Ausgerechnet er, der mit seinen Filmen immer wieder gesellschaftlich relevante Themen aufgreift. Ausgerechnet er, der unermüdlich dem Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung das Wort redet. Ausgerechnet der Afroamerikaner Spike Lee: nominiert für den Oscar 2019 in der Kategorie «Beste Regie». Und dann auch noch für einen Film über den Ku-Klux-Klan. Da kommt einiges zusammen. Aber der Reihe nach.
Preisverleihungen der Filmindustrie, bei denen die strahlenden Sieger unter dem donnernden Applaus von ihresgleichen mit ausufernden Gesten perplexer Ungläubigkeit die ihnen zugedachten Statuetten in Empfang nehmen, haben mit dem Leben draussen in der Regel wenig zu tun. Auch wenn, wie im Fall der Academy Awards, ein Millionenpublikum zusieht: Es hat etwas von einem geschlossenen Kreislauf, wenn die Stars und Sternchen sich gegenseitig abfeiern. Ein Scharnier, das das Dolby Theatre am Hollywood Boulevard auf eine nachhaltige Weise mit der Aussenwelt verbinden würde, sucht man oft vergeblich. Aber hin und wieder passiert dann doch einmal etwas, das über die Academy Awards hinaus auf ein Thema von gesellschaftlicher Relevanz weist. Zum Beispiel vor drei Jahren, als Spike Lee der Kragen platzte.
Wie lange und wie intensiv die Academy damals auch immer nach dunkelhäutigen Kandidaten gesucht haben mochte, die für eine Nominierung in der Kategorie «Beste Regie» oder in einer der vier Darstellerkategorien hätten in Frage kommen können: Sie hatte keine gefunden. Genau wie schon im Jahr zuvor. Nicht dass schwarze Filmschaffende damals gerade Pause gemacht hätten. Michael B. Jordan zum Beispiel spielte gross auf im Boxerfilm «Creed», Idris Elba glänzte im Kriegsdrama «Beasts of No Nation». Und dennoch: Keine einzige Nomination für eine Afroamerikanerin oder einen Afroamerikaner im zweiten Jahr in Folge in den fünf wichtigsten Kategorien.
Spike Lee, selber Mitglied der Academy, hatte genug. Er ging auf Instagram und zitierte Martin Luther King: «Es kommt eine Zeit, in der du eine Position einnehmen musst, die weder sicher noch klug noch populär ist. Aber du musst es tun, weil dein Gewissen dir sagt, dass du recht hast.» Gesagt, getan. Spike Lee rief zum Bokyott der Oscar-Zeremonie auf. Jada Pinkett Smith, ihr Gatte Will und eine Reihe weiterer namhafter Berufskollegen schlossen sich dem Boykott an und entfachten auf Twitter unter dem Hashtag #OscarSoWhite eine breite Diskussion über die Nominierungspraxis der Academy, deren Mitglieder vornehmlich weisse Männer über 50 sind.
Eine lange Geschichte der Übergangenen
Die Academy wies die Rassismus- und Diskriminierungsvorwürfe entschieden von sich und fand im folgenden Jahr aus dem Stegreif sieben Afroamerikaner, denen sie das Zeug zum Preisträger zutraute. Zwei der Nominierten gewannen schliesslich tatsächlich einen Oscar: Mahershala Ali für die Hauptrolle in «Moonlight» und Viola Davis für die Nebenrolle in «Fences».
2018 schien der Elan der Juroren dann bereits wieder etwas nachzulassen: fünf nominierte Afroamerikaner, keine Gewinner. Und für die diesjährigen Oscars, die in der Nacht von heute auf Montag vergeben werden, haben es noch drei Schwarze in die Ränge der Nominierten geschafft: Mahershala Ali zum zweiten Mal für seine Hauptrolle in «Green Book», Regina King für ihre Nebenrolle in «If Beale Street Could Talk» – und Spike Lee, der Boykottführer von 2016, der ausgerechnet für «BlacKkKlansman» zum ersten Mal überhaupt in der Kategorie «Beste Regie» nominiert ist. Spike, der schwarze Stachel im weissen Fleisch der Academy.
Dass die Vorwürfe an die Academy, sie sei von einem «racial bias» getrieben, nicht gänzlich aus der Luft gegriffen sind, zeigt ein Blick auf die Statistik: 1929 vergab die Academy erstmals den Award. Insgesamt 2204 Filmschaffende nominierte sie seither für die besten männlichen und weiblichen Haupt- und Nebenrollen sowie die beste Regie. 136 davon waren Schwarze. 15 von ihnen gewannen einen Oscar. Die erste war Hattie McDaniel, die 1940 für die Nebenrolle in «Gone with the Wind» ausgezeichnet wurde. Als Schwarze hatte sie bei der Zeremonie allerdings an einem abgesonderten Tisch zu sitzen. Der erste Afroamerikaner, der einen Oscar für eine Hauptrolle erhielt, war Sidney Poitier: 1964 für seine Leistung in «Lilien auf dem Felde».
2002 gab es gleich zwei Premieren: Halle Berry erhielt als erste Afroamerikanerin den Oscar für die weibliche Hauptrolle im Drama «Monster’s Ball». Und weil Denzel Washington gleichzeitig für seine Performance im Kriminalfilm «Training Day» geehrt wurde, räumten erstmals im selben Jahr zwei Schwarze die Oscars in den beiden Hauptrollenkategorien ab.
Berry und Washington waren von Spike Lee entdeckt und gefördert worden. Das waren Samuel L. Jackson und Lawrence Fishburne auch. Doch genau wie Eddie Murphy und Will Smith sind sie bei der Oscar-Vergabe bisher nicht berücksichtigt worden. Angesichts solch hochkarätiger Übergangener stellt sich schon die Frage, ob denn wirklich nicht mehr als 15 Oscars in 90 Jahren drin gewesen wären. Und die Wut der Black Community auf die Academy vermag kaum noch zu verwundern. Schon gar nicht die eines Spike Lee, dessen Werk wie ein kinematografischer Spiegel der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung wirkt.
Kampf um Gleichberechtigung und Anerkennung
Der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Regisseur, Produzent, Autor und Schauspieler gehörte zu den Gründern des New Black Cinema. In Filmen wie dem Comedy-Drama «Do the Right Thing» (1989) und dem biografischen Epos «Malcolm X» (1992) thematisierte er die amerikanischen Rassenunruhen und den Kampf der Schwarzen um Gleichberechtigung und Anerkennung. «BlacKkKlansman» spielt in den 1970ern und erzählt die absurde, aber wahre Story des schwarzen Detectives Bob Stallworth, der sich nichts Geringeres vornimmt als undercover den Ku-Klux-Klan zu infiltrieren.
Der Film ist in sechs Kategorien für die Academy Awards nominiert. Die entscheidende Frage ist: Wird Spike Lee den Oscar für die beste Regie erhalten? Es wäre die einigermassen schräge Auflösung der komplizierten Geschichte zwischen dem schwarzen Spike Lee und den weissen Mitgliedern der Academy. Es wäre eine gute Geschichte. Und Hollywood mag gute Geschichten.
SRF 2 überträgt die Oscar-Nacht live: Montag, 25. Februar, ab 00.10 Uhr.