Der junge Mann schiebt einen Teller vor mich hin. Kurz gebratene Kalbsnierchen. «Essen Sie das überhaupt?» Dazu ein breites Lachen.
Seit jenem Tag kenne ich Philippe Rochat. Es sind die 1970er-Jahre, sein erster Tag im Hôtel de Ville von Fredy Girardet. Ich selbst sitze zum ersten Mal am wackeligen Tischchen der Küche. Hier sitzen Freunde des Hausherrn, werden von den Köchen mit jenen Gerichten bedient, die sie für den Gast kochten.
Zehn Jahre später ist Rochat Chef dieser Küche. 1996 kauft er das Haus.
Girardet wollte das Haus loswerden, doch niemand hat die Millionen, die er dafür fordert. Wären da nicht drei Freunde von Philippe, Milliardäre oder zumindest Millionäre, Philippe hätte keine Chance. Aber: Rochat hat das Talent zur Freundschaft und so überraschen ihn die drei mit einem zinslosen Darlehen.
Ich selbst bin alles andere als ein Millionär, aber Philippe nennt auch mich seinen Freund. Ich sitze oft in der Küche. Seine grosse Liebe ist Franziska Moser. Sie heiraten. Philippe strahlt. Die Liebe hat den rauen Gesellen weicher werden lassen. Beide mögen klassische Musik, kommen am Sonntagabend oft nach Zürich und entdecken hier die Oper. Bis Rochat das Hôtel de Ville übernimmt. Bislang arbeitete er von 8 Uhr morgens bis nach 3 Uhr mittags, fuhr dann Velo um danach bis
11 Uhr nachts weiterzuarbeiten. Jetzt ist er um 7 Uhr morgens im Büro, arbeitet bis lange nach Mitternacht im Restaurant. Und fährt immer noch wild Velo. «Was soll ich aufgeben, was ich so liebe und brauche!»
Philippe arbeitet ungeheuer hart. Er hat mit der Übernahme des Hauses 1996 einen Michelinstern und Gault-Millau-Punkte verloren. Er sagt: «Ich habe zehn Jahre lang als Chef für Girardet gekocht. Danach genauso. Es gibt keinen Unterschied? Mir ist klar: Kritiker haben kein Herz. Aber haben Sie auch keine Geschmacksnerven?» Er holt sich die Auszeichnungen im nächsten Jahr zurück.
2002 stirbt Franziska. Seine Miene ist finster. Bitter. Er arbeitete noch härter.
Als er das Haus Benoît Violier 2012 übergibt, tut er dies so, dass die finanzielle Belastung für diesen nicht zu gross ist. Und so schlau, dass Violier Auszeichnungen seines Vorgängers nicht verliert. Jetzt baut er sich und Laurence Rochat, der neuen Partnerin, ein Haus, lebt ein ruhiges und glückliches Leben. Und fährt weiter Velo. Und stirbt. Mit 61.