen grossartigen Grime-Künstler, die ich kennengelernt habe.
Machen Sie Literaturpreise glücklich?
Ich bin nicht sehr geübt im Preisebekommen und bin eher verwirrt, wenn es passiert. Ich weiss, dass sie die Wahrnehmung vieler ändern. Es ist wie ein Gütesiegel, aber ich habe keine Ahnung, von wem und warum. Das ist das Problem mit den Preisen. Wer entscheidet warum über Qualität und Preiswürdigkeit? Da sind wir wieder beim Zufall. Preise sind Zufälle. Nichts, auf das man besonders stolz sein kann. Es wäre aber gelogen, dass das Preisgeld nicht glücklich macht, wenn man es so unverhofft bekommt. Generell würde ich lebenslang auf Preise verzichten, wenn man dafür menschlichere Systeme für Schriftstellerinnen finden würde.
Was heisst das?
Norwegen zum Beispiel unterstützt seine Autoren und Autorinnen finanziell. Irland erliess ihnen lange die Steuer. Schreiben ist langsam, schlecht bezahlt und etwas Anachronistisches. Es ist, scheint es mitunter, ein aussterbender Beruf, wenn man es die Märkte regeln lässt.
Ist es leichter, glücklich oder unglücklich zu sein?
Es hängt, glaube ich, von der Intelligenz ab. Begreift man seine Privilegien: Gesundheit, Bildungschancen, Klima. Oder sieht man eher, was man nicht hat: gutes Wetter, Milliarden auf dem Konto oder ein unendliches Leben.
Sie haben Anfang der 90er-Jahre die Schauspielschule Scuola Dimitri im Tessin besucht – fanden Sie dort Ihr Glück?
Nein, ich habe einen Drei-Monats-Stage gemacht in der Zeit, als ich auf meine Zulassung zum Studium wartete. Ich habe mein Leben nie auf Bühnen gesehen, ich bin viel zu schüchtern. Und junge Menschen sind übrigens meist eher ein wenig unglücklich, weil sie – mangelnder Erfahrung geschuldet – sich für das Zentrum der Welt halten, und das immens viele Demütigungen bedeutet.
Sibylle Berg wurde als Tochter eines Musikprofessors und einer Bibliothekarin in Weimar (damalige DDR) geboren. Gleich mit ihrem Erstlingswerk gelang ihr 1997 der Durchbruch. Neben Romanen schreibt die polarisierende Autorin auch Essays, Kolumnen und Theaterstücke und wurde unter anderem 2019 mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor ausgezeichnet. Letztes Jahr sorgte Berg in der Schweiz auch politisch für Furore: Sie brachte ein Referendum gegen das sogenannte «Sozialdetektiv-Gesetz» zustande. Mit dem Roman «GRM. Brainfuck», der im April 2019 erschien, feierte sie ihren bisher grössten Bestsellererfolg.
Sibylle Berg wurde als Tochter eines Musikprofessors und einer Bibliothekarin in Weimar (damalige DDR) geboren. Gleich mit ihrem Erstlingswerk gelang ihr 1997 der Durchbruch. Neben Romanen schreibt die polarisierende Autorin auch Essays, Kolumnen und Theaterstücke und wurde unter anderem 2019 mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor ausgezeichnet. Letztes Jahr sorgte Berg in der Schweiz auch politisch für Furore: Sie brachte ein Referendum gegen das sogenannte «Sozialdetektiv-Gesetz» zustande. Mit dem Roman «GRM. Brainfuck», der im April 2019 erschien, feierte sie ihren bisher grössten Bestsellererfolg.
Neben Sibylle Berg gehen vier weitere Schweizer Schriftstellerinnen und Schriftsteller ins Rennen um den Schweizer Buchpreis. Die in Zagreb geborene und in Zürich aufgewachsene Theaterautorin Ivna Zic (33) ist für ihren Seconda-Roman «Die Nachkommende» nominiert, die gebürtige Thurgauerin Tabea Steiner (38) für ihr Dorfporträt «Balg». Auch die Aargauerin Simone Lappert (34) ist mit ihrem viel gerühmten Roman «Der Sprung» mit dabei. Der einzige Mann unter den Nominierten ist der Basler Autor Alain Claude Sulzer (66) mit seinem Roman «Unhaltbare Zustände».
Neben Sibylle Berg gehen vier weitere Schweizer Schriftstellerinnen und Schriftsteller ins Rennen um den Schweizer Buchpreis. Die in Zagreb geborene und in Zürich aufgewachsene Theaterautorin Ivna Zic (33) ist für ihren Seconda-Roman «Die Nachkommende» nominiert, die gebürtige Thurgauerin Tabea Steiner (38) für ihr Dorfporträt «Balg». Auch die Aargauerin Simone Lappert (34) ist mit ihrem viel gerühmten Roman «Der Sprung» mit dabei. Der einzige Mann unter den Nominierten ist der Basler Autor Alain Claude Sulzer (66) mit seinem Roman «Unhaltbare Zustände».
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