«Dunkelheit zuzulassen, führt nirgendwohin»
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Humor als Corona-Medizin:«Dunkelheit zuzulassen, führt nirgendwohin»

Interview mit Michael Mittermeier über sein neues Corona-Buch
«Dunkelheit zuzulassen, führt nirgendwohin»

Als seine Auftritte im Frühling coronabedingt ausfielen, schrieb Komiker Michael Mittermeier (54) ein Buch über den Lockdown. Im Interview spricht er über diese spontane Entscheidung, seinen ersten Auftritt beim Autokino und das Licht am Ende des Tunnels.
Publiziert: 09.11.2020 um 11:36 Uhr
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Michael Mittermeier im 25 Hours Hotel in Zürich: Der 54-jährige Bühnenkünstler erzählt von der erzwungenen Auszeit und wie er den Lockdown erlebt hat.
Foto: Thomas Meier
Interview: Eliane Eisenring

Herr Mittermeier, Sie haben ein witziges Buch über Corona geschrieben. Ist es dafür nicht zu früh?
Michael Mittermeier:
Gar nicht. Ich schreibe ja nur über das Leben, das währenddessen stattgefunden hat. Warum sollte ich das in einem Jahr tun? Das ist jetzt passiert, und ich habe es mir von der Seele geschrieben. Klar könnte man auch intelligente Bücher mit lauter Zahlen und Statistiken schreiben, ich bin aber kein Wissenschaftler. Ich bin Unterhalter. Als ich die ersten Male wieder gespielt habe, habe ich gemerkt, die Leute lieben es, darüber lachen zu können. Lachen hilft gerade mehr als vieles andere.

Wie waren die ersten Auftritte nach dem Lockdown im Frühling?
Ich wusste nicht, was für ein Programm ich machen soll, habe improvisiert, Begebenheiten aus dem Lockdown erzählt, und die Leute haben gelacht. Da habe ich gemerkt, das ist mein Weg. Wir Künstler müssen uns ja gerade alle an die Situation anpassen – kaum Auftritte. Und die Auftritte, die wir haben, sind schräg, aber es geht. Nach zwanzig Sekunden blendet man das aus.

Apropos schräge Auftritte – wie war es, zum ersten Mal bei einem Autokino aufzutreten?
Ich musste mich einfach darauf einlassen. Für einen Live-Künstler ist das eine Extremsituation, weil man kein unmittelbares Feedback hat. Man hört ein paar Reaktionen, wenn die Leute das Autofenster runterlassen. Das ist wenig, wenn normalerweise 3000 Leute auf so einem Platz stehen würden. Ich habe es als Herausforderung genommen. Ich dachte mir: Diejenigen, die kommen, wollen lachen. Und die unterhalte ich sehr gerne.

Stelle aus dem Buch:
Das war der Moment, in dem ich meinen ersten Autokino-Auftritt zugesagt habe. Endlich wieder unter Menschen … wenn auch mit metallener Ganzkörpermaske. Quasi Premium-Vollgesichtskaskoschutz. (S. 18)

Sie haben es vermisst, auf der Bühne zu stehen ...
Ich bin seit 34 Jahren auf Tour und hatte noch nie eine dreimonatige Auszeit, ich kenne das nicht. Und ich habe genügend Kollegen, die haben immer noch keine Auftritte gehabt. Die Leute waren zögerlich im Ticketkauf, aber die, die kamen, waren froh, endlich auch mal über das Thema lachen zu können.

Wenn mir vor einem Jahr jemand gesagt hätte, dass Virologen mal so beliebt wie Popstars werden würden, hätte ich ihm wahrscheinlich vor Lachen ins Gesicht gehustet. [...] Heute flüsterst du zu einer Frau an der Theke: «Ich bin Virologe!»
«Wow, willst du mich impfen?»
Sag ich heute, «Ich bin Komiker», kommt als Antwort: «Was willst du? Hast du überhaupt eine Arbeit?» Ich nenne mich ab jetzt Witzologe, damit ich ein bisschen Fame abbekomme. (S. 95–96)

In Ihrem neuen Buch sagen Sie, dass Sie hoffen, diese Zeit würde die Menschen verändern. Wie hat diese Zeit Sie verändert?
Meine Grundeinstellung hat sich nicht verändert, ich habe mich schon immer auf das Licht am Ende des Tunnels konzentriert. Während des Lockdowns haben wir die Chance als Familie wahrgenommen, noch enger zusammenzuwachsen. Spiele spielen, Fernsehen schauen, da teilt man etwas. Es ging darum, miteinander umzugehen und sich ernst zu nehmen.

