Oscar-Preisträgerin Caroline Link über ihren neuen Film, ihre Tochter und über Frauen im Regiegeschäft
«Mädchen, hört auf brav zu sein»

Sie hat zu Hause ein goldenes Männchen stehen: Warum Regisseurin Caroline Link (55) echte Mädchen wichtiger sind und sie in ihren Filmen eine grosse Rolle spielen. Pünktlich zu Weihnachten kommt «Als Hitler das rosa Kaninchen stahl» in die Schweizer Kinos.
Publiziert: 26.12.2019 um 23:06 Uhr
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Aktualisiert: 27.12.2019 um 07:39 Uhr
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Die deutsche Regisseurin Caroline Link hat den Kinderbuchklassiker «Als Hitler das rosa Kaninchen stahl» verfilmt. Im Bild ist sie mit ihrer jungen Hauptdarstellerin Riva Krymalowski.
Foto: Getty Images
Katja Richard

Sie betrachtet die Welt durch Kinderaugen und hat dafür bereits einen Oscar gewonnen: Jetzt hat die deutsche Regisseurin Caroline Link (55) den Kinderbuchklassiker «Als Hitler das rosa Kaninchen stahl» von Judith Kerr (1923–2019) verfilmt. Darin erzählt Kerr die Geschichte ihrer Flucht aus dem Nazi-Deutschland 1933 aus der Perspektive der neunjährigen Anna, statt brauner Uniformen spielt dabei ein rosa Plüschtier eine wichtige Rolle. Und die Schweiz – dies nicht nur, weil die Tessinerin Carla Juri (34) eine der Hauptfiguren spielt.

Sie erzählen nicht das erste Mal einen Film aus der Perspektive eines Mädchens, warum?

Caroline Link: Der unvoreingenommene Blick von Kindern auf die Gesellschaft ist auch für Erwachsene oft aufschlussreich. Zudem arbeite ich gerne mit Kindern. Sie sind in ihrer Kommunikation sehr direkt, das mag ich, denn das kommt auch auf der Leinwand rüber. Wichtig ist, eine authentische Verbindung zu ihnen aufzubauen. Wenn man Spass hat zusammen, darf ich in anderen Momenten auch mal streng sein. Die Hausaufgaben müssen gemacht werden und für eine Hauptrolle in einem Film braucht es viel Disziplin. Viele meiner Kollegen sagen bei Kindern und Tieren: «Nein danke!» Mir macht die Arbeit grossen Spass.

Autorin Judith Kerr ist im Mai gestorben. Hat sie Teile des Films noch sehen können?

Leider nein. Dass ihr Roman fürs Kino verfilmt wurde, hat ihr sehr viel bedeutet. Aber sie wollte nicht mehr fliegen, sie war ja schon 95. Wir waren aber telefonisch in Kontakt.

Wissen Sie, wie sie die Flucht 1933 in die Schweiz als Mädchen erlebt hat?

Überraschender Weise hat sie mir mehrfach erzählt, dass das die schönste Zeit ihres Lebens war, weil die Familie näher zusammenrückte. In Berlin waren die Eltern viel weg, es gab Kindermädchen und Haushälterinnen. Als die Familie aus Deutschland wegmusste, haben es die Eltern verstanden, die existenziellen Sorgen vor den Kindern zu verbergen. Dadurch wurde aus der Flucht eine abenteuerliche Reise. Ich kann mir aber vorstellen, dass sie die Jahre der Flucht im Nachhinein etwas verklärt hat. Sie hat das Buch ja erst 1971 geschrieben. Es ist nur menschlich, dass wir das Positive stärker in Erinnerung behalten.

Wie sind Sie auf Carla Juri für die weibliche Hauptrolle gekommen?

Sie besitzt eine bezaubernde und lebendige Persönlichkeit, das passt. Die Familie Kerr war eine intellektuelle Künstlerfamilie, die aus dem Rahmen gefallen ist. Der Vater war ein sehr erfolgreicher Kritiker, die Mutter eine Opernkomponistin. Bevor sie von den Nazis vertrieben wurden, prägte das Paar das kulturelle Leben im Berlin der 1920er- und 1930er-Jahre mit. Ich habe eine Frau gesucht, die den Freigeist dieser Zeit verkörpert.

