Rock-Legende Udo Lindenberg über die Verfilmung seines verrückten Lebens
«Ich trinke mittlerweile gezielt»

Hermine Huntgeburth (62) ist mit dem Biopic «Lindenberg! Mach dein Ding!» ein wunderbares Porträt über Udo Lindenberg (73) gelungen. Es hört aber 1973 auf. Warum das so ist und wie happy Lindenberg mit der Darstellung seiner Person ist, erklärt er im BLICK-Interview.
Publiziert: 03.02.2020 um 09:07 Uhr
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Udo Lindenberg (l.) und Jan Bülow an der Verleihung des 41. Bayerischen Filmpreises am 17. Januar 2020 im Prinzregententheater München.
Foto: DUKAS
Interview: Jean-Claude Galli

Im Biopic «Lindenberg! Mach dein Ding!» von Hermine Huntgeburth (62) werden die frühen Jahre des deutschen Pop- und Rockstars Udo Lindenberg (73) bis 1973 beleuchtet. BLICK hat sich mit der in Hamburg (D) im Hotel Atlantic Kempinski wohnenden Musikerlegende über die Qualität des Films, das schwierige Verhältnis zu seinem Vater und über seine zahlreichen Exzesse und Abstürze unterhalten.

BLICK: Herr Lindenberg, was geht Ihnen spontan durch den Kopf, wenn Sie sich – gespielt von Jan Bülow – auf der Leinwand sehen?
Udo Lindenberg: Jan is' DER Glücksfall. Jan und der junge Udo sind sich so ähnlich, dass ich mich manchmal frage: Da auf der Leinwand, is' das Jan oder bin ich das? Ein leckeres Kerlchen, bin schwerstens beeindruckt.

Sie waren an dessen Auswahl auch beteiligt. Was hat den Ausschlag für ihn gegeben?
Ich hatte den Eindruck, hier treffen sich so jahrhundertealte bekannte, vertraute Seelen wieder. Irgendwas zwischen Soulbrother und Reinkarnation. Er hat was Schüchternes und Draufgängerisches zugleich. Ein bisschen schüchtern und den Hang zum charmanten Grössenknall – so wie ich. Ich bin öfters in gewissen Sphären unterwegs, also ernenne ich ihn gleich mal zu meinem Stellvertreter auf Erden.

Wo lässt er Sie besser aussehen, als Sie tatsächlich sind?
Wir sehen beide gefährlich gut aus. Das ist in unserer Branche von grossem Vorteil. Rockstar, das Auge hört ja mit.

Und wo sind Sie mit seiner Verkörperung Ihrer Person gar nicht zufrieden?
Da gibts keine Durchhänger, absolutely niente.

Und ewig rauscht die Linde

Udo Gerhard Lindenberg wurde am 17. Mai 1946 im westfälischen Gronau geboren und wollte seit frühester Kindheit ein erfolgreicher Schlagzeuger werden. Nach einer abgebrochenen Kellnerlehre und ersten Schlagzeug-Einsätzen mit Bands wie den City Preachers konzentrierte er sich ab Anfang der 70er-Jahre auf das Komponieren und Singen eigener Titel und wurde zum bekanntesten Vorreiter der deutschsprachigen Rockmusik. Doch erst mit seinem 34. Studioalbum «Stark wie zwei» stand er 2008 zum ersten Mal an der Spitze der deutschen Hitparade. Lindenberg setzte sich vor allem in den 80er-Jahren auch für innerdeutsche Beziehungen ein. Davon zeugt der historische Augenblick von 1987, bei welchem er dem DDR-Oberhaupt Erich Honecker (1912–1994) eine Lederjacke schenkte. Lindenberg lebt seit den späten 60er-Jahren vorwiegend in Hamburg (D) und wirkt neben der Musik als Maler. Seit Ende der 90er-Jahre ist er mit der Fotografin Tine Acke (43) liiert. 2019 erhielt er das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

