TV-Serien haben die Filmfestivals erreicht
Solothurn wird sexy

Netflix erobert die Filmfestivals. Auch in Solothurn werden so viele Serien wie noch nie gezeigt. Die freche SRF-Produktion «Seitentriebe» feiert sogar Weltpremiere.
Publiziert: 25.01.2018 um 18:09 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 22:05 Uhr
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Die Serie "Seitentriebe" von Güzin Kar feiert an den Solothurner Filmtagen Premiere.
Foto: zvg
Lukas Rüttimann

Es wird sexy in ­Solothurn. An den Filmtagen, sonst eher ein Festival für Kopflastiges und Bodenständiges, feiert die frech-frivole SRF-Serie ­«Seitentriebe» Premiere. Vier ­Episoden des Mehrteilers von ­Güzin Kar und Markus Welter ­bekommen die Festivalbesucher gezeigt – einen Monat bevor das Publikum bei SRF mitlachen darf.

Die flotte Geschichte über ein Paar, das mittels Therapie sein ­dröges Sexleben wieder auf Trab bringen will, ist aktuellster Beweis für den Boom in der Schweizer Filmlandschaft. Noch nie wurden so ­viele Serien produziert. Neben «Seitentriebe» zeigt Solothurn deshalb heuer auch die welschen Produktionen «Quartier des Banques», «Ondes de Choc» und «Romans d’Adultes» sowie die SRF-Serie «Wilder» plus den Zweiteiler ­«Private Banking». «Das Interesse ist stark angestiegen. Als Werkschau tragen wir ­diesem Trend Rechnung», sagt Film­tage-Direktorin Seraina Rohrer. Dabei waren Serien in ­Solothurn nicht von Anfang an eine Erfolgsgeschichte, wie sich Rohrer erinnert. Als man vor drei Jahren mit dem «Bestatter» erstmals einen Abend mit einer Deutschschweizer Serie durchführte, war der Saal leer ­(siehe Interview unten). Letztes Jahr dagegen war der Event innert kürzester Zeit ausverkauft. Diskussionen darüber, ob Serien in ein Festivalprogramm gehören oder nicht, gab es in Solothurn kaum. Als Abbild der Schweizer Filmlandschaft wolle man zeigen, was produziert wird, so Rohrer. «Für mich ist klar. Da gehören Se­rien dazu.» In Cannes dagegen ­waren Shows und Filme von neuen Anbietern wie Netflix oder Amazon zuletzt das grosse Streitthema.

TV-Produktionen am Festival der Hochkultur?

Die cinephilen Franzosen wehrten sich dagegen, dass Produktionen an ihrem Hochkultur-Festival eine Plattform erhalten sollen, ohne dass sie im Kino zu sehen sind. Nach Buhrufen im Saal und Protesten auf der Croisette musste man sogar die Statuten ändern: Neu muss jeder Wettbewerbsfilm in Cannes einen Kinostart vorweisen.

Cannes-Lieblinge - David Lynch («Twin Peaks»)
Foto: REUTERS

Angenähert hat sich das Festival den neuen Sehgewohnheiten dennoch. Über Cannes-Lieblinge wie David Lynch («Twin Peaks») und Jane Campion («Top of the Lake») führte man Serien quasi durch die ­kulturelle Hintertür ins Programm ein. Inzwischen macht man es in Südfrankreich wie an allen grossen Festivals: Man räumt Serien einen prominenten Platz ein.Darüber freut man sich auch beim Schweizer Fernsehen. In den vergangenen Jahren habe das Inte­resse an Serien bei Filmfestivals stark zugenommen, sagt Urs Fitze. «Wir begrüssen das und sind gerne bereit, unsere Produktionen auch in diesem Umfeld zu zeigen. Das beweist doch, dass die Unterscheidung von Kino und TV je länger, je weniger von Bedeutung ist», so der Bereichsleiter Fiktion von SRF.Tatsächlich müssen sich Serien schon lange nicht mehr hinter ­Kinofilmen verstecken. «Sopranos», «Game of Thrones», «Fargo», «House of Cards» – solche Produktionen haben nicht nur Budgets wie Blockbuster, sie sind inhaltlich ­vielen sogar überlegen. Heute drehen selbst international gefeierte Autorenfilmer Serien – mit Folgen bis in die Schweiz. Der Mehrteiler «Onde de Choc» etwa vereint mit ­Lionel Baier, Frédéric Mermoud, Jean-Stéphane Bron und Ursula Meier die Crème de la Crème der Westschweizer Filmemacher.

Serien-Macher erhalten an Festivals direktes Feedback

Kein Wunder brummt die Serienproduktion im Land. Überall werden Shows produziert, zumal das Format auch als Startrampe für ­abgeleitete Kinofilme funktioniert. «Frontaliers Disaster», der Film, der im Tessin doppelt so viele Zuschauer wie «Star Wars: The Last Jedi» ins Kino gelockt hat, stammt aus einer Sketch-Serie bei RSI.

