Herr Koch, sitzen Sie in Ihren Träumen im Rollstuhl?
Samuel Koch: Ja, aber ich bin nicht gelähmt und mache auf den Armlehnen den Handstand. Ich lief in meinen Träumen lange Zeit. Inzwischen ist der Rollstuhl zu einem Bestandteil von ihnen geworden.
Tun Sie sich leid?
Ich nerve mich natürlich manchmal über mich. Dass ich einmal so einen Blödsinn gemacht habe und dieser millisekundenlange Fehler so viel Ärger mit sich bringt. Aber ob ich mir leid tue? Eigentlich nicht. Auch wenn ich jeden Morgen hundert Gründe dafür finden könnte. Ich versuche, weniger an mir herunter zu schauen und mich nicht um meinen eigenen Mikrokosmos zu drehen. Ich behaupte, es gibt mindestens genauso viele Dinge, über die ich mich freuen kann, wie solche, die mir Leid verschaffen.
In Ihrem Kinodebüt «Draussen in meinem Kopf» spielen Sie einen jungen Mann, der Muskelschwund hat und sich nicht bewegen kann. Was hat Sie an der Figur des Sven gereizt?
Dass er mir fremd ist, auch wenn es körperliche Parallelen zwischen uns gibt. Er ist Waise, hat sein ganzes Leben nur in Heimen verbracht.
Und er weiss, dass er bald sterben wird. Sein Zustand verschlechtert sich zunehmend.
Der Film basiert ja auf einer wahren Begebenheit, die sich vor 15 Jahren in Hamburg abspielte. Ein Zivildienstleistender half einem Patienten zu sterben und wurde dafür verurteilt.
Sven ist manipulativ und verbittert, was man als Zuschauer nachvollziehen kann. Haben Sie auch Momente, in denen es Ihnen schwerfällt, mit Menschen, die Ihnen helfen, nett zu sein?
Natürlich wäre ich gerne unabhängiger. Aber das Schöne ist, dass es Menschen gibt, die für mich da sind. Mir fällt keine Situation ein, in der ich mich forsch, unhöflich oder gar tyrannisch gegeben hätte aufgrund meines Zustands. Wie in allen Beziehungen gibt es auch in meiner Meinungsverschiedenheiten, die man ausdiskutiert.
«Draussen in meinem Kopf» wird im Rahmen der Open-Air-Kino-Tage in Nottwil am 13. August gezeigt. Samuel Koch ist Special Guest. Filmbeginn: 21.30 Uhr beim Hotel Sempachersee auf dem Campus der Paraplegiker-Stiftung. Infos: www.hotelsempachersee.ch Der Filmstart für die Schweiz ist noch offen.
«Draussen in meinem Kopf» wird im Rahmen der Open-Air-Kino-Tage in Nottwil am 13. August gezeigt. Samuel Koch ist Special Guest. Filmbeginn: 21.30 Uhr beim Hotel Sempachersee auf dem Campus der Paraplegiker-Stiftung. Infos: www.hotelsempachersee.ch Der Filmstart für die Schweiz ist noch offen.
Bereits vor Ihrem Unfall vor acht Jahren begannen Sie, Schauspiel zu studieren. Danach setzten Sie die Ausbildung fort. Es gibt geeignetere Tätigkeiten für einen Tetraplegiker.
Es war für alle ein Experiment. Ich war wahrscheinlich der grösste Skeptiker und mit Sicherheit der erste Rollstuhlfahrer, der ein staatliches Schauspielstudium absolvierte. Ich hatte es ursprünglich gewählt, weil im Lehrplan Fechten verankert war, Reiten, Stepptanz und Akrobatik. Alles Dinge, auf die ich nach dem Unfall nicht mehr geprüft werden konnte.
Warum kam Ihnen die Schule entgegen?
Die Verantwortlichen sagten: Wir haben den nicht wegen seinem Körper genommen, sondern wegen seiner ausgereiften Fantasie, seiner Kreativität, seinem Gefühl für Rhythmus. Wir probieren das! Ein Professor kam sogar in die Reha nach Nottwil, um mit mir Texte zu lernen. Ich sass das erste Mal im Rollstuhl und trug eine Halskrause. Er schrie mich an, wenn ich Fehler machte. Eine Art, mich zu fordern, die mir rückblickend gut tat.
Gab es auch Widerstand?
Es gab Professoren, die gesagt haben: «Also bitte, wir arbeiten hier nur professionell, also nicht mit Behinderten, die haben hier nichts verloren.»