Udo Gerhard Lindenberg wurde am 17. Mai 1946 im westfälischen Gronau geboren und wollte seit frühester Kindheit ein erfolgreicher Schlagzeuger werden. Nach einer abgebrochenen Kellnerlehre und ersten Schlagzeug-Einsätzen mit Bands wie den City Preachers konzentrierte er sich ab Anfang der 70er-Jahre auf das Komponieren und Singen eigener Titel und wurde zum bekanntesten Vorreiter der deutschsprachigen Rockmusik. Doch erst mit seinem 34. Studioalbum «Stark wie zwei» stand er 2008 zum ersten Mal an der Spitze der deutschen Hitparade. Lindenberg setzte sich vor allem in den 80er-Jahren auch für innerdeutsche Beziehungen ein. Davon zeugt der historische Augenblick von 1987, bei welchem er dem DDR-Oberhaupt Erich Honecker (1912–1994) eine Lederjacke schenkte. Lindenberg lebt seit den späten 60er-Jahren vorwiegend in Hamburg (D) und wirkt neben der Musik als Maler. Seit Ende der 90er-Jahre ist er mit der Fotografin Tine Acke (43) liiert. 2019 erhielt er das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

Gab es eine Szene, bei der Sie darauf bestanden, dass sie unbedingt reinmusste?
Der Episoden gab es viele, schon in diesem ersten Lebensabschnitt. Knallevolle Action, Abenteuerstreifen, damals schon. Stunde null, als ich vom Himmel fiel, als Glücksbringer der Panik, die uns alle frisch, wachsam und sensibel hält. Und der Durchbruch 1973 mit den deutschen Rock-'n'-Roll-Strassendeutsch-Texten mit dem Panikorchester. Ja, dieser erste, alles entscheidende Auftritt in der Laeiszhalle Hamburg 1973 war mir gaaanz besonders wichtig. Lampenfieber-Horror. Dann mit 15 Doppelkorn im Kopf gut breit erst mal die Showtreppe runterknallen, voll auf die Fresse. Dann fliegt mir das Mikrofon hinterher, direkt vor die Schnauze, direkt auf Einsatz von «Andrea Doria» and: a star is born. Das is' Hammer. Sturzbesoffen und die Leute dachten: Wow, was für 'ne geile Choreografie.

Und auf welche hätten Sie gerne verzichten können?
Auf nix.

Das Verhältnis zu Ihrem Vater war nie ganz einfach. Haben Sie ihm je verziehen?
Na klar, er hatte auch seine gütigen Seiten. Er war Täter und Opfer zugleich, ein schwer Gezeichneter seiner Zeit. Die traumatisierten Väter, mit kaputten Seelen aus dem Nazi-Kriegs-Desaster zurück. 50er-Jahre. Sie lachten nur, wenn sie sich in der Kneipe zum Betäubungssaufen trafen. Alles verdrängen, sonst nur das grosse Schweigen, die bleiernen grauen 50er-Jahre. Erst als Jazz und Rock 'n' Roll aus 'm Radio rausknallten, dachte ich: Ey, da wirds hell am Horizont. Da hab ich mich schnell aus meiner kleinen Stadt Gronau da rausgetrommelt. Ich war ja schon mit 15 Berufsschlagzeuger, nach 'ner kurzen abgebrochenen Hotel-Kellner-Lehre. Hab meinem Vater die Härte verziehen, die er der Familie angetan hat. Jetzt guckt er durch die Wolken runter auf seinen Panikboy und is' ganz zufrieden – ebenso wie meine Mutter Hermine.

Und glauben Sie, Ihr Vater hätte Ihre Karriere in ihrer Summe gelten lassen? Zu seinen Lebzeiten stand er ja Ihrer Kunst offenbar sehr kritisch gegenüber.
Er konnte sich damals nicht vorstellen, dass man als Schlagzeuger oder überhaupt Berufsmucker heil über die Runden kommt. Na ja, zu der Zeit ... Ich sag: «Doch, geht, kuck dir Hazy Osterwald, Klaus Doldinger und Benny Goodman an. Und natürlich Elvis und Bill Haley. So ähnlich, Gustav, mach ich's auch, haha, keine Panik.»

