Philippe, du spielst den oberbünzligen Polizisten Viktor, mit Schnauz und leerem Leben, der Fichen ablegt und ein alternatives Zürcher Radio abhören muss …
Philippe Graber: Nur zu Beginn, dann wandelt sich die Figur. Viktor muss sich Walo nennen, sich eine «komische» Frisur zulegen und den Schnauz abrasieren, um als Undercover-Agent das vermeintlich linksradikale Zürcher Schauspielhaus zu infiltrieren. Statt Anschlagspläne auf das Establishment findet er am Theater die Liebe – und eine Art Ersatzfamilie, auch wenn diese am Schluss ungewiss bleibt.
Ging dir das selber in deinem Leben ähnlich? Du hast ja vor der Schauspielerei auch eine völlig andere, konventionelle Lehre gemacht.
Also nicht im Sinne, dass ich vorher unglücklich oder leer gewesen wäre, ich habe immer im Jetzt gelebt. Nur die Schule, die fand ich schrecklich: Sinnloses Auswendiglernen ohne spielerische Elemente, fantasielos – ich war dementsprechend nicht wirklich gut darin. Ich habe nachher Detailhandelsverkäufer gelernt, und das hat mir Spass gemacht. Ich war – nein, bin – ein wirklich guter Verkäufer. Ist ja eigentlich klar: Verkauf ist nichts anderes als Schauspielerei.
Inwiefern?
Man muss empathisch auf den anderen zugehen können, sich in ihn hineinfühlen können, je nach Charakter, der vor einem steht, anders reagieren können – genauso wie im Schauspiel.
Trotzdem – vom Verkäufer zum Schauspieler ist es doch ein ziemlicher Weg …
Ich war ja schon sehr früh beim Theater. Meine Mutter hat mich schon als Teenager im Theater Luzern als Statist angemeldet. Sie fand, ich brauche was Eigenes, etwas anderes, weil ich es mit Autoritäten, sei es in der Schule oder in der Pfadi, nicht so hatte. Aber ich hab das Theatralische sowieso auch von frühester Kindheit mitgekriegt, im Restaurant meiner Eltern.
Jetzt musst du mir noch erklären, wie Theater und Restaurant zusammenhängen.
Ist doch klar: Hinter den Kulissen, in der Küche, spielt eine ganz eigene Choreografie: Es brodelt, es zischt, dampft, brutzelt, alle sind gestresst, der Koch schreit den Sous-Koch an, und sobald der Kellner mit dem fertigen Gericht die Tür zur Küche verlässt, ändert sich die Rolle und die Choreografie komplett, der Kellner spielt den souveränen, charmanten Gastgeber – das habe ich geliebt als Kind. Das ist doch grosse Schauspielerei. Genauso wie der Verkauf. Eigentlich ist alles, wie wir Menschen kommunizieren, Schauspielerei.
Waren deine Eltern politisch aktiv?
Bewahre! In der Gastronomie gilt: Ja nie politisch sein – sonst fühlen sich nicht mehr alle wohl, und das ist schlecht fürs Geschäft.
Sie waren also wohl nicht fichiert?
Ui, keine Ahnung – ich muss sie mal fragen. Ist mir noch nie in den Sinn gekommen. Überhaupt ist es ja erstaunlich, wie ein solcher Skandal bei weiten Teilen der Bevölkerung so schnell in Vergessenheit geraten konnte. Viele Junge reagieren beim Stichwort Fichenaffäre mit: «Hä?» Das finde ich schon ziemlich krass.
Die Fichenaffäre wirft ja, auch im Film, ein recht schlechtes Licht auf die Schweiz. Du hast lange in Hamburg gelebt – wie findest du eigentlich die Schweiz so?
Solange man nichts anderes kennt, findet man viel zum Kritisieren. Aber sobald ich im Ausland war, habe ich die Schweiz vehement verteidigt. Dass unser Föderalismus und unsere direkte Demokratie keine Exportschlager sind, wundert mich. Sie halten unser Land stabil, keiner kann hier Hauruck-Lösungen durchboxen, die nachher flach fallen. Allerdings kommen wegen dieser Liebe zum Kompromiss grosse Würfe vielleicht etwas schwieriger zustande …
Von wegen grosse Würfe: Ich weiss von früher, dass du eine Bundesrat-Leuenberger-Parodie hinkriegst, dass man unter dem Tisch liegt vor Lachen … Im Film kommt Leuenberger auch vor, hättest du diese Parodie da nicht reinschmuggeln können?
Naja, das ist ja keine Figur, die eine Parodie machen würde. Ich kann schon eigene Elemente in meine Rollen einbringen, aber die müssen natürlich der Figur dienen, eine der Rolle gemässe innere Logik haben. Vielleicht mach ich den Leuenberger ja wieder mal an meiner Comedy- und Talk-Late-Night-Show im Zürcher Helsinki.
