Gregory Widmer (39) verlor wegen Mitarbeit an «Mad Heidi» seinen Job bei der Polizei
«Die Chefs waren stinksauer»

«Mad Heidi» ist der wohl abgefahrenste Schweizer Film des Jahres. Drehbuchautor Gregory Widmer verlor wegen seiner Beteiligung den Job bei der Zürcher Kantonspolizei – zu Unrecht. Heute schaut er nicht gerne auf die schwierige Zeit zurück.
Publiziert: 29.11.2022 um 12:39 Uhr
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Aktualisiert: 30.11.2022 um 19:29 Uhr
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Gregory Widmer schrieb am Drehbuch für den Schweizer Trash-Film «Mad Heidi» mit. Deswegen verlor er seinen Job bei der Kantonspolizei Zürich.
Foto: Siggi Bucher
Joschka Schaffner

Gregory Widmer (39) ist einer von vier Drehbuchautoren des Schweizer Trash-Films «Mad Heidi». Deswegen verlor er im Frühling 2019 seinen Job bei der Kantonspolizei Zürich. «Es war eine sehr emotionale Zeit für mich. Alles wurde etwas zu viel für mich», sagt Widmer.

Widmer sitzt in der Bar des Zürcher Kinos Houdini und nippt an einem Cappuccino. Im Gespräch zeigt er sich müde und erschöpft. Er arbeite momentan vor allem Nachtschicht als Sicherheitstechniker. «Langsam entwickle ich eine Schlafstörung», sagt er scherzhaft. Dennoch zeigt er sich gesprächig, wenn es um seine Leidenschaft geht: Drehbücher schreiben.

«Meine Generation wuchs mit Quentin Tarantino und Robert Rodriguez auf», sagt Widmer. Zwei Autodidakten, die mit wenig Geld ihre eigenen Visionen umsetzten. «Das gab mir das Vertrauen, es auch zu können.» 2010 drehte er mit Freunden den 60-minütigen Exploitation-Film «Züri Zoo». Alle arbeiteten gratis.

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Es begann mit einem Filmposter

Wie kam es nun dazu, dass sein Name im Vorspann von «Mad Heidi» steht? Vor fünf Jahren sah er ein Filmposter, damals noch unter dem Titel «Heidiland». Die Produzenten hängten es in Cannes (F) auf, um Reaktionen zum Projekt einzuholen. Widmer war fasziniert von der Aktion: «Ich wusste sofort, dass ich da dabei sein muss.»

Er bat seinen Lehrer am Zürcher SAL Institute, an dem er eine Ausbildung zum Drehbuchautor absolvierte, Kontakt zum Produzenten Valentin Greutert (48) aufzunehmen. «Ich verkaufe mich selbst nicht gerne», sagt Widmer. Greutert vernetzte ihn direkt mit Regisseur Johannes Hartmann (37).

Irre Heidi

«Mad Heidi» ist der wohl blutigste Schweizer Film des Jahres. Explodierende Köpfe, abgefahrene Kostüme sowie literweise geschmolzener Käse – an ausgefallenen Ideen fehlte es den Machern nicht. Der zu einem grossen Teil durch Crowdfunding finanzierte Film nimmt Versatzstücke aus Johanna Spyris Heidi-Roman und vermengt sie mit Einflüssen aus dem Trash-Kino der 1970er sowie der modernen Popkultur. Von Kung-Fu-Trainingsmontagen über faschistische Staatsgewalt bis zu «Starship Troopers» und «Herr der Ringe».

«Mad Heidi» ist der wohl blutigste Schweizer Film des Jahres. Explodierende Köpfe, abgefahrene Kostüme sowie literweise geschmolzener Käse – an ausgefallenen Ideen fehlte es den Machern nicht. Der zu einem grossen Teil durch Crowdfunding finanzierte Film nimmt Versatzstücke aus Johanna Spyris Heidi-Roman und vermengt sie mit Einflüssen aus dem Trash-Kino der 1970er sowie der modernen Popkultur. Von Kung-Fu-Trainingsmontagen über faschistische Staatsgewalt bis zu «Starship Troopers» und «Herr der Ringe».