Sie haben sehr jung alle bürgerlichen Konventionen über den Haufen geworfen, sind weggegangen und haben einfach losgelegt. War das Mut, Leichtsinn oder Grössenwahn?
Eine Mischung aus allem. Ein unerschütterlicher Glaube an das Turbotriebwerk da tief drin in meiner Soul. Klar auch Zweifel, die dazugehören, als ständiges Korrektiv. Aber übern Daumen hab ich nie daran gezweifelt, dass ich die Dinger gejuckt kriege. Verrückt genug, trotzdem mit Bodenhaftung und Konsequenz. Hat einen Namen: Lindenberg! Dann klappt das schon. Und wenn man mal so richtig voll auf die Fresse fliegt, macht das Aufstehen danach umso mehr Spass. Kopf durch die Wolken, Füsse fest aufm Boden, das war immer so meine Devise. Das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen (Hermann Hesse). Yeah, der amerikanisch-westfälische Traum. Vom Aschenbecher-Putzer zum reichen und berühmten Rockstar, El Geilo, klare Sache.

Wäre eine solche Karriere heute überhaupt noch möglich?
Ja, die müssen nur extrem genug drauf sein. Die meisten Frischlinge heute sind zu angepasst und nicht eigen-artig genug. Obwohl, es gibt Ausnahmen. In Deutschland zurzeit: Deine Cousine mit Ina Bredehorn und Juju44 vom früheren Duo SXTN.

Waren Ihre Exzesse karrierebeschleunigend? Oder haben sie Sie eher gebremst – und wäre ohne Ihren doch eher anstrengenden Lebenswandel noch mehr möglich gewesen?
Ich glaube beschleunigend. Ich war ja Erkenntnis- und Erleuchtungstrinker und hab Timothy Leary gelesen. Bewusstseinsverlängerndes Ballerzeugs. Hab oft meine Texte in Ausnahmesituationen geschrieben und am nächsten Tag nüchtern gegengelesen. Als Normalo kommt man nicht weit in dieser Branche. Man muss schon schön verrückt sein und 'ne Neigung haben zum Grössenknall, wie Muhammad Ali, aber immer charmant dabei und auch mal gut selbstironisch.

Und was halten Sie davon, dass sich heutige Musikstars mit Jogging-Kilometern, Fitness und Teetrinken brüsten?
Ich geh einfach joggen, mach Kickboxen und red nich' gross drüber. Ich trinke mittlerweile gezielt – und nicht mehr nach der Mengenlehre «Mehr ist mehr» – und gurgele mit Eierlikör. Das ist gut für die goldene Kugel im Hals. Für 'nen Sänger genau richtig. Ausserdem hab ich prima Drogenberater aus dem fernöstlichen Raum. Da nennt man mich auch «Lin OOOm Bergh».

Der Film fokussiert auf Ihre Lehr- und Wanderjahre und auf die Anfänge des Erfolgs bis zum 27. Lebensjahr. Wieso gerade dieser begrenzte Rahmen und der Verzicht auf die ganz grossen Erfolge?
Wie rasant der Panik-Dampfer dann weitergezischt ist, sehen wir dann in Teil 2 und 3. Die ganze Trilogie wie beim «Godfather». Aber im ersten Teil mussten ja nun erst mal die deutschen Rocktexte her und der erste deutsche richtige Rockstar.