Bis vor kurzem waren Serien in Solothurn verpönt.
Foto: PETER SCHNEIDER

Bleibt die Frage, was ein Festival­auftritt den Produzenten von ­Serien bringt. Zum einen könne man in Solothurn ein anderes Publikum erreichen als via SRF, sagt Direktorin Rohrer. Doch entscheidender dürfte das Verlangen nach Bestätigung sein. Am TV gibt es Feedback bloss in Form von Quoten. Im Kinosaal dagegen erleben Regisseure und Schauspieler hautnah, ob das Publikum an den richtigen Stellen lacht oder vor Anspannung in die Sitzlehne beisst. Auch die Macherinnen und Macher von «Seitentriebe» werden nach Solothurn wissen, wie sexy ihre Serie über das Sexleben wirklich ist. 

Interview mit Seraina Roher, Direktorin der Solothurner Filmtage

2018 zeigen Sie so viele Serien wie noch nie. Seit wann ist das Format für Festivals so wichtig?

Seraina Rohrer: Das ist ein relativ neues Phänomen. Die ersten Serien kamen aus der Westschweiz, wo das Format Tradition hat. Wir haben erstmals vor drei Jahren mit dem «Bestatter» ­einen Deutschschweizer Serienabend in Solothurn durchgeführt. Das hat ­allerdings niemand interessiert, der Saal war fast leer.

Heute ist das anders. Was ist passiert?

Früher hing Serien das Vor­urteil an, billige Unterhaltung zu sein. Das hat sich völlig verändert. Serielles Erzählen ­gehört heute international zu den Königsdisziplinen.

Sollte ein Festival wie ­Solothurn nicht anderes zeigen als «Der Bestatter» oder «Seitentriebe», die über SRF ein Millionen­Publikum erreichen?

Wir sehen das anders. Solothurn soll eine Werkschau des Schweizer Filmschaffens sein, da gehören Serien dazu. Wenn etwas so boomt wie Serien, dürfen sie in Solothurn auf keinen Fall fehlen.

Wird es bald einen ­speziellen Serien-Award am Festival geben?

Wir vergeben bereits einen Schauspielpreis für Se­rien- und TV-Pro­duktionen. Aber wir sind kein Award-Festival. Als Werkschau wollen wir zeigen, was in der Schweiz pro­duziert wird.

Wo sehen Sie die Gründe für den aktuellen Boom?

Hoch qualitative Serien wie ursprünglich von HBO aus den USA haben zu einer Aufwertung geführt. Heute ist es eine Ehre, wenn man eine ­Serie drehen darf.

Wie stehen Sie persönlich zum Format?

Ich bin kein Serien-Junkie, aber ich bin ein Fan des seriellen ­Erzählens. Wenn man eine Geschichte fortlaufend vertiefen kann, bleibt sie einem oft länger im Kopf als ein Film.

Wie ist «Seitentriebe»?

Amüsant, witzig, leicht. Man hat wirklich etwas ­Neues ­versucht.

2018 zeigen Sie so viele Serien wie noch nie. Seit wann ist das Format für Festivals so wichtig?

Seraina Rohrer: Das ist ein relativ neues Phänomen. Die ersten Serien kamen aus der Westschweiz, wo das Format Tradition hat. Wir haben erstmals vor drei Jahren mit dem «Bestatter» ­einen Deutschschweizer Serienabend in Solothurn durchgeführt. Das hat ­allerdings niemand interessiert, der Saal war fast leer.

Heute ist das anders. Was ist passiert?

Früher hing Serien das Vor­urteil an, billige Unterhaltung zu sein. Das hat sich völlig verändert. Serielles Erzählen ­gehört heute international zu den Königsdisziplinen.

Sollte ein Festival wie ­Solothurn nicht anderes zeigen als «Der Bestatter» oder «Seitentriebe», die über SRF ein Millionen­Publikum erreichen?

Wir sehen das anders. Solothurn soll eine Werkschau des Schweizer Filmschaffens sein, da gehören Serien dazu. Wenn etwas so boomt wie Serien, dürfen sie in Solothurn auf keinen Fall fehlen.

Wird es bald einen ­speziellen Serien-Award am Festival geben?

Wir vergeben bereits einen Schauspielpreis für Se­rien- und TV-Pro­duktionen. Aber wir sind kein Award-Festival. Als Werkschau wollen wir zeigen, was in der Schweiz pro­duziert wird.

Wo sehen Sie die Gründe für den aktuellen Boom?

Hoch qualitative Serien wie ursprünglich von HBO aus den USA haben zu einer Aufwertung geführt. Heute ist es eine Ehre, wenn man eine ­Serie drehen darf.

Wie stehen Sie persönlich zum Format?

Ich bin kein Serien-Junkie, aber ich bin ein Fan des seriellen ­Erzählens. Wenn man eine Geschichte fortlaufend vertiefen kann, bleibt sie einem oft länger im Kopf als ein Film.

Wie ist «Seitentriebe»?

Amüsant, witzig, leicht. Man hat wirklich etwas ­Neues ­versucht.

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