Unter dem Hashtag #metoo haben diese Woche viele Frauen ihre Stimme gegen sexuelle Belästigung erhoben. Nachdem Stars wie Charlize Theron bereits bei Filmgagen für die Rechte der Frau einstehen, scheint das weibliche Hollywood nun auch in Sachen sexueller Ausbeutung Ernst machen zu wollen.
Anders sieht die Lage auf der Kinoleinwand aus. Dort wird das weibliche Publikum seit Jahren komplett vernachlässigt – und niemand scheint es gross zu kümmern. Der Grossteil der aktuellen Blockbuster richten sich klar an ein junges und vor allem männliches Publikum. Etwa beim aktuellen Sci-Fi-Spektakel «Blade Runner 2049». Laut Branchendienst Boxoffice-Mojo bestand das Publikum am Eröffnungswochenende in den USA zu über 70 Prozent aus Männern.
In der Schweiz dürfte das Verhältnis etwas gemässigter sein.
Trotzdem: Daran, dass sich heutige Comic-Verfilmungen, Superhelden- Spektakel, Sci-Fi-, Fantasy- und Action-Blockbuster primär an junge Männer richten, zweifelt niemand. Besonders auffällig ist die Absenz von romantischen Komödien. Diese RomComs haben Frauen samt ihren Partnern jahrelang scharenweise ins Kino gelockt. Klassiker wie «Love Actually» oder «Pretty Woman» gehörten zu den erfolgreichsten Filmen ihres Jahrgangs.
Doch in den letzten Jahren schaffte es kaum einer dieser sogenannten Frauenfilme unter die Top 50. Das hat unter anderem damit zu tun, dass es kaum mehr RomComs gibt. Und wenn doch – wie dieses Jahr «Rough Night» – sind sie mehr klischeehafte Kopie als leidenschaftliche Originale. «Who Killed the Romantic Comedy?» – wer hat die romantische Komödie umgebracht? – fragte sich prompt die «Los Angeles Times».
Beim Film sind Frauen anspruchsvoller als Männer
Und nicht nur sie. «Wir in der Branche fragen uns auch: Wo sind bloss die Frauenfilme geblieben?», sagt Matthias Keller. Der langjährige Marketing Director von Walt Disney Schweiz und heutige Geschäftsführer des Rundum-Filmdienstleisters Paterson Entertainment bestätigt, dass selbst eine grosse Kinokette wie die Kitag Mühe hat, Filme für ihre «Ladies Night» zu finden. Keller betont, dass es keine einfache Antwort auf das Problem gibt. Einen Grund jedoch sieht er darin, dass Frauen bei Filmen anspruchsvoller sind als Männer.
Etwas Action, etwas Sex – bei den Herren der Schöpfung weiss man, was funktioniert. Frauen hingegen könne man nicht so leicht ausrechnen. Deshalb sind solche Filme für die Studios in Hollywood mit Risiken behaftet. Die aktuelle Strategie, mit bewährten Superhelden, untereinander verbundenen Film-Universen, Remakes und gross angerichteten Action-Serien auf Nummer sicher zu gehen, liegt daher auf der Hand. Denn ein Flop kann einem Produzenten heute schnell einmal den Job kosten.
Jennifer Lawrence ist keine Meg Ryan
Versucht hat man es trotzdem immer wieder. Doch die romantischen Komödien der letzten Jahre waren entweder nicht besonders gut – oder sie fanden keine Stars, die ihren Kopf dafür hinhalten wollten. Waren Meg Ryan, Julia Roberts oder Sandra Bullock gefeierte Lieblinge eines Erfolgsgenres, will Hollywoods aktuelle A-Riege um Jennifer Lawrence, Kristen Stewart oder Emma Stone alles ausser in einer Romanze mitspielen. Obwohl gerade Letztere in «Crazy Stupid Love» vor ein paar Jahren in einem der wenigen modernen RomCom-Erfolge brilliert hat.
Doch selbst ein Top-Regisseur wie Paul Feig, der mit der frechen Komödie «Bridesmaids» (2011) einen Megahit landen konnte, kriegt heute einen Korb. Als er «Mad Men»- Star Jon Hamm und Melissa McCarthy für eine neue RomCom verpflichten wollte, winkten beide ab.
Das ist zumindest bei McCarthy nachvollziehbar. Denn Hollywood verzeiht Frauen Misserfolge weit weniger als Männern. Ryan Reynolds etwa durchlebte eine Serie an Flops, bevor er mit «Deadpool» wieder zum begehrten Star wurde. Katherine Heigl – für kurze Zeit die grosse RomCom-Hoffnung – reichten zwei Flops und ein schlechter Ruf, um ihre Karriere zu begraben.
Flops sind bei RomComs immer möglich. Keller verweist auf die hohe Misserfolgsquote der vielen Liebeskomödien aus Frankreich. Gefühlt nur jeder zehnte Film funktioniere. Das würde in Hollywood nicht geduldet. Dazu kommt, dass sich die Erfolgsformel aus den 90er- und Nuller-Jahren abgenutzt hat. Ein Film wie «Pretty Woman» funktioniert zwar nach wie vor – bei 40- oder 50-Jährigen. Junge Frauen haben andere Ansprüche. Keller: «Das RomCom-Genre muss sich in gewisser Weise neu erfinden. Leider weiss noch keiner genau, wie das gehen soll.»
Schweizer Filme und kleine Produktionen profitieren
Immerhin: Wo es Verlierer gibt, gibt es auch Gewinner. Von der Krise der RomComs profitieren viele kleinere Produktionen. Aktuelle Filme wie das Liebesdrama «Everything, Everything» oder die Dramedy «Gifted» setzen auf Gefühl und laufen hierzulande viel besser als erwartet.
Auch der riesige Erfolg von «Die göttliche Ordnung» – mit über 300 000 Besuchern der erfolgreichste Film in der Deutschschweiz 2017 – ist unter anderem auf die Absenz von Frauenfilmen zurückzuführen. Mit seinem Mix aus Anspruch, Gefühl und Humor könnte der Film gar als Orientierungshilfe dienen – für das, was Frauen in der Zeit nach Harvey Weinstein von einem Film aus Hollywood erwarten.