(Siedler von Catan bei Familie Mittermeier:) Bei so was verstehe ich keinen Spass [...]: Wenn meine Tochter nach jeder gewonnenen Partie siegestrunken Jubeltänze aufführte: «Tschuldigung, Papi, ich freue mich halt so!»
«Danke! Vielleicht ein bisschen Rücksicht nehmen auf die Verlierer in der Gesellschaft? Wie viel Reichtum kann man anhäufen? Das heisst Catan, nicht Katar!»
«Papi, magst noch einen Wein?»
«Frag nicht. Giess ein!» (S. 29)

Und aus dieser Zeit ist das Buch entstanden ...
Ja, die Gespräche mit meiner Tochter sind alles Originalzitate, die habe ich nicht erfunden. Die Geschichten basieren darauf, was passiert ist, sonst hätte ich das Buch gar nicht geschrieben. Mir Dinge auszudenken zu Corona, das hätte keinen Sinn gemacht, das würden die Leute auch spüren.

Ich habe meine Tochter gefragt: «Was meinst du, wer oder was ist an alldem schuld, was grade passiert? Woher kommt Corona?»
«Manche glauben, die Illuminati haben es erfunden, ich glaube, es ist vielleicht eine Verschwörung der Klopapierindustrie.»
«Was?»
«Ja, Papa, ich habe gelesen: Folge immer dem Geld!» (S. 117)

Was beachten Sie beim Bücherschreiben?
Ich schreibe, dann lese ich es – trete sozusagen schriftlich vor mir selber auf. Wichtig ist: Ich muss darüber schmunzeln können.

Haben Sie Ihre Bücher schon immer so geschrieben?
Ja. Das Buch ist extra für die Leser geschrieben, es ist kein Programm, das ein bisschen umgeschrieben und so nochmals verwertet wird. «Ich glaube, ich hatte es schon» habe ich in kurzer Zeit geschrieben; die Entscheidung, das zu machen, fiel Ende Juni. Damals, nach den ersten Auftritten, habe ich gemerkt, wie toll es ist, es rauszulassen; und da kam mir die Idee, humoristische Chroniken rauszubringen.

Und die haben Sie dann in weniger als drei Monaten zu Papier gebracht?
Zuerst war nicht klar, ob man das überhaupt noch diesen Herbst würde herausbringen können. Das Verlagsprogramm war eigentlich schon fertig geplant. Sobald das beschlossen war, musste ich sehr schnell sein. In den vier Wochen während des Schreibens habe ich mit meinem Lektor mehr kommuniziert als mit meiner Frau (lacht). Aber es ging, es war eine spontane Idee, aus dem Bauch raus – und das sind immer die besten.

(Mittermeier im Supermarkt:) Ich bemerkte: Ich hatte meine Maske vergessen. Tipp: [...] Du darfst in dem Moment nicht so einen raushauen wie: «Hoho, bin ich hier der Einzige, der den Supermarkt nicht ausrauben will?» [...] Als ich später beim Waschmittel stand, hörte ich vom Nachbarregal zwei Kunden [...]:
«Hey, hast du’s g’sehn? Der Typ ohne Maske, das war der Mittermeier!»
«Ja, mei, der wollt’ halt auch mal wieder erkannt werden!»
Und ich fürchte: Er hatte recht. (S. 115–116)

Beim Programmeschreiben hören Sie am liebsten laute Musik. Was für Musik denn so?
Das ist phasenweise. Ich nehme meistens eine Playlist auf, und die spiele ich dann 200-mal rauf und runter. Ich habe Indie-Phasen, höre die Beatles, dann kommt ein alter Cat-Stevens-Song, etwas von U2, Led Zeppelin, dann mal wieder junge Bands – das ist ein wilder Mix.

Das hilft beim Schreiben?
Ja. Ich brauche Kopfhörer, und dann muss die Musik so laut sein, dass alle anderen Geräusche ausgeblendet sind. Dann bin ich nur noch bei mir, wie auf der Bühne, aber es ist eine Schreibbühne.

Das ist praktisch, wenn man wie Sie viel unterwegs ist.
Genau, ich kann das überall machen, im Auto, im Zug. Als tourender Comedian muss man das können. Wenn die Musik ganz laut ist, kann ich mich hineinversetzen und schreiben. Und die Lieder sind solche, die mich über Jahre oder Jahrzehnte begleitet haben.

