Grosses Kino in Locarno TI. Das drittälteste Filmfestival Europas (nach Cannes und Venedig) wird 70! Und die Piazza Grande wieder zum grössten Freiluftkino der Schweiz. Im Café Ravelli, dem ältesten Lokal an der Piazza, werden Erinnerungen wach. «Die ersten Filme wurden im Park vom Grand Hotel gezeigt. Es gab einen roten Teppich, und die Frauen trugen festliche Kleider», erzählt Livia Ravelli (80) dem BLICK. «Heute laufen die Gäste ja nur in Jeans und T-Shirt herum», bedauert sie.
Campingstühle für die Piazza Grande
Ehemann Ademaro Ravelli starb vor zwei Jahren 94-jährig. «Er sorgte mit dafür, dass die Filme ab 1971 auf der Piazza Grande gezeigt wurden», so die Wirtin. «Für die erste Piazza-Vorstellung wurden Campingstühle bei der Migros gekauft.»
Aus dem vierten Stock schaut Aldo Torriani (83) dem Treiben auf der Piazza Grande zu. Auch der ehemalige Direktor der UBS in Locarno kennt das Filmfestival seit Kindheitstagen. «Mit 18 sass ich an der Kinokasse», erzählt der Tessiner. «1949 habe ich Gina Lollobrigida und 1960 die grosse Marlene Dietrich erlebt.» Doch der Glamour war überschaubar. «Zu den Empfängen im damaligen Grand Hotel kamen gerade mal 40 Ehrengäste», erinnert sich Aldo Torriani.
Früher habe eine Handvoll Filmbegeisterter das Festival geschmissen – ganz ohne Geld. «Heute beschäftigt der Veranstalter bis zu 600 Menschen», sagt Torriani. «Am Anfang kam das Ereignis mit 40’000 Franken aus, heute kostet es über 13 Millionen.»
Verregnete Vorführungen gab es von Anfang an
Als Direktor der UBS in Locarno gewann Aldo Torriani die Bank als ersten Sponsor. Er wurde Finanzchef sowie Vizepräsident des Filmfestivals. Und dessen Wettermann. «Verregnete Vorführungen hatten wir von Anfang an», erzählt der Festivalveteran weiter. «Ich musste prüfen, ob das Wetter den Film auf der Piazza erlaubte oder nicht.»
Regen ist Irene Sax (66) stets willkommen. «Dann läuft der Laden», sagt die gebürtige Aargauerin. Seit 41 Jahren treiben Regengüsse Festivalbesucher in ihr Hut- und Schirmgeschäft Risa unter den Arkaden. «Die internationale Kundschaft fand ich immer interessant.» Der erste Film, der in Locarno gezeigt wurde, hiess übrigens «O sole mio».
Nackte Frauen auf 80 Quadratmeter Leinwand
Zu viel Sex, zu brutal, im Thema zu gewagt. Immer wieder habe das Filmfestival mit Filmen auch provoziert, erzählt This Brunner (72), der über 40 Jahre lang in der künstlerischen Kommission des Festivals sass. Es sei aber nie nur um Provokation gegangen. «Die Qualität der Filme stand immer im Vordergrund», so der Zürcher Filmexperte.
In den 70er-Jahren beispielsweise zeigte der Streifen «Unmoralische Geschichten» nackte Frauen auf der 80 Quadratmeter grossen Leinwand, mitten auf der Piazza Grande. «Das hat die Locarneser sehr empört», erinnert sich This Brunner. «Damals waren solche Szenen ein Novum.»
Es habe auch Filme mit viel Zauber gegeben. This Brunner: «Als ‹Die Nacht von San Lorenzo› lief, da gab es Sternschnuppen am Himmel über der Piazza Grande und im Film auf der Leinwand.» Das, so der Kinofreund, seien schon magische Momente beim Filmfestival von Locarno.
Filme und Stars
Vom 2. bis 12. August wird Locarno TI bereits zum 70. Mal zum Mekka für Filmfreunde. Highlight sind die Vorführungen unter dem Sternenzelt auf der Piazza Grande auf einer der weltweit grössten Leinwände. Freuen darf man sich nicht nur auf bewegende Spielfilme, sondern auch auf glamouröse Gäste wie die Filmstars Nastassja Kinski (56), Fanny Ardant (68), Vanessa Paradis oder Adrien Brody (44), der mit einem Leoparden geehrt wird. Aber auch Schweizer Stars brillieren: Am 12. August feiert der Film der Rock-Band Gotthard auf der Piazza Grande Premiere.