«Deutsch ist die Sprache der Täter», heisst es im Film. Haben Sie aus Trotz oder Lust an der Revolte trotzdem Deutsch gesungen? Oder waren Sie ein Trendsetter und hatten einfach das richtige Bauchgefühl?
Ich hab nich' eingesehn, dass die Nazis uns die Sprache geklaut haben. Grosse Schreiber wurden in den KZ ermordet oder flohen nach Amerika. Brecht, Hollaender, Tucholsky, Thomas Mann, Kurt Weill, Marlene Dietrich. Die Nazis haben Bücher verbrannt und dann ihre Durchhalteparolen-Texte auf diese grauenvolle Marschmusik draufgeknallt. Und nach dem Krieg gabs die Schlagersosse, um alles zuzukleistern, was an Verbrechen an der Menschlichkeit unter den Nazis gelaufen ist. Schlager drüber und entsprechende Filme zum Ablenken und seichtes Tralala. Klar, gab 'n paar tolle Liedermacher, gab auch Ton Steine Scherben, aber das waren kleine elitäre Programme. Ich wollte die volle Strassen-, Slang-, Szenen- und Graffitisprache haben, für alle. Den Breitensport für die ganze deutschsprachige Landschaft – und da die gesamte Bevölkerung ankicken und denen zeigen, hey Kiddies, hi, ihr heissen Greise, es gibt 'ne geile Alternative zum Schlagerwix und zum englischsprachigen Rock. Hier kommt die Panikattacke. Und Nina Hagen ist auch schon unterwegs zu euch. Und später dann deutscher und Schweizer Hip-Hop und Rap. Ja, alles geht! Halleluja!

Ist es falsch, wenn jemand behauptet, Sie hätten die Neue Deutsche Welle, den Deutsch-Rock und -Pop und sogar den Deutsch-Rap begründet, vorweggenommen und überhaupt erst ermöglicht? Udo Lindenberg als eigentlicher Vater der deutschen Popkultur?
Is' richtig, seh ich auch so, kannst sie alle fragen. Nur bin als Daddy-Figur, nicht aus Denkmalstone gemeisselt, sondern die Legende lebt und powert auf der Bühne los – bis ich 100 bin. Mindestens. Genau genommen hat man sich ja längst darauf geeinigt, dass ich der Zeitlosigkeit unterliege (lacht). Stärker als die Zeit – und im Juni endlich mal wieder im geilen Zürich, im Hallenstadion.

In einem denkwürdigen und entscheidenden Moment rät Ihnen ein Transvestit, sich neu zu erfinden und Ihre Seele nach aussen zu kehren. Hat Sie die damalige Untergrundszene tatsächlich derart stark beeinflusst?
Ja, ich war immer voll unterwegs – auch in der Genderszene, David-Bowie-mässig. Mit einem Fuss im Dirty Punky Underground, mit dem anderen im Glam-Rock.

Der Film ist eine Reise in eine zum Teil sehr düstere, öde Zeit und Welt. Eine, wie man sie sich heute fast nicht mehr vorstellen kann. Was überwiegt am Schluss für Sie als Grundgefühl? Stolz, Sentimentalität oder Erleichterung, dies alles ohne grosse Schäden überstanden zu haben?
Erleichterung. Viele tolle Leute haben mich auf meiner Jetzt-Werdung begleitet, auch politisch. Von Hermann Hesse bis Martin Luther King über Willy Brandt bis hin zu Bazon Brock mit dem Cabaret Voltaire in Zürich.

In welcher Phase Ihrer Karriere stehen Sie eigentlich jetzt? Spätsommer? Und wie geht es weiter?
Midsummer-Nights-Paaaateey!

Bonustracks für die Schweiz-Leser: Wenn Sie an die eidgenössische Musikszene denken: Welche Einzelfiguren und Bands sind Ihre persönlichen Lichtfiguren?
Polo Hofer, Tina Turner, Yello und Chris von Rohr von Krokus.

Und in welcher Stadt und vor allem in welchem Hotel würden Sie leben wollen, wenn Sie das zwangsmässig in der Schweiz tun müssten?
Besonders gern trinke ich meinen Eierlikör im Zürcher Hotel Baur au Lac, in dessen Kellerräumen sich einst das Theater für Verrückte befand, von Hermann Hesses «Steppenwolf». Dort treffe ich Pablo den Mozart-Geiger und die zauberhafte Hermine wieder. Die ebenso den geheiligten Namen trägt wie meine geliebte Mutter Hermine Lindenberg und die Topmutter aller Topbiopics, Hermine Huntgeburth.

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