Sie spielen beim Staatstheater Darmstadt. Für ein Stück von Kafka lassen Sie sich an den Körper eines Schauspielers binden, der Sie wie eine Puppe bewegt. Kommt Ihnen Ihr Leben auch manchmal kafkaesk vor?
Mit Sicherheit.
In welchen Situationen?
Kürzlich war ich an der Abschlussparty eines Theaterstücks. Ich wollte einfach nur entspannen und ein Bier trinken. Doch bereits am Eingang erzählt mir ein Gast über eine Stunde lang von seinen pflegebedürftigen Eltern. Danach komme ich mit einer Schauspielerin ins Gespräch, die mir von ihren Existenzängsten berichtet. Anschliessend vertraut mir jemand an, dass sich seine Freundin von einem Hochhaus stürzte. Dabei war ich doch nur auf der Suche nach Pommes ...
Ziehen Sie das an, dass sich Menschen bei Ihnen ausheulen?
Manchmal scheint es so. An dieser Party war ich umgeben von weinenden, existenziell geängstigten Personen.
Liegt es daran, dass sich manche bei Ihrem Anblick an ihre eigene Verletzlichkeit erinnert fühlen? Oder, dass sie ein schlechtes Gewissen haben, verschont geblieben zu sein?
Vielleicht bei manchen. Bei anderen ist es das Gegenteil. Im Stil von: Ach, gehts mir gut, wenn ich sehe, wie schlecht es dir geht.
Werden Sie angefeindet?
Viele schreiben mir: «Hau ab aus dem Fernsehen und den Zeitungen. Du bist selbst schuld an deiner Lage. Das jetzt auch noch zu vermarkten, ist ja grauenvoll.» Ich kann das verstehen, würde es aber nicht zu jemandem sagen, den ich nicht kenne.
Ihren Unfall sahen acht Millionen Menschen live am Fernsehen, das Video gibts auf Youtube in Zeitlupe und aus verschiedenen Kamerawinkeln. Warum schauen sich Menschen das an?
Warum gibts Gaffer-Stau bei einem Unfall auf der Autobahn, der dann weitere Unfälle verursacht? Der Voyeurismus der Menschen ist ein Rätsel. Der Mensch scheint fasziniert von Dingen, die ausserhalb der Norm passieren. Ich würde mich da nicht ausschliessen.
Sie sind vom Hals abwärts gelähmt, können mit der Kraft der Schultern die Arme bewegen und damit indirekt den Rollstuhl steuern. Wie viele Personen helfen Ihnen im Alltag?
Drei Festangestellte und zwei Aushilfen. Das würde nicht reichen, wenn mir nicht Freunde und Familie unter die Arme greifen würden. Wenn ich, wie jetzt, ein paar Tage frei habe, bin ich meistens in meinem Elternhaus, wo sich mein 23-jähriger Bruder um mich kümmert.
Sie sind seit zwei Jahren mit der Schauspielerin Sarah Elena Timpe respektive Koch verheiratet. Übernimmt sie manchmal die Funktion einer Pflegerin?
Wir trennen das. Ich will, dass sie nur meine Frau ist. In der Ehe steht man in einem Abhängigkeitsverhältnis. Einem Positiven. Ich will nicht, dass wir in ein zusätzliches geraten.
Sie haben sich bei den Dreharbeiten der ARD-Serie «Sturm der Liebe» ineinander verliebt. Sie spielten einen verunfallten Rennfahrer, der im Rollstuhl landet, worauf seine Freundin sich von ihm abwendet. Die Freundin aus der Serie ist im echten Leben Ihre Frau geworden.
Das ist wirklich sehr absurd. In der Serie landet sie dann ja nach einem Reitunfall selbst im Rollstuhl und kommt wieder mit ihrem Ex zusammen. Auf die Idee muss man erst einmal kommen.
Was bei Filmen mit Gelähmten auffällt: Meistens wollen sie sterben oder sind zumindest lebensmüde. «Ziemlich beste Freunde» ist so ein Beispiel, aber auch der Film, in dem Sie jetzt mitspielen.
Das ist eine berechtigte Kritik. Im Fall von «Draussen in meinem Kopf» ist es halt einfach die Realität. Es gibt aber auch lebensbejahende Darstellungen, wie etwa in der Serie «Game of Thrones». Dort ist eine Hauptfigur kleinwüchsig, eine andere gelähmt. Das wird gar nicht gross thematisiert.
Gibt es Fettnäpfchen im Umgang mit Rollstuhlfahrern?
