Anatole Taubman (48) spielt im Reformationsdrama «Zwingli» die historisch verbürgte Figur Leo Jud, Weggefährte von Huldrych Zwingli (Kinostart 17. Januar). Taubman ist vom Ergebnis begeistert – und er ist soeben Vater geworden. Beim Interview herrscht entsprechend Hochstimmung.
BLICK: Sie sehen frisch aus. Weckt Sie Ihr kleiner Sohn nicht auf in der Nacht?
Anatole Taubman: Nein, dafür schlafe ich einfach zu fest und tief. Die ersten drei Monate sind aber anstrengend, speziell für meine Frau, da sie mit ihrer Muttermilch für die Nahrung zuständig ist. Ich bewundere sie zutiefst. Als Mann muss man da ruhig und stark im Hintergrund bleiben und seiner Frau alles andere abnehmen. Bei uns hat sich alles sehr gut eingependelt. Henri hat sich ans Leben und an seine Eltern gewöhnt. Und wir schauen ihn an und denken: Dieses bezaubernde kleine Lebewesen ist wahrlich ein Wunder.
Wie würden Sie Ihre Rolle in «Zwingli» beschreiben?
Zusammen mit Zwingli war Leo Jud das Gehirn der Schweizer Reformation. Ein besessener Gelehrter, loyal bis aufs Blut – er war Zwinglis bester Freund und treuster Gefährte. Sie lernten sich in Basel kennen. Beide studierten und lehrten unter Erasmus von Rotterdam. Doch war Jud im Gegensatz zu Zwingli eher der stille Beobachter.
Hätte Zwingli ohne Jud überhaupt etwas bewirken können?
Zwingli brauchte ihn dafür, alles zu erforschen und so aufzubereiten, dass es die Menschen damals verstanden. Und Jud wusste, wie er sich zurücknehmen musste, um Zwingli diese Plattform zu ermöglichen. Er war auch sehr bescheiden. Und ein ganz liebevoller und moderner Familienvater, sehr fürsorglich und spielerisch. Ein Gentleman, ein Feingeist. Zwingli holte ihn bewusst nach Zürich, um eine Basis zu haben. Ohne Jud hätte Zwingli die Sache nicht gepackt. Er war oft am Anschlag und wusste nicht mehr weiter. Genau hier kam Jud zum Zug.
Braucht es diesen Film?
Es ist essenziell wichtig, dass er gemacht worden ist. Gerade für jüngere Generationen. Damit nie vergessen wird, was damals passiert ist und wovon sie heute noch profitieren. Ich finde es toll, dass man einen Schulstoff daraus gemacht hat, passend zum Reformations-Jubiläum. Ich musste im Vorfeld mit Schrecken feststellen, dass Leute unter 20 kantonsübergreifend keine Ahnung mehr haben von Zwingli.
Was haben Sie für ein Bild von ihm?
Ich hatte immer das Glück, tolle Geschichtslehrer haben zu dürfen, in Oerlikon und vor allem in Einsiedeln. Jener dort war sehr humanistisch und freigeistig. Er stellte Zwingli als selbstlos dar, im Gegensatz zu den eher selbstsüchtigen Luther und Calvin. Das Bedürfnis von Zwingli und Jud war, dass die Leute die Bibel verstehen, damit sie selber Entscheidungen treffen konnten und selber die Wahl hatten, wie sie glauben wollten. Das war grundlegend fürs demokratische Zusammenleben. Und eine der wichtigen Säulen und Gründe, warum die Schweiz heute so erfolgreich tickt. Wir sind ja verschont von Religionskonflikten. Das musste irgendwie anfangen und ist unter anderem ein grosser Verdienst von Zwingli und eben auch Jud.
Sie haben im Film viel mehr Schalk als Zwingli. Oder täuscht das?