Jetzt haben wir hier elegant und profimässig die Schleichwerbung dafür untergeschmuggelt.
Ha!
Zurück zum Film: Nicht nur der Polizeiapparat bekommt sein Fett weg, auch der Theaterbetrieb wird mit einem ziemlich zwinkernden Auge vorgeführt … Der Regisseur etwa wird als diktatorischer, schaumschlägerisch-ekliger Egomane dargestellt – kennt du das aus Erfahrung?
Klar. Allerdings sind solche rumbrüllenden Ekelregisseure, die sich als Superstars empfinden, im Moment ziemlich out. Ich glaube, das war so eine Haltung bis vor noch einigen Jahren, dass alle auf 180 gebracht werden müssen, um so dann eine grösstmögliche Intensität zu erzwingen.
Klingt grauenvoll.
Ja. Aber stopp, ich muss dazu noch etwas etwas anderes sagen: Das Theater ist viel öfter ein wunderbar freier, magischer und sehr liebevoller Ort, an dem man zusammen Themen und Emotionen nachgeht, auf sich achtet, sich viel verzeiht und gemeinsam Neues schafft. Das gibt es so sonst kaum, und ich liebe es.
In einer Szene zwingt der Regisseur die Schauspielerin, während einer widerlichen Szene nackt auf der Bühne zu stehen. Der Film zeigt sie ebenfalls nackt. Ist das nicht scheinheilig?
Das wurde zuvor intensiv besprochen – und Miriam Stein, die ja eine grandiose Schauspielerin ist, hat sich entschlossen, das so zu machen. Die Szene wäre sonst viel weniger drastisch geworden, und es war ja das Ziel, dieses «Gruusige» zu zeigen.
Die Szene nimmt Bezug zur MeToo-Debatte. Hast du in deiner nun doch schon 20-jährigen Karriere solche Situationen miterlebt?
Ich kenne natürlich diverse Geschichten und weiss, über welche Regisseure welche Gerüchte im Umlauf sind. Aber zum Glück war noch nie eine Schauspielkollegin während einer Produktion direkt betroffen. Sonst müsste man sofort Stellung beziehen.
Philippe Graber (44) schloss 1999 die Hochschule für Musik und Theater in Zürich ab und arbeitet seither kontinuierlich für Theater, Fernsehen und Film. 2008 wurde er für seine Hauptrolle in der Schweizer Liebestragikomödie «Der Freund» mit dem Schweizer Filmpreis als «Bestes schauspielerisches Nachwuchstalent» ausgezeichnet, 2011 erhielt er von der Stadt Zürich ein Werkstipendium. In unregelmässigen Abständen ist er im Zürcher Helsinki-Club mit einer selbst entwickelten Late-Night-Talk-Show zu sehen. Er lebt mit seiner Familie nach einem längeren Aufenthalt in Hamburg nun wieder in Zürich.
Philippe Graber (44) schloss 1999 die Hochschule für Musik und Theater in Zürich ab und arbeitet seither kontinuierlich für Theater, Fernsehen und Film. 2008 wurde er für seine Hauptrolle in der Schweizer Liebestragikomödie «Der Freund» mit dem Schweizer Filmpreis als «Bestes schauspielerisches Nachwuchstalent» ausgezeichnet, 2011 erhielt er von der Stadt Zürich ein Werkstipendium. In unregelmässigen Abständen ist er im Zürcher Helsinki-Club mit einer selbst entwickelten Late-Night-Talk-Show zu sehen. Er lebt mit seiner Familie nach einem längeren Aufenthalt in Hamburg nun wieder in Zürich.
Regisseur Micha Lewinsky rühmt dein präzises Gespür für Komik, nennt es eine «seltene Gabe». Übst du Gesichtsausdrücke, Körperhaltung, Pausen, vor der Videokamera oder vor dem Spiegel?
Nein, ich lese den Text oft laut und entwickle so ein erstes Gefühl für die Figur. In den Proben mit den anderen verfeinert sich das dann, wird diskutiert, unter Umständen am Text gefeilt.
Wie ist das eigentlich, sich selbst auf der Leinwand zu sehen? Schmeichelt das dem Ego oder ist es eher unangenehm?
Ich mach das ja nicht zum ersten Mal – aber es ist schon so, dass ich alles analysiere und wahnsinnig kritisch bin – hats den Blick gebraucht, oh nein, das hätte man doch anders machen müssen … etc.
Du handelst als Schauspieler sozusagen in Emotionen. Fühlst du das, was zu spielst, wirklich?
Das muss man zu einem gewissen Grad, sonst kommt das nicht beim Publikum an. Szenen werden aber oft mehrere Male gefilmt, um dann beim Schnitt die beste Einstellung verwenden zu können. Man muss also die Emotion gewissermassen auch in den Pausen aufrechterhalten. Das ist emotional anstrengend. Nach einem Drehtag ist man fix und fertig.
