In «Mrs. Fang» schaut man einer alten Frau beim Sterben zu. Mit Voyeurismus hat das nichts zu tun. Nüchtern erzählt Bing die Geschichte von Fang Xiuying, einer ehemaligen Bäuerin, die acht Jahre lang an Alzheimer litt. Nachdem ein Aufenthalt in einem Heim keine Besserung brachte, holte die Familie Fang zurück in die Wohnung, wo sie schliesslich 2016 starb.
Auch wenn Bing, der im vergangenen Jahr noch selber in der Locarno-Jury sass, zu den wichtigsten Dokumentarfilmern Chinas gehört, hatten ihn die wenigsten Filmkritiker auf dem Radar. Dementsprechend gross war die Überraschung am Samstagnachmittag, als Jurypräsident Olivier Assayas vor den Medien den Preisträger verkündete.
Der Goldene Leopard für die beste Darstellerin geht an die Französin Isabelle Huppert, die im Spielfilm «Madame Hyde» eine verschrobene Lehrerin spielt. Der Preis für den besten Darsteller geht - entgegen der Erwartungen vieler - nicht an den 91-jährigen Harry Dean Stanton («Lucky»), sondern an Elliott Crosset Hove für seine Darstellung in «Winter Brothers».
Die Schweizer Kandidaten im Wettbewerb gehen nahezu leer aus. Der Spielfilm «Goliath» von Dominik Locher erhält keine Auszeichnung. Für das Debüt «Dene wos guet geit» von Cyril Schäublin im Nachwuchswettbewerb «Cineasti del presente» gab es immerhin eine spezielle Erwähnung der Jury.
Übergeben werden die Preise am Samstagabend auf der Piazza Grande. Dort verkündet der künstlerische Leiter Carlo Chatrian auch, welcher Film des Piazza-Programms den Publikumspreis gewinnt. Darüber konnten die Zuschauerinnen und Zuschauer abstimmen. Den filmischen Abschluss bildet nach der Preisverleihung die Premiere des Schweizer Dokumentarfilms «Gotthard - One Life, One Soul» (Regie: Kevin Merz).
Das Filmfestival machte in seinem 70. Jahrgang mit einem aussergewöhnlich starken Wettbewerb von sich reden: Narrative, zugängliche Filme überwogen, während Experimentelles rar war.
Hingegen kam das Programm der Piazza Grande beim Publikum und den Filmkritikern weniger gut an als in vergangenen Jahren. In der zweiten Festivalhälfte machte zudem das Wetter den Freilichtvorführungen einen Strich durch die Rechnung: Nach fünf Hitzetagen trieben Regen und Gewitter das Publikum in die Kinosäle. (SDA)