Insgesamt arbeiteten vier Autoren am Drehbuch – nicht immer reibungslos. Dies sei aber normal bei so vielen Mitwirkenden. Sowieso käme vieles noch aus den Entwürfen, die Widmer 2019 zuerst zusammen mit Regisseur Hartmann und später zusätzlich mit Co-Regisseur Sandro Klopfstein (41) verfasste. Dafür zogen sie sich zweimal drei Wochen in einem Ferienhaus zurück. Für die erste dieser beiden Retraiten nahm er unbezahlte Ferien von seinem Beruf als Sektorchef der Passagierkontrolle am Flughafen Zürich.

Widmers direkter Vorgesetzter wusste von seiner Mitarbeit am Film. Trotzdem erhielt er nach der Rückkehr per Mail einen Gesprächstermin. «Ich fragte mich, was es sein könnte», sagt Widmer. «Ich hatte nichts falsch gemacht, aber auch nichts besonders gut – eine Gehaltserhöhung war es also sicher nicht.»

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Die Kantonspolizei kündigte ihm fristlos

Weiter oben sah man im Filmprojekt ein Problem. Widmer wurde mitgeteilt, dass der Inhalt ihren Werten widerspreche. «Sie benutzten immer wieder dieselben Wörter: gewaltverherrlichend, Nazi-Optik. Das ging mir recht auf den Sack», sagt Widmer. Der Film stelle sich als Satire klar gegen Faschismus.

Intern blitzte Widmer ab: Die Rechtsabteilung teilte ihm mit, er könne sich nicht gegen ein Ultimatum wehren. «Die Polizei setzt sich ein Ziel, und dann erreicht man das, egal was dazwischenkommt», sagt Widmer. Er erhielt eine Woche Bedenkzeit. Noch bevor diese um war, beorderte ihn der Chef der Flughafenpolizei in sein Büro. «Er war stinksauer und definierte mir, was Satire sei und dürfe», sagt Widmer.

Nach zwei Wochen erhielt er von der Kantonspolizei die fristlose Kündigung. «Kurz zuvor bereiteten wir mit einem Anwalt einen Kompromiss vor – ein Tag später wäre der Vorschlag bei der Polizei eingetroffen.» So blieb nur noch der Gang vor das Verwaltungsgericht. Dieses gab Widmer ein halbes Jahr später recht. Es sah die Grundrechte Widmers stark verletzt und die Kündigung als «nicht einmal ansatzweise nachvollziehbar». Die Kantonspolizei zog das Urteil ans Bundesgericht weiter. Und verlor einige Monate später auch dort. Widmer erhielt eine Entschädigung von zehn Monatslöhnen. Insgesamt dauerten die Verfahren fast zwei Jahre.

Widmer wollte weg von der Sicherheitsbranche

Eine Zeit, die Widmer nicht noch einmal erleben möchte. «Wenn du bei der Kantonspolizei entlassen wurdest und in einem offenen Verfahren bist, stellt dich niemand mehr ein», sagt er. Während seiner arbeitslosen Zeit schrieb er viel an einem neuen Filmprojekt. Gelegentlich half er auch weiter am Drehbuch für «Mad Heidi» mit.

In den Sicherheitsbereich zurückkehren wollte er eigentlich nicht mehr. Doch drohende Kürzungen bei den Arbeitslosengeldern führten ihn doch wieder dahin. «Vielleicht wäre es auch anders gegangen, aber ich fand den Weg nicht. Mir fehlte dazu auch die Energie», sagt Widmer.

Jetzt ist der Film in den Schweizer Kinos. Auch international ist er an Filmfestivals vertreten. Wie gefällt er Widmer? «Er ist sehr nahe daran, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Wichtig ist aber, dass er den Fans gefällt», sagt er. «Er ist aber so einzigartig, dass ihn jeder Schweizer, jede Schweizerin mindestens dreimal schauen sollte.»

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