Ein kurzer, heftiger Ausbruch der Freude erschütterte am letzten Dienstag um 14.18 Uhr die Produktionsfirma Filmgerberei an der Zürcher Gasometerstrasse, als per Livestream die Oscar-Nominierung für ihren Kurzfilm «Ala Kachuu – Take and Run» bekannt wurde. «Angesichts der frühen Nachmittagsstunde haben wir aber brav aufs Anstossen verzichtet und die Feier erst am Mittwochabend nachgeholt», erzählt Regisseurin Maria Brendle (38) SonntagsBlick.
«Doch auch wenn ich mal zehn Minuten für mich habe, kann ich noch immer nicht wirklich glauben, was da gerade passiert und dass wir uns als Nächstes überlegen können, wann genau wir für die Gala vom 27. März nach Hollywood fliegen.»
Ein Raclette-Abend und seine Folgen
Rückblende: Als Brendle in Zürich eines Abends einen Bekannten zum Raclette einlädt, zeigt er ihr Fotos seiner Ferien in Kirgisistan. Auf einem Bild fällt Brendle eine traurige Frau auf. Der Bekannte erzählt ihr vom Brautraub, der Entführung und Zwangsverheiratung, der in Kirgisistan jährlich rund 12'000 Frauen zum Opfer fallen. «Ich war völlig konsterniert, auch weil ich vorher noch nie etwas davon gehört hatte, und wusste, dass ich mit meinen Mitteln etwas dagegen unternehmen wollte. Mit meinem Medium, dem Film, einer friedlichen Waffe.»
Im Herbst 2016 lernt Brendle die Produzenten Nadine Lüchinger (43) und Flavio Gerber (35) kennen und schickt ihnen einen ersten Drehbuch-Entwurf. Die Begeisterung ist gegenseitig. 2018 ist Brendle erstmals für Recherchen vor Ort, die 13-tägigen Dreharbeiten finden im September 2019 statt.
«Wir waren natürlich sehr vorsichtig, weil die offiziellen Stellen wissen, dass der Brautraub etwas Verwerfliches ist. Unsere lokalen Gewährsleute haben uns empfohlen, ohne Bewilligung zu drehen, weil es sonst bloss höhere Geldforderungen gegeben hätte. Bei der Einreise gaben wir an, ein Reisevideo zu machen. Wir haben Crew-intern auch ein temporäres Social-Media-Verbot erlassen, damit niemand unseren jeweiligen Standort feststellen konnte.»
Leidenschaft zum Film vom Grossvater geerbt
Als Regisseurin war es für Brendle massgebend, die eigene Position zurückzustellen. «Nicht plakativ zu sagen, ihr macht was falsch, sondern die Menschen auf eine emotionale Reise mitzunehmen. Kein Erklärvideo anzufertigen, sondern einen möglichst spannenden Film.»
Die Leidenschaft für das bewegte Bild lernt sie, aufgewachsen in der Bodenseeregion in Hegau, erbt sie von ihrem Grossvater. «Er hat Super-8-Filme gedreht und sie selber geschnitten. Ich erinnere mich noch an Filmstreifen auf einer Wäscheleine.»
Während eines Praktikums beim regionalen Fernsehen realisiert Brendle, dass das News-Geschäft nicht exakt ihre Sache ist. «Nach einer Unfallreportage wurde mir schlagartig bewusst: Ich will Geschichten erzählen, nicht Geschichten hinterherrennen.» 2008 bewirbt sie sich an der Zürcher Hochschule der Künste. «Ich hatte das Glück, nebenher gleich in der Branche arbeiten zu dürfen, und zwar erst noch für die bekannte Casterin Corinna Glaus. Von ihr habe ich enorm viel gelernt.»
Bis 2020 studiert Brendle auch Neurowissenschaften in Köln (D). «Dieses Interesse für die Tiefe der Dinge entspricht meiner Wesensart. Und ich spüre gerne in mich selber rein. Wenn man sich zu viel an anderen orientiert, kann man auch scheitern. Solange ich einigermassen zufrieden bin mit mir, habe ich eine Grundbasis an Glück.» Und aus diesem Glück entsteht offensichtlich grosse Kunst.