Wie ist aus Ihnen eine Regisseurin geworden?

Ich komme aus einer Welt, die nichts mit Kunst und Kultur zu tun hat. Meine Eltern hatten ein Restaurant, sie haben am meisten gestaunt, als ich an der Filmhochschule angenommen wurde. Ich wollte immer einen Beruf ausüben, der etwas mit Menschen und Kindern zu tun hat, mich haben Schicksale interessiert. Statt Therapeutin wurde ich dann Regisseurin, ich mag die Arbeit in einem Team und die Möglichkeit, Geschichten zu erzählen.

Regie ist eine Männerdomäne, Sie haben sogar einen Oscar gewonnen, wo liegt Ihre Stärke?

Um ein Filmprojekt auf die Beine zu stellen, muss man auch mal dominant und hartnäckig sein. Keine Eigenschaften, die andere Menschen als besonders weiblich empfinden. An der Filmhochschule sage ich den jungen Studentinnen immer, sie sollen aufhören, brave Mädchen zu sein. In allen Führungspositionen muss man andere für die eigene Sache gewinnen und den Karren ziehen. Das muss man wollen, viele Frauen schrecken davor zurück. Die grösste Herausforderung ist, Beruf und Kinder zu vereinbaren. Der tollste Kindergarten nützt nichts, wenn man drei Monate im Ausland dreht.

Wie haben Sie das geregelt?

Man braucht eine Infrastruktur, eine Familie, die das trägt. Das kann eine Grossmutter sein oder ein Partner, der bereit ist, mit anzupacken. Ich habe meine Tochter relativ spät bekommen und wollte Zeit für sie haben. Richtig gedreht habe ich erst wieder, als sie fünf Jahre alt war. Während des Drehs bin ich für drei Monate ins Hotel gezogen, weil ich wusste, dass mich die Doppelrolle als Mutter schwächen wurde. Bei den ersten Tränen meiner Tochter wäre ich weich geworden. Ihr Vater hat sich in dieser Zeit wunderbar um sie gekümmert, ich war überrascht, wie gut das gegangen ist. Man muss Männern auch was zutrauen und ihnen eine Chance geben. Viele junge Männer wollen sich als Vater stärker einbringen, wenn man sie lässt.

Was bedeutet Ihnen der Oscar?

Das werde ich wohl noch bis an mein Lebensende gefragt. Natürlich war und ist das eine grosse Ehre, und ich bin dankbar dafür. Aber das war 2003 und seither ist so viel Zeit vergangen. Meine Tochter kam damals zur Welt und die Freude darüber hat mehr Raum eingenommen – mein Mädchen ist mir wichtiger als jedes goldene Männchen.

Von der Wirtstochter zum Oscar-Gewinnerin

Caroline Link gehört zu den erfolgreichsten Filmemacherinnen Deutschlands. Sie wuchs in Bad Nauheim auf, der Vater führte ein Restaurant. Bereits für ihr Kinodebüt «Jenseits der Stille» über die Tochter gehörloser Eltern bekam sie 1996 eine Oscarnominierung. Für das Flüchtlingsdrama «Nirgendwo in Afrika» gab es 2003 den Oscar. Wegen einer Erkrankung ihrer Tochter konnte sie den Preis nicht persönlich entgegennehmen.

Caroline Link gehört zu den erfolgreichsten Filmemacherinnen Deutschlands. Sie wuchs in Bad Nauheim auf, der Vater führte ein Restaurant. Bereits für ihr Kinodebüt «Jenseits der Stille» über die Tochter gehörloser Eltern bekam sie 1996 eine Oscarnominierung. Für das Flüchtlingsdrama «Nirgendwo in Afrika» gab es 2003 den Oscar. Wegen einer Erkrankung ihrer Tochter konnte sie den Preis nicht persönlich entgegennehmen.

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