Relotius-Betrug kommt ins Kino
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Aus satirischer Sicht:Relotius-Betrug kommt ins Kino

Alles nur erfunden
Der Betrug beim «Spiegel» läuft jetzt im Kino

Der deutsche Komödien-Regisseur Michael «Bully» Herbig bringt den Fall des journalistischen Fälschers Claas Relotius ins Kino. Der satirische Film gelingt, weil er den Betrug zeigt, den Betrüger aber nicht zu erklären versucht.
Publiziert: 03.10.2022 um 00:16 Uhr
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Der Schauspieler Jonas Nay verkörpert im Kinofilm «Tausend Zeilen» den Reporter Lars Bogenius. Er ist an den ehemaligen «Spiegel»-Reporter und Fälscher Claas Relotius angelehnt.
Foto: Warner Bros
Peter Hossli

Betrüger betören. Hochstapler bezaubern. Das Kino erhebt sie zuweilen zu Helden. Die Literatur und die Psychologie verleihen ihnen Tiefe. Auf all das verzichtet «Tausend Zeilen» – was die Stärke des neuen Spielfilms über den journalistischen Fälscher Claas Relotius (36) ausmacht.

Zu keinem Zeitpunkt verfällt Regisseur Michael «Bully» Herbig (54) dem Reiz, die Niedertracht zu verherrlichen. Nie versucht er zu erklären, warum der damalige «Spiegel»-Reporter Geschichten erfand, statt zu recherchieren. Der Film sagt einfach, was war. Dass Relotius notorisch log, meist allein im Ausland arbeitete, nie mit Fotografen, die ihn hätten belasten können. Und dass dessen preisgekrönte Schreibe vor Kitsch trieft.

Die Motive von Relotius sind Herbig nicht der Rede wert. Was er im Film mit beissender Komik einfängt, ist ein journalistischer Betrieb, der die Hochstapelei umgarnt und sinkende Auflagen wie den schlechten Ruf mitverantwortet.

Artikel gebaut wie Filme

Der «Spiegel» heisst hier «Chronik», und dort arbeiten stellvertretende Chefredaktoren und Ressortleiter, die am Schreibtisch Storys aushecken. Lange bevor etwas passiert, giessen sie ihre Wirklichkeit in eine packende Dramaturgie, hecheln nach Emotionen statt Fakten. Sie lassen ins Internet schreiben, was bereits im Internet steht. Von Autoren verlangen sie Artikel, die gebaut sind wie die Filme des US-Regisseurs Quentin Tarantino (59).

Der deutsche Komödien-Regisseur Herbig («Der Schuh des Manitu») erzählt zügig, bewegt sich nahe am Klamauk, ohne abzustürzen. Er bedient Klischees, überzeichnet Reporter als ruhelose Haudegen, ihre Chefs als Wichtigtuer und Karrieristen. In seiner Satire steckt Wahres. Etwa, wenn ein Fotograf von seinen drei Ehejahren erzählt, zwei davon verbrachte er auf Reportage. Als er eines Tages nach Hause kam, fand er die leere Wohnung und einen Zettel seiner Frau mit dem Satz «Fick doch deine Kameras!» vor.

Herbig findet zärtliche Momente, weil er aus der Perspektive von Juan Moreno (49) erzählt, dem Helden dieser unsäglichen Geschichte. Der freie «Spiegel»-Reporter ertappte 2018 den Fälscher und überführte ihn gegen den Widerstand der Verantwortlichen. Morenos Familie zerbrach beinahe daran. Darüber schrieb er das Buch «Tausend Zeilen Lüge». Der Film zeigt, wie schwierig es für einen Reporter wie ihn ist, ein geregeltes Leben zu führen. Weil er nie aufhört zu arbeiten, Fakten prüft, Informanten anruft, Texte verbessert und weiss, dass Fiktion im Journalismus keinen Platz hat.

Es sei denn, er setzt schnulzige Sätze comicartig zusammen – und gewinnt damit grosse Preise. Wie damals Relotius.

Peter Hossli ist der Leiter der Ringier Journalistenschule

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