Zum Beispiel die von U2. Nach einem U2-Konzert, bei dem Bono Sie auf die Bühne geholt hat, wussten Sie, dass auch Sie auf die Bühne wollen.
Ganz so einfach war es nicht, das wird immer falsch ausgelegt. Ich stand schon vorher auf der Bühne, hatte mein erstes Solo-Programm geschrieben, die ersten Auftritte hinter mir. Aber in dem Augenblick, als ich diese Energie gespürt habe, wusste ich, es macht für mich keinen Sinn, einen Job zu haben und nur nebenbei auf der Bühne zu stehen. Das war ein grosser Moment, obwohl ich schon vorher wusste, dass ich Künstler werden wollte.

Und Bono haben Sie auch später wieder getroffen …
Ja, was eigentlich total schräg ist. Würde man nicht glauben. Wenn man das in einem Buch läse, hielte man es für kitschig. Es ist Wahnsinn, mit einem der grössten musikalischen Helden Kontakt zu pflegen. Er war auch mal bei einer meiner Shows in London. War schön, dass ich da mal was zurückgeben konnte. Hat ihm sehr gefallen, er mochte meinen Humor schon immer.

Sie sagten zu Beginn, dass Lachen in der derzeitigen Situation mehr hilft als vieles andere. Was hilft denn gerade nicht?
Manche lassen viel Dunkelheit zu, und das führt nirgendwohin. Stichwort Verschwörungstheorien. Auch Leute, die momentan versuchen, alles rational zu verstehen, haben es schwer. Die suchen vor allem einen Schuldigen. Stattdessen sollte man versuchen, ein Gefühl zu sich selber zu entwickeln.

Michael Mittermeier

Michael Mittermeier, geboren am 3. April 1966 in Dorfen, Oberbayern, steht seit über 30 Jahren auf der Bühne. Seinen Durchbruch feierte der studierte Amerikanist und Politologe 1996 mit seinem Soloprogramm «Zapped – Ein TV-Junkie knallt durch», das sich 400'000 Zuschauer anschauten. Seither hat er sieben weitere Comedy-Programme rausgebracht und vier Bücher geschrieben. Neben seiner Tätigkeit als Unterhalter engagiert er sich unter anderem für Waisenkinder in Südafrika. Mittermeier lebt mit seiner Frau und seiner zwölfjährigen Tochter im oberbayerischen Pullach.

Michael Mittermeier, geboren am 3. April 1966 in Dorfen, Oberbayern, steht seit über 30 Jahren auf der Bühne. Seinen Durchbruch feierte der studierte Amerikanist und Politologe 1996 mit seinem Soloprogramm «Zapped – Ein TV-Junkie knallt durch», das sich 400'000 Zuschauer anschauten. Seither hat er sieben weitere Comedy-Programme rausgebracht und vier Bücher geschrieben. Neben seiner Tätigkeit als Unterhalter engagiert er sich unter anderem für Waisenkinder in Südafrika. Mittermeier lebt mit seiner Frau und seiner zwölfjährigen Tochter im oberbayerischen Pullach.

«Ich glaube, ich hatte es schon. Die Corona-Chroniken» (Kiepenheuer & Witsch)

In seinem neuen Buch «Ich glaube, ich hatte es schon» erzählt Komiker Michael Mittermeier (54) von seinen persönlichen Erfahrungen während des Lockdowns. So zum Beispiel von einem gegenübersitzenden Zugfahrenden, der sich vor dem Niesen die Maske vom Gesicht reisst und lapidar behauptet, das Virus schon hinter sich zu haben. Oder von seiner Tochter, die ihn bei Spieleabenden zur Weissglut und mit klugen Fragen zur Verzweiflung treibt. Statt ein Buch mit Fakten und Statistiken hat Mittermeier eine Corona-Chronik geschrieben, die es möglich macht, über diese Zeit auch mal zu lachen.

Kiepenhauer & Witsch

In seinem neuen Buch «Ich glaube, ich hatte es schon» erzählt Komiker Michael Mittermeier (54) von seinen persönlichen Erfahrungen während des Lockdowns. So zum Beispiel von einem gegenübersitzenden Zugfahrenden, der sich vor dem Niesen die Maske vom Gesicht reisst und lapidar behauptet, das Virus schon hinter sich zu haben. Oder von seiner Tochter, die ihn bei Spieleabenden zur Weissglut und mit klugen Fragen zur Verzweiflung treibt. Statt ein Buch mit Fakten und Statistiken hat Mittermeier eine Corona-Chronik geschrieben, die es möglich macht, über diese Zeit auch mal zu lachen.

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