Sich in kaum mehr als zwei Monaten fast 200 neue Filme und ebenso viele Fernseh-Shows reinziehen – das ist der Traum von Couch-Potatoes. Wie schafft man das überhaupt zeitlich? Indem einem Filmstudios und Produzenten DVDs ins Haus schicken. Ich gehöre seit 31 Jahren als Mitglied der Golden Globe-Jury zu den «Glücklichen». Die Anführungsstriche sollen sagen: Das Bombardement mit weit über 500 Stunden visuellem Entertainment (nicht eingerechnet die Filmmusiken, die es separat zu bewerten gilt) gleichen einem Vollzeit-Job.
Die meisten der Filme, die sich bis zur Deadline vor Weihnachten um den Oscar der Auslandspresse bewerben, sind zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal im Kino. Was mich und meine 83 Kollegen der «Hollywood Foreign Press Association» für Freunde und Bekannte begehrenswert macht.
Jeder will sich DVDs mit potentiellen Blockbustern ausleihen. Die Filmstudios wissen das und warnen mit Strafandrohung davor, den Bitten stattzugeben. Verständlich. Wenn ein Film oder die neue Staffel einer Erfolgsserie Wochen vor der Premiere/Erstausstrahlung und sogar Monate vor dem DVD-Launch in die falschen Hände gerät und als Raubkopie auf den Markt kommt – der Schaden kann in die Millionen gehen.
Von den zehn Filmen, die im Rennen um den Golden Globe (in den Kategorien bestes Drama und beste Komoedie) liegen, sind sechs in unseren Kinos noch nicht zu sehen gewesen.
Hier die Voraussage, wer am Sonntag die 30 Zentimeter grosse und 2,5 Kilo schwere Statue verliehen bekommt:
Bester Film (Drama): Boyhood
Warum: Zeigt die Entwicklung eines sechsjährigen Jungen über die nächsten zwölf Jahre seines Lebens und die Schauspieler altern in Echtzeit.
Warum nicht: Martin Luther Kings friedlicher Bürgerrechts-Marsch von Selma (so auch der Titel) zur Hauptstadt Montgomery des rassistischen Bundesstaates Alabama wühlt auf.
Bester Film (Komödie): Birdman
Warum: Ein in die Jahre gekommener Comic-Superheld versucht sich als serioeser Theater-Schauspieler zu profilieren. Was daraus wird, ist ein so surreales Drama, bei dem einen die Lachtraenen kommen.
Warum nicht: Im «Grand Budapest Hotel» ist alles herrlich schräg.
Beste Schauspielerin (Drama): Julianne Moore
Warum: Herzzerreissend als Frau, die eigentlich zu jung ist, um schon ihren Geist an Alzheimers zu verlieren («Still Alice - Mein Leben ohne Gestern»)
Warum nicht: Rosamund Pike zieht in «Gone Girl» als eiskalter blonder Engel Ehemann (Ben Affleck) und Publikum in ihren Bann.
Beste Schauspielerin (Komödie): Amy Adams
Warum: Sie verkörpert in dieser wahren Geschichte («Big Eyes») nahtlos zum Original eine unterwürfige Künstlerin, die sich den Erfolg ihrer Bilder (die immer Kinder mit übergrossen Augen zeigen) von ihrem Mann (Christopher Waltz) stehlen lässt.
Warum nicht: Wenn Julianne Moore nicht in der Drama-Kategorie gewinnt, dann hat sie mit der schwarzen Komödie «Maps to the Stars» ein zweites Eisen im Feuer.
Bester Schauspieler (Drama): Steve Carell
Warum: Die Ulknudel vom Dienst gibt seinen Fans in «Foxcatcher» als mörderischer Mäzen aus der Milliardärs-Familie DuPont eine Gänsehaut.
Warum nicht: David Oyelowo gleicht in «Selma» Martin Luther King aufs Haar und Charisma – und dabei ist er Engländer.
Bester Schauspieler (Komödie): Michael Keaton
Warum: Der ehemalige Batman als ehemaliger «Birdman» - brillant wie Keaton mit einer Vergangenheit abrechnet, die seine eigene sein könnte.
Warum nicht: Christoph Waltz ist in «Big Eye» wieder einmal der Bösewicht, der sich mit einem Lächeln tarnt. Mit Rollen wie dieser hat er schon zwei Oscars gewonnen.
Die Golden Globe Awards werden morgen Sonntag, 11. Januar in Los Angeles verliehen. Da die Abstimmungen für die Oscars oft nur wenige Tage danach beginnen, hoffen viele Beteiligte, durch ein erfolgreiches Abschneiden bei den Golden Globes in der Gunst der Academy-Mitglieder zu steigen.