Sie würden keinen Kitsch zulassen, keine heile Bergwelt inszenieren, kein holdes Mädchen mit goldenem Haar als Bündner Mädchen kreieren: Die Ansage der «Heidi»-Macher war klar, als sie verkündeten, die gefühlt 100. Verfilmung des Romanklassikers von Johanna Spyri (1827 - 1901) umzusetzen.
Und der Zuschauer wird zuerst mal nicht enttäuscht: Blond ist das Heidi aus der Feder von Drehbuchautorin Petra Volpe ( «Traumland») nicht. Und Regisseur Alain Gsponer (39, «Das kleine Gespenst», «Grüningers Fall») hat sich redlich bemüht, eine historisch korrekte Szenerie hinzuzaubern. Die Kleidung, die Schlitten, die Fassaden: Alles in Produktion aus dem Luzerner Haus «Zodiac Pictures» («Gotthard»,«Achtung, fertig, WK») ist mit Detailverliebtheit gestaltet.
Wenige frömmlerische Botschaften
Die Story? Ja, die kennt man. Und trotzdem sitzt der Zuschauer gerührt im Kinosessel, wenn Heidi (stark gespielt von Anuk Steffen, 10) von ihrer rücksichtslosen Tante Dete (Anna Schinz, 28) beim grimmigen Alpöhi abgesetzt wird. Denn der Einsiedler auf dem Berg hat sich doch eigentlich mit seiner Einsamkeit arrangiert, nachdem die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts ihn verbittern liess. «Es ist deine Christlichpflicht, das Kind aufzunehmen», wird er ermahnt – einen der wenigen frömmlerischen Botschaften, die Volpe aus der Originalvorlage zugelassen hat.
Das ewige Symbol der Abweisung
Das verstossene Waisenkind, herumgereicht und abgeschoben: Das ewige Symbol der Abweisung. «Aber die wollen mich doch auch nicht», sagt es herzzerreissend. Es gibt keine Verwendung für das unverdorbene Bergmädchen. Verliert es deshalb den Lebensmut? Nicht in dieser Heimatschau. Denn hier sind die Buben tapfer und strebsam und die Mädchen aufgeweckt und fröhlich. So sieht sich die Schweiz gern - und so sieht die Welt die Heidiwelt noch lieber.
Ganz trägt diesen Heimatfilm zu grossen Teilen
Also steht in Alpöhis Hütte bald ein zweiter Stuhl – das Kind versüsst mit seiner Fröhlichkeit und ja, auch Unschuld, Grossvaters Bitterkeit. Man nimmt es ihm ab. Gespielt wird der Mann mit dem weissen Bart von einem, der weiss, wie man ohne grossen Pathos Gefühle auslöst: Weltstar Bruno Ganz (79), einst in «Der Untergang» als das personifizierte Böse besetzt, trägt diesen Heimatfilm zu grossen Teilen.
Und dann ist da natürlich noch der Geissenpeter (Quirin Agrippi, 14) – heute würde man ihn wohl als Verdingbub einstufen. Die Eltern völlig verarmt, das Brot wie das Leben buchstäblich immer steinhart, muss der Bub den Familienunterhalt verdienen. In diesen Filmszenen spürt der Zuschauer die soziale Ungleichheit, die Volpe und Gsponer versuchen dem kindlichen Publikum zu vermitteln.
Hier ist einiges an Rauheit dem Schnitt zum Opfer gefallen
Und man wird trotzdem das Gefühl nicht los: Hier ist einiges an Rauheit dem Schnitt zum Opfer gefallen. Denn dieser Film muss Gewinn abwerfen, das Budget von rund acht Millionen Franken sieht eine ausgeklügelte Marketingstrategie vor. Es ist ein Familienstreifen - da will auch die Fünfjährige mit ihren älteren Geschwistern ins Kino. So ist der Hunger der Bergbevölkerung dann doch nicht so schlimm und eine gemetzgete Geiss, die der Öhi auf den Tisch knallt, praktisch blutleer.
Clara wird zur Porzellanprinzessin im goldenen Käfig
Gut getan hätte die Realität diesem modern sein wollenden Heidi allemal. Denn kaum wird es von der rücksichtslosen Tante ins Moloch Frankfurt verkauft, werden die Figuren zu Karikaturen und Heidis neue Freundin Clara buchstäblich zur Porzellanprinzessin im goldenen Käfig. Das Fräulein Rottenmaier scheint ob der Strenge ihrer zurückgebundenen Haare kaum eine Mimik zu verziehen. Un der Zuschauer wartet geduldig, bis Heidi an der «Maladie Suisse» erkrankt.
Da hätte man sich einen Bruch mit diesem Kitsch gewünscht
Das aufgeweckte Mädchen ist also plötzlich traurig. Es ist zwar Vollwaise, wurde Zeit ihre Lebens herumgeschoben und vernachlässigt, aber erst wenn es die Berge nicht mehr erblickt und Schuhe tragen muss, wird es von der Melancholie übermannt. Seriously? Da hätte man sich von Petra Volpe einen Bruch mit diesem verklärten Kitsch gewünscht.
Barfuss rennend zurück zur Fröhlichkeit
Das Mädchen darf also wieder zum Öhi auf den Berg, findet barfuss rennend zurück zur Fröhlichkeit und heilt dann, beim Besuch ihrer kranken Freundin, diese sogar vom Rollstuhl. Soweit, so bekannt und schon tausendfach gesehen.
Die Macher schaffen es zu Schluss dann trotzdem noch, diesen veralteten Stoff ins heutige Jahrhundert zu verpflanzen: Denn dieses Heidi hat in Frankfurt lesen gelernt und will jetzt, selbstständig und fast schon etwas emanzipiert, Schriftstellerin werden. Es hat das Leben vor sich und glaubt daran, dass es bald zu einer starken Frau werden darf. Einer mit Willen und Willensstärke – und wohl noch mehr Fröhlichkeit.