Am Ende steht der Polizist, der sich – anfangs unfreiwillig – zum Schauspieler gewandelt hat, vor der Ungewissheit. Stehst du auch nach jeder Produktion vor dem Ungewissen?
Natürlich. Auch schweisst man sich während einer Produktion sehr zusammen – man isst, lacht, streitet, versöhnt sich, ist zwölf oder mehr Stunden am Tag zusammen, und nach dem letzten Drehtag ist wie abgeschnitten Schluss. Da fällt man in ein ziemliches Loch. Das ist schon hart. Man muss sich entscheiden, das auszuhalten. Von meiner Abschlussklasse der Schauspielschule Zürich 1999 sind von zwölf Leuten nur noch zwei im Geschäft.
Und wie hältst du das aus?
Ich habe gelernt, darauf zu vertrauen, dass schon wieder etwas kommt. Und ich habe Familie, das trägt mich. Und ich muss sie tragen. Ich habe gar keine Zeit, allzu lange in einem Loch rumzuhocken.
Drei Kinder, zwei im Primarschulalter, eins im Vorschulalter, deine Frau arbeitet als Kinderärztin – wie macht ihr das, wenn Drehtage bis spätnachts dauern?
Wir sind einfach grundsätzlich ein gutes Team. Aber natürlich, wenn Dreharbeiten anstehen, helfen Eltern, Nachbarn und Freunde mit, sonst würde es nicht gehen.
Apropos «auf das Nächste vertrauen»: Was kommt als Nächstes?
Ich hab zum Glück gleich drei Sachen, auf die ich mich freuen kann: zuerst einmal die Premiere an den Solothurner Filmtagen. Dann die Drehtage für eine SRF-Produktion, eine Mini-Krimi-Serie namens «Advent, Advent» von Natascha Beller, die nächsten Dezember ausgestrahlt werden soll. Und danach spiele ich eine kleine Rolle in der Verfilmung des Thomas-Mann-Klassikers «Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull». Der tolle deutsche Regisseur Detlev Buck führt Regie. Darauf freu ich mich auch sehr.
Im Herbst 1989, kurz vor dem Berliner Mauerfall, überwacht Viktor (Philippe Graber) für die Geheimpolizei Zürcher Linke und vermeintliche Linke. Sie werden, wie hunderttausend andere, von der Geheimpolizei fichiert. Doch dem damaligen Nationalrat Moritz Leuenberger ist die Überwachung und Fichierung unbescholtener Bürger ein Dorn im Auge – die Geheimpolizei gerät unter Druck, Viktors Vorgesetzter (Mike Müller) braucht dringend einen Erfolg. Am Zürcher Schauspielhaus vermutet er eine revolutionäre linke Zelle. Viktor soll als Statist verdeckt observieren. Doch der vermeintlich brave Polizist verliebt sich stattdessen ausgerechnet in die Schauspielerin Odile (Miriam Stein) – die Person, die er eigentlich überwachen soll.
«Moskau einfach!» von Regisseur Micha Lewinsky (47) ist eine herzerwärmend-lustige Liebeskomödie, die sowohl den verknöcherten, paranoiden Geheimpolizeiapparat als auch das selbstverliebte Theater liebevoll auf die Schippe nimmt.
«Moskau einfach!» wird am Mittwoch, 22. Januar die Solothurner Filmtage eröffnen, ab dem 13. Februar ist der Film in den Schweizer Kinos zu sehen.
Im Herbst 1989, kurz vor dem Berliner Mauerfall, überwacht Viktor (Philippe Graber) für die Geheimpolizei Zürcher Linke und vermeintliche Linke. Sie werden, wie hunderttausend andere, von der Geheimpolizei fichiert. Doch dem damaligen Nationalrat Moritz Leuenberger ist die Überwachung und Fichierung unbescholtener Bürger ein Dorn im Auge – die Geheimpolizei gerät unter Druck, Viktors Vorgesetzter (Mike Müller) braucht dringend einen Erfolg. Am Zürcher Schauspielhaus vermutet er eine revolutionäre linke Zelle. Viktor soll als Statist verdeckt observieren. Doch der vermeintlich brave Polizist verliebt sich stattdessen ausgerechnet in die Schauspielerin Odile (Miriam Stein) – die Person, die er eigentlich überwachen soll.
«Moskau einfach!» von Regisseur Micha Lewinsky (47) ist eine herzerwärmend-lustige Liebeskomödie, die sowohl den verknöcherten, paranoiden Geheimpolizeiapparat als auch das selbstverliebte Theater liebevoll auf die Schippe nimmt.
«Moskau einfach!» wird am Mittwoch, 22. Januar die Solothurner Filmtage eröffnen, ab dem 13. Februar ist der Film in den Schweizer Kinos zu sehen.