Leo Jud war ein humorvoller Charakter, der gerne lachte. Er fühlte sich pudelwohl mit Zwingli und unter Gelehrten. Wenn man etwas liebt, kann man es mit Leidenschaft am besten rüberbringen. Bei mir ist das der Fussball. Ich bin ein Fanatiker und brenne dafür. Auch Jud brannte. Sobald eine neue Schrift von Erasmus erschien, drehte er schier durch. Das Wichtigste: Er litt nicht an Selbstüberschätzung und war äusserst bescheiden. Jud fühlte sich wohl, an einer Pionierstelle der Geschichte zu stehen. Und er merkte: Wissenschaft macht enormen Spass.
War es schwierig, sich in die früheren Zeiten zu versetzen?
Ich bin ein überzeugter digitaler Neandertaler. Je weniger ich mit Internet und Mails zu tun habe, umso besser. Auf Social Media finde ich nicht statt, es interessiert mich schlicht nicht, und Zeit ist mir zu kostbar. Und beim Arbeiten ist mein Handy auch nicht am Set. Andere machen es anders, ich gehöre nicht dazu. Deshalb hat dieser Zeitsprung nie eine Problematik dargestellt für mich, auch jetzt nicht. Und ich ging jeweils bereits im Kostüm zu den Dreharbeiten im Grossmünster, sehr früh, im nebligen Februar (setzt eine mysteriöse Stimme auf). Ich bin durch die Stadt gewandelt im Kostüm und habe es geliebt. Ich konnte mich so perfekt in Stimmung bringen – und dann noch mit meiner Frisur im Film, super sexy. Dazu der Dreck an den Händen. Ein Film, der im Mittelalter spielt, muss nun mal auch stinken. Damals hats enorm gestunken. Der Mief und die Verzweiflung müssen rüberkommen, man muss es spüren, an den Hauswänden, in den Gassen.
Ist der Zwingli-Geist heute noch spürbar?
Ich spüre ihn ganz allgemein in der Schweiz, in der direkten demokratischen Form. Die Schweiz ist ein weltoffenes, modernes Land, wo Respekt und Toleranz auch wirklich stattfinden. Natürlich sind wir sehr privilegiert, und auch wenn wir vielleicht zu oft wirtschaftliche Absichten verfolgen bei unseren Handlungen, ist der freie Wille doch jederzeit präsent. Es ist schon unglaublich, wie dieses Land funktioniert. Es ist ein winzig kleines Land – trotzdem sind wir wirtschaftlich und finanziell gesehen ein Global Player. Das kam aber nicht einfach so. Die Basis dazu wurde auch im 16. Jahrhundert gelegt. Wir haben ein Miteinander geschaffen, mit der passenden geistigen Gesinnung und entsprechenden moralisch-ethischen Werten. Den Nährboden dazu haben unter anderen auch Jud und Zwingli gelegt. Davon profitiert die Schweiz noch heute.
Der Schweizer Anatole Taubman durchlebte eine turbulente Kindheit mit häufigen Schulwechseln. Halt fand er schliesslich im Internat des Klosters Einsiedeln SZ. Seine Karriere begann in den 90er-Jahren, als er in New York eine Schauspielschule besuchte. Seither spielte er in mehr als 50 internationalen Kino- und TV-Produktionen wie dem Bond-Abenteuer «Ein Quantum Trost» (2008), «96 Hours» (2008), «Captain America» (2011) und «Akte Grüninger» (2014) mit. Seit September ist Taubman mit der früheren TV-Moderatorin Sara Hildebrand (31) verheiratet, das Paar bekam Ende November Söhnchen Henri.
Der Schweizer Anatole Taubman durchlebte eine turbulente Kindheit mit häufigen Schulwechseln. Halt fand er schliesslich im Internat des Klosters Einsiedeln SZ. Seine Karriere begann in den 90er-Jahren, als er in New York eine Schauspielschule besuchte. Seither spielte er in mehr als 50 internationalen Kino- und TV-Produktionen wie dem Bond-Abenteuer «Ein Quantum Trost» (2008), «96 Hours» (2008), «Captain America» (2011) und «Akte Grüninger» (2014) mit. Seit September ist Taubman mit der früheren TV-Moderatorin Sara Hildebrand (31) verheiratet, das Paar bekam Ende November Söhnchen Henri.