Ich bin der Meinung: Lieber mal einen Schritt zu weit gehen mit dem Risiko, in ein Fettnäpfchen zu treten, als einen Bogen um jemanden zu machen, weil man unsicher ist.
Wo liegt die Grenze zwischen unbeholfen und taktlos?
Es gibt viele Rollstuhlfahrer, die regen sich tierisch auf, wenn jemand sagt: «Du bist an den Rollstuhl gefesselt.» Das sind Terminologien, über die man streiten kann. Zu mir bückten sich schon Leute herunter, kniffen mich in die Wangen und fragten laut und langsam, ob ich sie verstehen könne. Von einer körperlichen Behinderung auf eine geistige zu schliessen, ist natürlich unnötig. Mir ist das aber relativ wurscht.
Fühlen Sie sich nie in Ihrer Würde verletzt?
Ich diskutiere gerade oft mit dem Neurobiologen Gerald Hüther über das Thema. Er sagt, wer sich seiner Würde bewusst sei, könne nicht entwürdigt werden. Im Fall von Extremsituationen wie bei einer Vergewaltigung ist die Behauptung grenzwertig. In meinem Fall ist aber etwas dran.
Wie meinen Sie das?
Es ist immer noch meine Entscheidung, ob ich mich entwürdigen lasse.
Beim Unfall haben Sie Ihren Tastsinn grösstenteils verloren. Wo spüren Sie noch etwas?
Vor allem im Gesicht, am Kopf, dem Hals. Glücklicherweise ist in den letzten Jahren etwas von meinem Tastsinn wiedergekommen. Das Sensibelste, was mich erst vor wenigen Wochen überraschte, war Wind, den ich auf dem Handrücken spürte. Oder eine Fliege.
Sie sagten in vergangenen Interviews, dass Sie glauben, eines Tages wieder gehen zu können.
Ich hoffe es, habe aber damit aufgehört, täglich das Internet auszulesen deswegen. Das ist nicht gut für die Work-Live-Balance, wenn man das so ausdrücken kann. Der Gedanke ans Laufen soll nicht mein Leben bestimmen. Ich würde schon informiert werden, wenn sich in der Medizin etwas tut.
Sie haben den Durchhaltewillen des Spitzensportlers, der Sie einmal waren. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie Gelähmte sehen, die resignieren?
Es ist eine Entscheidung, die ich respektiere. Die Figur Sven im Film hätte ich am liebsten geschüttelt und gesagt: Mensch, du hast doch irgendwelche Wünsche oder Träume. Wenn du mal Boot fahren oder deine Lieblingsband spielen hören willst, dann organisiere ich das für dich.
Es scheint, als fiele Ihnen alles leicht.
Auch ich muss mich dazu überwinden, meinen Wohlfühlbereich zu verlassen. Am wohlsten ist mir zu Hause, wo es warm ist. Bei Kälte verkrampfen meine Muskeln, und das Titan in meinem Nacken zieht sich zusammen. Aber ich weiss nun einmal, dass sich das Leben draussen abspielt.
Im Jahr 2010 stürzte Samuel Koch (30) in der TV-Show «Wetten dass..?» vor den Augen des Publikums beim Versuch, mit Sprungstelzen einen Salto über ein Auto zu machen, das sein Vater fuhr. Seither ist er im Rollstuhl. Nach seiner Reha im Paraplegiker-Zentrum in Nottwil LU nahm der ehemalige Profi-Kunstturner sein Schauspielstudium auf. Nach vier Jahren am Staatstheater Darmstadt wechselt er nun nach Mannheim. Er wuchs als ältestes von vier Geschwistern in Efringen-Kirchen (D) nahe des Dreiländerecks auf und absolvierte in Weil am Rhein das Gymnasium. 2016 heiratete er die Schauspielerin Sarah Elena Timpe (32).
Im Jahr 2010 stürzte Samuel Koch (30) in der TV-Show «Wetten dass..?» vor den Augen des Publikums beim Versuch, mit Sprungstelzen einen Salto über ein Auto zu machen, das sein Vater fuhr. Seither ist er im Rollstuhl. Nach seiner Reha im Paraplegiker-Zentrum in Nottwil LU nahm der ehemalige Profi-Kunstturner sein Schauspielstudium auf. Nach vier Jahren am Staatstheater Darmstadt wechselt er nun nach Mannheim. Er wuchs als ältestes von vier Geschwistern in Efringen-Kirchen (D) nahe des Dreiländerecks auf und absolvierte in Weil am Rhein das Gymnasium. 2016 heiratete er die Schauspielerin Sarah Elena Timpe (32).